TSV-Torhüter Matthias Reckzeh Im Flugzeug zum Lokalduell

Von Volker Koch

Von Volker Koch

Wer auf die Kanaren reist, sucht vor allem eines: Sonne. Sich in eine abgedunkelte Halle zu setzen, um einem Dutzend Männer beim Handballspielen zuzusehen, dürfte kaum einem der mehr als drei Millionen Touristen einfallen, die jährlich die sieben "islas canarias" vor der afrikanischen Ostküste besuchen. Den Einheimischen allerdings auch nicht: "Wir hatten im Schnitt 200 Zuschauer", erinnert sich Matthias Reckzeh. Ob auf der Bank oder im Tor: Matthias Reckzeh ist stets engagiert bei der Sache. NGZ-Fotos: H. Jazyk

Daran mag auch die ungewöhnliche Anwurfzeit Schuld sein, zu der der vorletzte Arbeitgeber des seit Januar beim TSV Bayer Dormagen unter Vertrag stehenden Torhüters für gewöhnlich auflief: Sonntags um 12.15 Uhr. Trotzdem zählte Ballonmano (BM) Galdar in der vergangenen Saison zu den Top-Klubs der spanischen Ersten Liga, scheiterte im Europapokal erst im Halbfinale am FC Barcelona. "Als ich im Sommer 2002 nach Galdar gewechselt bin, hieß die Zielsetzung erneute Qualifikation für einen Europapokal-Wettbewerb", weiß Reckzeh noch genau.

Mittlerweile kämpft sein Ex-Klub gegen den Abstieg: "Wir hatten unheimlich viel Verletzungspech, haben acht Spiele mit nur einem Tor verloren", erinnert sich der 29-Jährige, der bei seinem Wechsel nicht einmal wusste, dass sein neuer Klub auf Gran Canaria beheimatet war. Dort, im landwirtschaftlich geprägten Nordosten der drittgrößten Kanareninsel, fernab vom Massentourismus, liegt Galdar. Die 21.000 Einwohner zählende Stadt am Fuße des 450 Meter höhen Vulkankegels Montana de Galdar beherbergt mit der spätbarocken Pfarrkirche Santiago de los Caballeros und den 2000 Jahre alten Wandmalereien in der Cueva Pintada ("bemalte Höhle") dennoch einige touristische Attraktionen.

Und eben einen Handball-Klub, dessen Präsident praktischerweise gleichzeitig Bürgermeister der drittgrößten Stadt Gran Canarias ist. Der besorgte auch das Geld, um die Spieler zu bezahlen - oder eben nicht: Auf drei seiner sechs Monatsgehälter wartet Matthias Reckzeh immer noch, mit ein Grund, warum er kurz vor Weihnachten die Koffer packte. "Spanische Mentalität", zuckt der Thüringer die Achseln, der sich auch immer wunderte, wo das Geld herkam: "Einen regelrechten Sponsor hatte der Klub nicht." Die Reisen zu den Auswärtsspielen wurden von der Provinzregierung in der Inselhauptstadt Las Palmas bezahlt.

Keine ganz billige Angelegenheit, denn die Gegner sind alle auf dem spanischen Festland beheimatet: "Zu jedem Auswärtsspiel sind wir Freitags um neun Uhr ins Flugzeug geklettert", erinnert sich Matthias Reckzeh. Drei Stunden Flugzeit bis Madrid, umsteigen und weiterfliegen nach Barcelona, Santander, San Antonio oder Granollers, kein Zuckerschlecken vor allem für ihn: "Wenn du über zwei Meter groß bist, macht das Fliegen wenig Spaß."

Vor den Meisterschaftspartien war am Samstagmorgen noch einmal Training angesagt, am Sonntag stand der Rückflug auf dem Programm: "Und wenn wir englische Wochen hatten, ging das Ganze am Dienstag wieder von vorne los... " Viel Gelegenheit für Sightseeing gab es da nicht, weder auf dem Festland noch in seiner Wahlheimat: "Allerdings brauchst du nur zweieinhalb Stunden, um einmal um die Insel zu fahren", sagt Reckzeh. Wenn er Zeit dazu hatte: Täglich wurde bei BM Galdar zwei Mal trainiert, freie Tage gab es nicht - und dazwischen lernte Matthias Reckzeh Spanisch.

"Das ging recht schnell und leicht", sagt der gelernte Bürokaufmann, auch wenn "der Inseldialekt schwer zu verstehen ist." Schwer zu verstehen war für ihn auch, dass es nicht das aus Deutschland gewohnte Torwarttraining gab: "Das musste ich schon selber machen. Dabei ist das Leben für Torhüter in Spanien ohnehin viel schwieriger." Denn weder im Training noch im Spiel werde viel Wert auf Abwehrarbeit gelegt, sagt Reckzeh, "da bist du meist auf dich allein gestellt."

Trotz mancherlei Ungereimtheiten, die darin gipfelten, dass sich der Klub im Dezember mit dem zwischen den Pfosten des THW Kiel ausgemusterten Steinar Ege verstärkte, "obwohl er eigentlich im Abstiegskampf einen Feldspieler verpflichten wollte, aber keinen fand" (Reckzeh): Bereut hat der 29-Jährige seinen Wechsel nicht. "Ich würde es jederzeit wieder tun, diese Erfahrungen kann einem keiner nehmen", sagt Reckzeh, der nach Sepp Wunderlich, Christian Schwarzer, Andreas Rastner, Dirk Beuchler und seinem Ex-Dormagener Torhüter-Kollegen Henning Wiechers erst der sechste deutsche Profi-Handballer in Spaniens Erster Liga war.

Sein nachhaltigstes Erlebnis: das Gastspiel beim FC Barcelona vor 5000 Zuschauern, "das Größte, was ich je in meinem Handball-Leben erlebt habe." Kein Blick zurück im Zorn also: Zu einigen Mannschaftskollegen aus Galdar hält er weiterhin Kontakt, und als Urlaubsziel ist Gran Canaria fest eingeplant.

(NGZ)
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