Korschenbroich Korschenbroicher Jurist im NSU-Prozess

Korschenbroich · Aziz Sariyar vertritt im NSU-Prozess in München in einer Nebenklage die Familie eines Mordopfers. 125 000 Akten liegen dem Verfahren zugrunde. Eine Herausforderung für den Anwalt, aber auch für die Angehörigen.

 Aziz Sariyar in seinem Korschenbroicher Büro: Die Familie des 2005 in Nürnberg getöteten Ismail Yasar engagierte Sariyar nicht nur wegen seines türkischen Hintergrundes, sondern auch aufgrund von Empfehlungen.

Aziz Sariyar in seinem Korschenbroicher Büro: Die Familie des 2005 in Nürnberg getöteten Ismail Yasar engagierte Sariyar nicht nur wegen seines türkischen Hintergrundes, sondern auch aufgrund von Empfehlungen.

Foto: Isabella Raupold

Dass Aziz Sariyar an einem der größten Gerichtsverfahren der Nachkriegsgeschichte teilnehmen würde, hatte er nicht gedacht. "Die Anfrage kam schon überraschend", sagt Sariyar in seinem Büro in Korschenbroich. Seit dem 6. Juni läuft in München der NSU-Prozess, in dem gegen mehrere Personen ermittelt wird, die in Verbindung mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) stehen sollen. Aziz Sariyar vertritt in einer Nebenklage die Familie von Ismail Yasar. Der Inhaber eines Döner-Imbisses wurde am 9. Juli 2005 in seinem Geschäft in Nürnberg mit fünf Schüssen getötet. Er war 50 Jahre alt.

Aziz Sariyar redet leise, wenn er von der Familie spricht. Ein zufriedenstellendes Urteil sei natürlich die oberste Maxime, sagt er. Doch für die Familie sei er nicht nur Anwalt. "Wir sind auch Dolmetscher", sagt er und meint damit nicht nur die sprachliche Ebene. "Es ist sehr schwer, den Angehörigen zu erklären, dass die Verdächtigen vermutlich nicht nur Verdächtige sind, aber dass man dies eben beweisen muss." Bei seinen Untersuchungen muss Sariyar gründlich und sorgsam vorgehen. Irgendein "Wischi-waschi-Ergebnis", wie es Sariyar nennt, oder gar ein Freispruch, wäre nicht nur für die Familie Yasar ein Tiefschlag.

Vor 40 Jahren kam Aziz Sariyar nach Deutschland. Er wuchs in Hagen auf und zog zwecks Jurastudium nach Marburg. Nach dem Studium machte er sein Referendariat in einer Kanzlei in Düsseldorf, bis er vor knapp 15 Jahren den Weg nach Korschenbroich fand. Seit 2001 ist er Partner in der Kanzlei Segbert & Sariyar an der Friedrich-Ebert-Straße. Mindestens drei Tage in der Woche ist Sariyar in München. Die Bundesanwaltschaft hatte den Ort festgelegt, weil die meisten NSU-Morde in Bayern verübt wurden. Das Gesetz sieht vor, dass das Verfahren in einem Bundesland stattfinden muss, in dem liegt. Das Gigantische an diesem Prozess, sagt Sariyar, seien nicht unbedingt die juristischen Fragen, sondern die Logistik: 125 000 Akten liegen dem Prozess zugrunde.

Als Sariyar die Zulassung zum Verfahren erhalten hatte, schickte man ihm keine Ordner, sondern gleich eine Festplatte. Da die Hauptangeklagte Beate Zschäpe weiterhin schweigt, sind die Anwälte auf den Berg voller Indizien angewiesen. Immer wieder melden sich Zeugen bei Sariyar, die vielleicht etwas gesehen haben. "Man will natürlich keine Zeugen verpassen, aber nicht alle stützen sich auf konkrete Fakten", sagt der Anwalt. Auch im Fall von Ismail Yasar sagten Zeugen aus, sie hätten zwei sich auffällig verhaltende Männer auf Fahrrädern gesehen. Wen genau sie gesehen haben, müssen die Vernehmungen zeigen.

Bei dem Begriff Provinzanwalt legt Sariyar die Stirn in Falten. Sicher sei Korschenbroich für viele ein weißer Fleck auf der Landkarte, aber das ändere nichts am Prozess. "Kein Anwalt war bisher in einem solchen Prozess vertreten. Wir alle können dort nur lernen."

(NGZ/rl)
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