Reiner Breuer & Matthias Welpmann "Identifikation kann man nicht kaufen"

Neuss · Am Dienstag ehrt die Stadt Neuss ihre erfolgreichen Sportler. Die Bilanz 2016 fällt bescheiden aus: Kein Aktiver bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro, nur eine Medaille bei Welt- und Europameisterschaften. Und erstmals seit drei Jahrzehnten ist kein Neusser Team in einer Ersten Bundesliga vertreten. Trotzdem soll 2017 dank Tour de France und Special Olympics ein Jahr des Sports werden. Die NGZ sprach mit Bürgermeister Reiner Breuer und Spordezernent Matthias Welpmann über diesen scheinbaren Widerspruch und den Stellenwert des Sports in Neuss.

 Selbst sportlich unterwegs: Die Bewerbung zur Tour de France brachte Reiner Breuer (mit Düsseldorfs Stadtdirektor Burkhard Hintzsche und Bürgermeister Günter Karen-Jungen, v.l.) mit dem "Dienst-Fahrrad" in die Landeshauptstadt. "Nahmobilität" ist eines seiner großen Themen.

Selbst sportlich unterwegs: Die Bewerbung zur Tour de France brachte Reiner Breuer (mit Düsseldorfs Stadtdirektor Burkhard Hintzsche und Bürgermeister Günter Karen-Jungen, v.l.) mit dem "Dienst-Fahrrad" in die Landeshauptstadt. "Nahmobilität" ist eines seiner großen Themen.

Foto: Andreas Endermann

Herr Breuer, Herr Welpmann, wer in Deutschland über Sport spricht, spricht immer seltener über Neuss. Kann sich das in diesem Jahr durch die Tour de France ändern?

 Ihre Tage scheinen gezählt: Bürgermeister Reiner Breuer bezweifelt, dass Galopprennen in Neuss noch eine Zukunft haben.

Ihre Tage scheinen gezählt: Bürgermeister Reiner Breuer bezweifelt, dass Galopprennen in Neuss noch eine Zukunft haben.

Foto: K. J. Tuchel

Reiner Breuer Auch wenn die Tour de France "nur" durch Neuss durchrollt, wollen wir am 2. Juli schon eine kleine Duftmarke setzen. Wir wollen die Gelegenheit nutzen, um das Thema Nahmobilität in die Köpfe zu bringen, bei dem das Fahrrad ja eine wichtige Rolle spielt. Es gibt viele Ideen für diesen Tag, aber ich bezweifle, ob wir die alle umsetzen können - dafür fehlt es auch an Geld. Aber ich weiß, dass es bereits Initiativen von Bürgern, von Vereinen und Schützenzügen gibt, für Leben entlang der Strecke zu sorgen. Die Hauptattraktion ist sowieso das Rennen - da müssen wir nicht noch die Rolling Stones als Rahmenprogramm verpflichten. Es wird auf dem Markt ein französisches Dorf geben, es gibt ein paar Aktionsbereiche und es wird einen verkaufsoffenen Sonntag geben. Das ist mit der ZIN so abgesprochen - ich finde es toll, dass die Händler da mitmachen und dafür auf einen verkaufsoffenen Sonntag im Oktober verzichten.

 Nur bedingt für Spitzensport geeignet: Ob der Neusser HV im Falle eines Aufstiegs weiter in der Hammfeldhalle spielen kann, ist fraglich.

Nur bedingt für Spitzensport geeignet: Ob der Neusser HV im Falle eines Aufstiegs weiter in der Hammfeldhalle spielen kann, ist fraglich.

Foto: -woi

Lässt sich das alles entlang der Route, die die Tour durch Neuss nimmt, realisieren?

Matthias Welpmann Der Streckenverlauf ist ideal, denn die Innenstadt bleibt trotz der Sperrungen von allen Seiten und mit allen Arten von Verkehrsmitteln erreichbar, für das Radrennen und für den verkaufsoffenen Sonntag ebenso. Im Moment laufen unter Koordination von Sportamtsleiter Uwe Talke die Gespräche mit Verkehrslenkung, mit Polizei und den anderen Beteiligten. Sie laufen geräuschlos - wir hoffen, dass am Tag x die Organisation genauso geräuschlos funktioniert.

