Reitsport Mit vollem Risiko zum Triumph bei der WM

Caen · Voltigiertrainerin Jessica Schmitz empfand nach dem Neusser WM-Sieg "Freude und Erleichterung". Sie hatte in der Kür hoch gepokert.

 Weltmeisterliche Momente im Zenith von Caen: Die Neusser Voltigierer - v.l. Johannes Kay, Julia Dammer, Bundestrauinerin Ulla Ramge, Pauline Riedl, Mona Pavetic, Trainerin Jessica Schmitz, Janika Derks und Milena Hiemann - bei der Siegerehrung, während der Kür auf Delia und beim Schlussbild.

Weltmeisterliche Momente im Zenith von Caen: Die Neusser Voltigierer - v.l. Johannes Kay, Julia Dammer, Bundestrauinerin Ulla Ramge, Pauline Riedl, Mona Pavetic, Trainerin Jessica Schmitz, Janika Derks und Milena Hiemann - bei der Siegerehrung, während der Kür auf Delia und beim Schlussbild.

Foto: Daniel Kaiser

Die Voltigiermannschaft des RSV Grimlinghausen ist zum sechsten Mal Weltmeister. Nach 1986, 1992, 1996, 1998 und 2006 holten die Rheinländer in der Nacht vom Freitag auf Samstag die Krone ihrer Disziplin bei den Weltreiterspielen in Caen (die NGZ berichtete). "Es ist eine Mischung aus riesiger Freude und Erleichterung", beschrieb Trainerin Jessica Schmitz gestern ihre Gefühlslage, nachdem das deutsche Team bereits am Samstag wieder auf dem Nixhof angekommen war.

Reitsport: Mit vollem Risiko zum Triumph bei der WM
Foto: Daniel Kaiser

Die Finalnacht im Zénith-Theater in Caen hätte kaum glorreicher für die akrobatischste aller Pferdesportdisziplinen sein können. Im ausverkauften Haus wurde zunächst der Sport an sich, wenig später dann zur Siegerehrung der Titelträger von den 7000 Zuschauern frenetisch bejubelt. Schon die Ausgangslage vor dem großen Showdown versprach Dramatik. Der RSV rangierte mit Minimalabstand von 0,033 Punkten vor der Schweiz und musste schließlich aufgrund der Auslosung der Startreihenfolge vor dem Titelverteidiger in den Zirkel.

Reitsport: Mit vollem Risiko zum Triumph bei der WM
Foto: Daniel Kaiser

Was folgte, war eine Glanzleistung in nahezu perfekter Ausführung, die vom achtköpfigen Richtergremium mit 9,058 Punkten belohnt wurde. "Ich habe schon im Vorfeld auf diese Weltreiterspiele gedacht, dass dies eine Kür ist, die unschlagbar ist, wenn alles funktioniert", sagte Ulla Ramge. Die Nationaltrainerin sollte Recht behalten. Die neunjährige Fuchsstute Delia trug Johannes Kay, Milena Hiemann, Pauline Riedl, Janika Derks, Julia Dammer und Mona Pavetic zum verdienten Triumph. Am Rand zitterten Co-Trainerin Elisabeth Simon, Pferdepflegerin Kirsten Schmitz sowie Ersatzturnerin Leonie Falkenberg. In der Mitte gewohnt souverän: Jessica Schmitz.

Die 33-Jährige hatte im Vorfeld eine klare Anweisungen gegeben: "Der Salto wird geturnt, wenn ich nichts anderes sage." Das Element, das im ersten Durchgang mit einem Sturz völlig schief gegangen war und zu relativ hohem Punktabzug geführt hatte, ist einer der Höhepunkte in der Choreographie im abschließenden Kürblock. Johannes Kay wirft Mona Pavetic dabei in die Luft, die sich anschließend 360 Grad um ihre Breitenachse dreht und vom angehenden Physiotherapeuten wieder aufgefangen wird. Nur bei großer Unsicherheit sollte die Höchstschwierigkeit weggelassen werden.

Doch im entscheidenden Moment behielten alle Akteure die Nerven. Janika Derks, die in dieser Szene im Zirkel neben Schmitz stand, beurteilte die Lage ihrer Kollegen auf dem Pferderücken und flüsterte ihrer Trainerin eine klare Einschätzung ins Ohr: "Alles oder nichts." Schmitz gab grünes Licht an Kay, der mit Blickrichtung zu ihr auf dem Pferd stand. Ein kurzes Nicken reichte. Das eingespielte Team benötigt in dieser Situation keine Worte.

Der 19-Jährige drückte die Elfjährige folglich in Richtung Hallendecke - und fing sie sicher wieder auf. Ein Raunen ging durch das Publikum. Einige Voltigier-unerfahrene Zuschauer spendeten spontan Szenenapplaus, wurden sofort vom Rest der Fans zur Ruhe ermahnt, bis der letzte Salto-Abgang von Kay schließlich in donnernden Applaus überging. Am Ende wurde das Risiko auch auf den Bewertungsbögen gewürdigt. Zum zweiten Mal in diesem Jahr knackten die Neusser die magische Grenze von 9,0 Punkten.

Im Auslauf wartete nicht nur das Bundestrainer- und Betreuerteam, sondern auch zwei ganz besondere Zuschauer: Madeleine Winter-Schulze, die Grande Dame und Mäzenin des deutschen Reitsports, sowie Ludger Beerbaum, seit 30 Jahren weltweit einer der erfolgreichsten Springreiter. "Ihr habt auf jeden Fall schon mal das beste Pferd", lautete die Analyse des Fachmanns, nachdem er Schmitz und Delia in der Vorbereitung beobachtet hatte.

Nach quälenden 20 Minuten, in denen die Neusser der österreichischen Equipe und schließlich den Schweizern in der Kiss-and-Cry-Area zuschauen durften/mussten, wurde das Endergebnis verkündet, das sogar eindeutiger ausfiel als im Vorfeld vermutet. Die Schweiz kam auf 8,503 Punkte, Neuss auf überragende 8,724 Zähler.

"Sie haben das hier sensationell über die Bühne gebracht. Diese Professionalität verdient den größten Respekt", gab die strahlende Bundestrainerin zu Protokoll. "Wir wollten diesen Titel unbedingt haben. Ich freue mich, dass unsere Risikobereitschaft und unserer innovativer Weg in diesem Jahr mit diesem tollen Erfolg belohnt wurde", kommentierte Schmitz. Für die Trainerin ist der erneute Titel bei den Weltreiterspielen gleichwertig mit dem WM-Triumph anno 2006 in Aachen. "Ich habe das diesmal ganz anders wahrgenommen. Damals war alles sehr überraschend und eine große Sensation. In diesem Jahr war es eine Bestätigung, da wir schon als Favoriten kamen."

Mit ihrem Erfolg avancierten die Neusser einmal mehr zu absoluten Online-Stars. Die Deutschen Reiterliche Vereinigung setzte sogar ein Bild der Nixhofer in die Titelleiste ihrer Facebook-Seite. "Das ist eine große Ehre", freut sich Schmitz, die sich und ihren Voltigierern in den kommenden Tagen etwas Ruhe gönnen möchte, ehe über die Zukunft gesprochen wird. Schließlich steht im nächsten Jahr die EM in Aachen auf dem Programm - erstmals mit den vier anderen Pferdesportdisziplinen gleichzeitig.

(NGZ)
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