Lokalsport Kampf um jeden Zentimeter

Erst die Schrecksekunde, dann der Schockzustand - am Ende aber die Erkenntnis, dass ihre Mannschaft gerade Großartiges geleistet hatte: So durchlebten 2 610 Zuschauer, sofern sie Anhänger des TSV Dormagen waren, am Samstagnachmittag die Schlussphase des viertletzten Heimspiels für den Bundesliga-Aufsteiger.

 Zu früh gefreut: Nach seinem vermeintlichen Siegtreffer fünf Sekunden vor Schluss dreht Christoph Schindler jubelnd ab. Vier Sekunden später sieht er die Rote Karte - und Minden nutzt den anschließenden Freiwurf noch zum Ausgleichstor.

Zu früh gefreut: Nach seinem vermeintlichen Siegtreffer fünf Sekunden vor Schluss dreht Christoph Schindler jubelnd ab. Vier Sekunden später sieht er die Rote Karte - und Minden nutzt den anschließenden Freiwurf noch zum Ausgleichstor.

Foto: Hans Jazyk

Zwar müssen sie weiter auf den vierten Heimsieg nach dem Wiederaufstieg warten, zwar fiel der Ausgleichstreffer für die Gäste durch einen direkt verwandelten Freiwurf von Stephan Just erst nach der Schlusssirene, doch das 23:23-Unentschieden (Halbzeit 12:13) im Kellerduell gegen GWD Minden dürfen die Dormagener Handballer dennoch als Erfolg verbuchen.

Schließlich musste der Aufsteiger am Samstag zu allen anderen Ausfällen auch noch den von Florian Wisotzki verkraften. Der Mannschaftskapitän hatte seine Lehren aus dem frühzeitigen Ausscheiden beim Gastspiel in Balingen gezogen: "Das Risiko eines Dauerschadens ist zu groß", meinte der 28-Jährige mit Blick auf seine seit Wochen andauernden Knieprobleme.

Seine Kapitänsbinde hatte Wisotzki an Nils Meyer weitergegeben - und mit ihr auch seine Qualitäten als Führungsspieler. Meyer riss seine Nebenleute zu einem großen kämpferischen Auftritt mit, dem sich keiner im TSV-Sportcenter entziehen konnte. "So macht das Spaß", bilanzierte der 29-Jährige hinterher, "alle kämpfen bis zum Umfallen und das Publikum steht geschlossen hinter uns."

Doch (nicht nur) verglichen mit Florian Wisotzki fehlt Nils Meyer einfach die Wurfgewalt und damit der Zug zum gegnerischen Tor. Die Folge: Treffer aus dem Rückraum, ohnehin nicht gerade ein Dormagener Markenzeichen, hatten an diesem Nachmittag Seltenheitswert.

Wer sollte sie denn auch erzielen? Auf Halbrechts mühte sich Szabolcs Laurencz nach Kräften, doch mit seinen 184 Zentimetern ist der Ungar kein Mann, um eine gegnerische Deckung zu überspringen. Als ihm die Luft ausging, versuchte es Kai Wandschneider noch einmal mit Denis Zakharov -doch einen Tag nach dessen 25. Geburtstag erweckte der vierminütige Kurzauftritt des russischen Linkshänders nur noch Mitleid.

Der Dormagener Trainer machte aus der Not eine Tugend: Wann immer Laurencz eine Pause brauchte, schickte er in Person des erst 17-jährigen Kentin Mahé drei Rechtshänder in den Rückraum, ließ sie auf den drei Positionen rochieren - und hatte damit Erfolg: "Wir haben uns in der zweiten Halbzeit von der Hektik anstecken lassen und unsere spielerische Linie verloren", gab Mindens Trainer Richard Ratka zu.

So konnte sich "in einer Partie, in der beide Mannschaften um jeden Zentimeter gekämpft haben" (Ratka) keiner einen entscheidenden Vorteil verschaffen. Die Dormagener hätten es gekonnt, wäre Tim Henkel nicht beim Stande von 21:20 (56.) mit einem Gegenstoß am norwegischen Nationaltorhüter Svenn Erik Medhus gescheitert. Einen Vorwurf wollte Wandschneider seinem Rechtsaußen aber nicht machen: "Das ist das neunte Spiel in Folge, in dem er 60 Minuten durchspielen muss und dabei Schwerstarbeit in der Deckung leistet."

In einer Partie, in der es insgesamt 22 Mal Unentschieden stand, wäre ein Sieg für einen der Kontrahenten auch nicht gerecht gewesen. Trotzdem hatten ihn die Dormagener fast in der Tasche, als Christoph Schindler fünf Sekunden vor dem Schlusspfiff mit seinem sechsten Tor in Folge (!) zum 23:22 trifft.

Ratka knallt sofort die grüne Karte für eine Auszeit auf den Zeitnehmertisch - Minden bleiben vier Sekunden. "Die sind mir wie mindestens zehn vorgekommen", meint TSV-Torhüter Joachim Kurth im Nachhinein.

Sei's drum: Am Ende entscheiden die Unparteiischenauf Freiwurf für die Gäste, verpassen Schindler wie kurz zuvor auf der Gegenseite Andreas Simon eine Rote Karte, die möglicherweise eine Sperre nach sich zieht - und Stephan Just setzt das Spielgerät mit einem Knickseitfallwurf unhaltbar für Vitali Feshchanka zum Endstand in die Maschen. Das anfängliche Entsetzen macht jedoch schnell verdientem Beifall Platz.

(NGZ)
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