Mit der Tour de France, deren zweiten Etappe am 2. Juli auf ihrem Weg von Düsseldorf nach Lüttich vom Handweiser kommend über Willy-Brandt-Ring, Hammer Landstraße, Zollstraße, Friedrich-Straße, Kaiser-Friedrich-Straße, Viktoriastraße und Rheydter Straße durch Neuss führt, verbindet Reiner Breuer auch die Hoffnung, den Bekanntheitsgrad der Stadt in touristischer Hinsicht zu steigern. "Das Quirinusmünster und der Hafen sollten auf jeden Fall im Fernsehen zu sehen sein", sagt der Bürgermeister. Über die Stimmung an der Strecke macht er sich keine Sorgen: "Wir Neusser wissen, wie Party geht." Eher etwas für Insider sind hingegen die Landesspiele für Sportler mit geistiger Behinderung (Special Olympics), die vom 10. bis 12. Juli auf dem Programm stehen. Doch auch hier hofft Breuer auf rege Beteiligung.

Im Gegensatz zur Tour de France finden die Landesspiele der Special Olympics nicht im öffentlichen (Straßen-)Raum statt. Trotzdem messen Sie ihnen ebenfalls einen hohen Stellenwert bei. Warum?

Breuer Wir möchten die Tour de France auch nutzen, um Werbung für die Landesspiele der Special Olympics zu betreiben, die in der darauffolgenden Woche auf dem Programm stehen. Wir sind stolz, dass wir den Zuschlag für die zweite Auflage der Landesspiele bekommen haben. Das ist auch kein Zufall, denn in Neuss und im Neusser Sport gibt es eine lange und erfolgreiche Vorgeschichte, was Integration und Inklusion angeht. Beides sind wichtige gesamtgesellschaftliche Themen, deshalb kann eine Stadt von einer solchen Veranstaltung nur profitieren. Ich hoffe, dass die Neusser das auch annehmen und die Wettkämpfe besuchen. Es wäre schade, wenn sie vor leeren Rängen ablaufen würden. Leere Ränge sind ein gutes Stichwort. Neuss ist mit Spitzensport nicht gerade gesegnet - nach den Abstiegen des HTC Schwarz-Weiß (Hockey), des TC Blau-Weiss (Tennis) und der Uedesheim Chiefs (Skaterhockey) im vergangenen Jahr gibt es erstmals seit drei Jahrzehnten keinen Erst-Bundesligisten mehr - entsprechend gering sind die Zuschauerzahlen bei Sportveranstaltungen. Ausnahmen bilden die Tour de Neuss und der Sommernachtslauf.

Andere Kommunen definieren sich über sportliche Großveranstaltungen oder erfolgreiche Bundesliga-Teams. Warum funktioniert das in Neuss nicht?

Breuer Sport ist ein wichtiges Instrument zur Identifikation mit einer Stadt, das gilt sowohl für die Innen- wie für die Außenwirkung. Es gibt viele Städte, wo sich die Bevölkerung mit einer Mannschaft oder einer Sportart besonders identifiziert - das fehlt in Neuss ein Stück weit. Wir haben nicht "die Mannschaft", auch wenn die Handballer oder die Basketballerinnen vielleicht auf einem guten Weg dorthin sind. Es wäre schön, wenn wir in Neuss so etwas hätten, aber man kann das nicht herbeizaubern, auch nicht herbeikaufen. Selbst wenn wir das Geld dafür hätten, ließen das die Sportförderrichtlinien nicht zu, die nur von einer Förderung des Vereins- und Breitensports sprechen. Wir können aber Voraussetzungen schaffen - und was die Sportstätten angeht, sind die in Neuss sehr, sehr gut.

Trotzdem liebäugelt der Neusser HV mit einer Kooperation und einem Teilumzug nach Düsseldorf.

Breuer Woran ich nichts Verwerfliches finde. Wenn in diesem speziellen Fall in Düsseldorf eine Sportstätte zur Verfügung steht, die wir nicht haben, warum soll man dann nicht kooperieren? Wir überlegen derzeit, wie man eine andere Lösung finden kann, denn grundsätzlich fände ich es natürlich gut, wenn Neusser Handball in Neuss gespielt würde. Eine solche Lösung könnte die Eissporthalle sein, aber nur unter der Voraussetzung, dass sie eine Eissporthalle bleibt, dass die Eissport-treibenden Vereine dort weiter ohne große Einschränkungen ihrem Sport nachgehen können. Wenn das gesichert ist, bleibt noch die Frage der Finanzierung zu klären.

Die Errichtung einer neuen Halle ist demnach kein Thema mehr?

Breuer Wenn Sie mir jemanden nennen, der sie finanziert, können wir gerne darüber reden. Es gab ja schon mehrfach teilweise recht weit gediehene Pläne, die aber letztlich alle an der Frage der Finanzierung gescheitert sind. Eine Umrüstung der Eissporthalle würde nicht mal ansatzweise an die Kosten eines Neubaus heranreichen. Aber das funktioniert nur, wenn dadurch eine Win-Win-Situation für den Handball, den Eissport und nicht zuletzt die Neusser Bäder und Eissporthalle GmbH entsteht. Der Schlüssel liegt in der Multifunktionalität - und das nicht nur, was die Eissporthalle angeht.

