Interview „Manche Dinge kann man nicht beeinflussen“

Dormagen · Der Mannschaftskapitän des Zweitligisten TSV Bayer Dormagen über den Umgang mit einer nicht normalen Handball-Saison. Der 25-Jährige verkörpert die „neue“ Sportlergeneration.

 Mit erst 25 Jahren gehört US-Nationalspieler und Mannschaftskapitän Patrick Hüter beim Handball-Zweitligisten TSV Bayer Dormagen schon zu den gestandenen Spielern.

Mit erst 25 Jahren gehört US-Nationalspieler und Mannschaftskapitän Patrick Hüter beim Handball-Zweitligisten TSV Bayer Dormagen schon zu den gestandenen Spielern.

Foto: Heinz J. Zaunbrecher

In anderen Mannschaften würde Patrick Hüter zur Garde der Jungspunde zählen. Schließlich ist der Kreisläufer mit dem markanten Vollbart vor drei Monaten gerade mal 25 Jahre alt geworden. Im Zweitliga-Team des TSV Bayer Dormagen gehört einer wie der gebürtige Neusser hingegen zu den gestandenen Spielern – so gestanden, dass sie ihm am Höhenberg schon seit Jahren die Rolle des Mannschaftskapitäns zu- und anvertrauen. Patrick Hüter ist wie sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ian Sohn eines deutschen Vaters und einer amerikanischen Mutter, besitzt deshalb beide Staatsbürgerschaften und steht gemeinsam mit seinem Bruder im Aufgebot der US-Nationalmannschaft, die vielleicht schon 2024 in Paris, spätestens jedoch bei den „Heimspielen“ 2028 in Los Angeles am olympischen Handballturnier teilnehmen möchte.

Patrick Hüter verkörpert die „neue“ Sportlergeneration: Selbstbewusst, ohne arrogant zu sein, intelligent genug, um einen Blick über den Tellerrand der eigenen Sportart und über das eigene Selbstbefinden hinaus zu werfen. Kurzum, ein idealer Gesprächspartner, um darüber zu reden, was die Corona-Pandemie und ihre Folgen (nicht nur) für einen jungen Spitzensportler bedeuten. Das Gespräch, aus naheliegenden Gründen am Telefon geführt, im Wortlaut:

Herr Hüter, wie oft sind Sie schon auf Corona getestet worden?

PATRICK HÜTER (lacht) Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Wir werden seit Beginn unserer zweiten Saisonvorbereitungsphase, also seit Anfang August, mindestens ein Mal wöchentlich getestet. Und seit der Inzidenzwert im Rhein-Kreis die kritische Marke überstiegen hat, mindestens zwei Mal pro Woche.

Und das funktioniert?

HÜTER Das klappt prima. Die Tests erfolgen in der Regel vor dem Training, wir haben genaue Tabellen, wer wann an der Reihe ist. Bisher hatten wir damit keine Probleme – und zum Glück auch noch keinen positiven Test.

Trotzdem war Ihre Mannschaft schon von einem Spielausfall betroffen. Am Dienstagabend  …

HÜTER  …saßen wir schon so gut wie im Bus, um nach dem Abschlusstraining nach Hamburg zu fahren, als wir die Nachricht erhielten, dass das Spiel abgesagt wird.

Wie geht man damit um?

HÜTER Genau so wie mit der gesamten Situation – man muss es akzeptieren. Es gibt nun mal Faktoren, die wir beeinflussen können, und des gibt Faktoren, die wir nicht beeinflussen können. So eine Spielabsage, weil beim Gegner jemand positiv auf Corona getestet wurde, gehört zu den Dingen, die wir nicht beeinflussen können. Man redet natürlich darüber, aber es bringt nichts, sich tiefergehend damit zu beschäftigen oder sich gar aufzuregen.

Das gilt in Ihren Augen auch für die Gesamtsituation?

HÜTER Ja. Wir, und damit meine ich alle in meinem Alter, sind die Generation, die momentan ihre Zukunft nicht planen kann, weder sportlich noch sonstwie. Das ist nicht schön, aber das müssen wir akzeptieren. Besser, als sich darüber aufzuregen, ist, sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren.

Als da wären?

HÜTER Sich an die Regeln zu halten und dadurch versuchen, gesund zu bleiben. Und auf den Handball bezogen heißt das: Wir müssen uns in jedem Training zu hundert Prozent konzentrieren und uns so zerreißen, als gäbe es diese Situation nicht. Es bringt nichts, darüber zu spekulieren, ob das nächste Spiel stattfindet und das übernächste abgesagt wird – wir müssen so trainieren, als ob morgen nicht nur das nächste, sondern das wichtigste Spiel überhaupt anstünde.