Multifunktional soll es zukünftig auch auf dem Gelände der Galopprennbahn am Hessentor zugehen. Wobei es mehr als fraglich scheint, ob dort überhaupt noch Pferderennen ausgetragen werden.

Hat die Galopprennbahn noch eine Zukunft?

Breuer Die Zukunft der Galopprennbahn hängt im Wesentlichen vom Neusser Reiter- und Rennverein ab. Er hat uns bislang kein annehmbares Angebot vorgelegt. Darüber wird gerade in den Fraktionen diskutiert. Ich habe keine Signale, dass dort irgendjemand zu einer anderen Erkenntnis gekommen wäre. Das vorliegende Angebot ist de facto eine Kündigung des Vertrages. Wir suchen deshalb nach Möglichkeiten einer dauerhaften multifunktionalen Nutzung dieses innenstadtnahen Geländes für Sport, Freizeit und Veranstaltungen. Wenn in diesem Konzept noch Platz für ein paar Galopprennen ist, ist das gut - wenn nicht, ist das kein so großer Verlust für diese Stadt.

Klingt nicht, als ob Sie ein Fan der Galopprennbahn wären?

Breuer Ich gehe gerne dorthin, ich finde die Atmosphäre an Renntagen toll. Aber die Veranstaltungen haben nichts mehr mit Neuss zu tun, weshalb man auch kaum noch Neusser dort trifft. Und die Termine werden von außerhalb bestimmt - alles Gründe, weshalb ich mir nur schwer vorstellen kann, dass Neuss eine große Zukunft im Galopprennsport hat.

Was soll denn dann aus dem Gelände werden?

Breuer Wir streben eine bessere und intensivere Nutzung für Sport und Freizeitaktivitäten an. Dazu gehören auch Überlegungen, die Turngemeinde und andere Vereine dort einzubinden, damit die Suche nach einem Vereinssportzentrum irgendwann mal ein Ende hat. Dafür bietet sich das vorhandene Gebäude an, das ja kaum genutzt wird. Wir denken aber auch über Ersatzneubauten nach. Dort, wo jetzt die alte Wetthalle steht, könnte eine multifunktional nutzbare Halle entstehen, die für Training, aber auch für Veranstaltungen wie die Stunksitzung oder die anderen Events, die es derzeit in der Wetthalle gibt, genutzt werden könnte.

Auf dem Prüfstand steht auch, ob es in Neuss weiterhin drei Bäder geben soll - eine Option wäre die Schließung des Stadtbades an der Hafenstraße. Bürgermeister Reiner Breuer strebt dazu einen Bürgerentscheid an.

Wie geht es in Sachen Bäderenwicklung weiter?

Breuer Auch die Zukunft der Neusser Bäderlandschaft wird zur Zeit in den Fraktionen diskutiert. Der Rat wird voraussichtlich im März eine grundsätzliche Entscheidung treffen. Es gibt verschiedene Handlungsalternativen. Ich bin aber nach wie vor der Meinung, dass man bei substanziellen Veränderungen den Bürger beteiligen sollte - nicht nur in Sachen Bäder, sondern was die gesamte Sportentwicklung angeht. Ich meine, wir sollten eine Art "Sportgipfel" ins Leben rufen. WELPMANN Wir brauchen eine Sportentwicklungsplanung, die über die Frage, wo noch ein Kunstrasenplatz gebaut werden soll, hinausgeht. Wir müssen, auch aus Kostengründen, eine Optimierung der Strukturen vornehmen. Nicht jede Sportanlage muss Bundesliga-tauglich sein oder den Normen für Wettkampfbetrieb entsprechen. Das sollte sich auf einige Zentren konzentrieren, die anderen Anlagen wären dann für die wohnortnahe Basisversorgung da und können optimiert werden - womit die anderen Maßnahmen finanziert werden könnten. Und man muss darüber nachdenken, ob man Sportanlagen in Zukunft nicht so bauen kann und muss, dass man damit einen Ertrag erzielen kann. BREUER Die Frage der Finanzierung wird uns immer mehr beschäftigen, ebenso wie die Debatte darüber, was der Sport uns wert ist. Denn das Gebot, zehn Millionen Euro an strukturellen Einsparungen im gesamten Haushalt der Stadt Neuss vorzunehmen, kann nicht einfach so am Sport vorbeigehen. Leider habe ich den Eindruck, dass mancher den Schuss noch nicht gehört hat, was den städtischen Haushalt angeht - und das gilt nicht nur im Sport.

LUDGER BATEN UND VOLKER KOCH FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

(NGZ)
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