Klingt so, als ob Sie Corona ausblenden wollten …

HÜTER In der Gesamtsituation natürlich nicht. Aber in den zwei Stunden Training und vor allem in den sechzig Spielminuten müssen wir das tun. Ich weiß Stand heute (das Gespräch wurde am Donnerstag geführt, Anm. d. Red.) nicht, ob wir am Sonntag wirklich spielen, und wenn ja, ob wir vor knapp tausend, ob nur vor einer Handvoll oder vor gar keinen Zuschauern spielen. Aber das darf uns im Training alles nicht interessieren, da zählt nur, dass wir optimal vorbereitet sind, wenn es los geht.

Das sagt der Kapitän. Empfindet das die Mannschaft genauso?

HÜTER Nicht nur, weil ich Kapitän bin, rede ich viel mit meinen Mitspielern. Und ich habe den Eindruck, dass die meisten, wenn nicht alle, das auch so sehen. Das merkt man nicht nur in den Gesprächen, sondern auch daran, wie wir trainieren ….

Trotz allem ist das keine normale Saison …

HÜTER Das ist alles andere als eine normale Saison. Am vergangenen Wochenende hatten wir spielfrei, das Spiel am Mittwoch wurde abgesagt, ob wir am Sonntag spielen, entscheiden nicht die Vereine oder die Handball-Bundesliga, sondern die Gesundheitsämter und andere Behörden. Spielen wir nicht, liegen zwischen dem letzten und dem nächsten Spiel drei Wochen Pause – die hast du während der Saison sonst nur, wenn du verletzt bist. Deshalb ist es unheimlich schwer, in einen Rhythmus zu kommen. Was nicht nur für uns, sondern für fast alle Vereine gilt.

Weshalb die bisherigen Resultate größten Teils noch kurioser sind als ohnehin in dieser Zweiten Liga.

HÜTER Das stimmt. Ich glaube zum Beispiel, dass es in dieser Saison keinen Heimvorteil gibt, egal, ob gar keine oder nur wenige Zuschauer in den Hallen zugelassen sind. Und wenn es nur noch „Geisterspiele“ gibt, werden die Resultate noch kurioser werden. So ein „Geisterspiel“ hat eher den Charakter eines Freundschafts- oder Testspiels. Und da verrate ich sicherlich kein Geheimnis, wenn ich sage, dass es in diesen Spielen äußerst selten richtig zur Sache geht, vor allem, was die Abwehrarbeit betrifft. Handball ist viel Kopfsache, Handball hat sehr viel mit Einstellung zu tun, und die ist eben auch abhängig von der Stimmung in der Halle. Je besser wir auf eine soklche Situation vorbereitet sind, desto besser werden wir abschneiden.

Was ist denn überhaupt das Ziel in dieser nicht normalen Saison – sie halbwegs unbeschadet zu überstehen?

HÜTER Es wäre fatal, wenn das unser alleiniges Ziel wäre. Denn auch für die gesamte Saison gilt, was ich eben über Training und Spiel gesagt habe: Wir müssen so tun, als wäre es eine ganz normale Spielzeit. Und in der sind unsere Ziele klar gesteckt: Guten Handball spielen, uns verbessern und dadurch möglichst einen einstelligen Tabellenplatz belegen.

Sehen Sie sich und Ihr Team auf diesem Weg?

HÜTER Das erste Spiel (21:24 gegen Dessau-Rosslauer HV) war extrem unglücklich. Nach fast sieben Monaten wieder Handball um Punkte zu spielen und dann noch zu Hause, das hat schon einen enormen Druck verursacht.

Und dann kommt ein euphorischer Aufsteiger, der nichts zu verlieren hat …

HÜTER Das soll jetzt keine Ausrede sein, aber genau so ist das gelaufen. Doch ich ziehe meinen Hut davor, welchen Charakter die Mannschaft bewiesen hat, indem sie es schafft, eine Woche später bei einem Team, das nicht nur für mich zu den ganz heißen Kandidaten auf den Bundesliga-Aufstieg gehört, zu gewinnen (25:24 bei der SG Bietigheim, Anm. d. Red.). Und wir haben nicht nur gewonnen, sondern auch gut gespielt. Insofern sind wir auf dem richtigen Weg. Wo der in dieser nicht normalen Saison hinführt, ist ein anderes Thema.

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