Bayers Europapokal-Abenteuer Die Weltauswahl war erst im Rückspiel zu stark für den TSV

Dormagen · Trotz eines furiosen Hinspiels reichte es für die Handballer des TSV Bayer Dormagen vor dreißig Jahren am Ende nicht zum Europapokalsieg über Teka Santander. Die damals „beste Vereinsmannschaft der Welt“ setzte sich im Gesamtergebnis mit 46:44 durch.

 Norbert Nowak im ersten von zwei Endspielen 1993 gegen Teka Santander im Duell mit Torhüter-Legende Mats Olsson.

Norbert Nowak im ersten von zwei Endspielen 1993 gegen Teka Santander im Duell mit Torhüter-Legende Mats Olsson.

Foto: Andreas Woitschützke

Die zweite Halbzeit an diesem Samstagnachmittag vor dreißig Jahren war eine für die Geschichtsbücher: Hatte es zur Pause angesichts eines 9:10-Rückstands noch zu anerkennendem Schulterklopfen für den Außenseiter gereicht, spielte sich der TSV Bayer Dormagen in den zweiten dreißig Minuten in einen Handball-Rausch. Das 15:10 gegen Teka Santander war schlicht eine Sensation, schließlich stand den Werks-Handballern, die drei Tage zuvor die Bundesliga-Saison mit einer 23:28-Niederlage beim längst als Absteiger feststehenden TV Eitra auf dem zwölften Tabellenplatz abgeschlossen hatten, eine regelrechte „Weltauswahl“ gegenüber. „Die damals beste Vereinsmannschaft der Welt, so etwas wie heute Paris St. Germain oder der FC Barcelona,“ sagt der damalige Bayer-Trainer Hans-Dieter „HaDe“ Schmitz über das Starensemble aus der 170.000 Einwohner zählenden Hauptstadt der autonomen Provinz Kantabrien an der spanischen Nordküste.

Gesponsert vom Küchenhersteller Teka hatte der zweifache spanische Meister bereits 1990 den Europapokal der Pokalsieger gewonnen. Und in die beiden Endspiele um den IHF-Pokal gingen die Schützlinge von Trainer Emilio Alonso Rio als haushoher Favorit, hatten in den Runden zuvor ZSKA Moskau (26:16, 22:25), Asko Linz (21:19, 31:22) und Steaua Bukarest (26:26, 31:25) regelrecht vom Parkett gefegt. Kein Wunder bei dem Personal, das Alsonso Rio zur Verfügung stand. Alleine der Mann zwischen den Torpfosten war eine lebende Legende: Mats Olsson bestritt 292 Länderspiele für Schweden, wurde 1990 Weltmeister, 1997 Vize-Weltmeister, WM-Dritter 1993 und 95, Europameister 1994 und gewann 1992 und 1996 jeweils Olympia-Silber. Gegen ihn erzielten Joachim Sproß (3), Norbert Nowak (2), Jörg Scheuermann und Matthias Schmidt (beide 5), deren Namen man zuvor weder in Spanien noch in Schweden gehört hatte, im Hinspiel gemeinsam 15 Tore. Das erlesene Personal setzte sich auf dem Feld fort. Regie führte der zweifache „Welthandballer des Jahres“ Talant Dujshebaev, der ein Jahr zuvor mit der „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS) in Barcelona olympisches Gold gewonnen hatte und dabei Torschützenkönig geworden war – gemeinsam mit Michail Jakimowitsch, der von Halblinks in beiden Finalspielen die meisten Treffer (15/3) erzielte. Nicht zu vergessen die spanischen Nationalspieler Matteo Garralda (233 Länderspiele, zweifacher Olympiadritter und Weltmeister) und Javier Cabanas (228 Länderspiele).

Wären die Dormagener da untergegangen, hätten ihnen wahrscheinlich nicht mal die allzeit kritischen Beobachter auf den Presseplätzen der „Schweinehalle“ einen Vorwurf gemacht. Die im Übrigen von den Verantwortlichen der Europäischen Handball-Föderation (EHF) als nicht Final-tauglich eingestuft wurde – weshalb das bedeutendste internationale Sportereignis, das der Rhein-Kreis bis dahin erlebt hatte, auf der anderen Rheinseite vor 1500 Zuschauern in der Leverkusener Wilhelm-Dopatka-Halle ausgetragen werden musste. Ob das ein Nachteil war, darüber wird bis heute lebhaft diskutiert. Heinz Hilgers, damaliger Dormagener Bürgermeister und bekennender Handball-Fan, war jedenfalls überzeugt: „Hätten wir in unserer Halle gespielt, hätten wir das Hinspiel höher gewonnen und wären Europapokal-Sieger geworden.“ Andreas Thiel, der „Hexer“ zwischen den Dormagener Torpfosten, der großen Anteil an eben diesem 24:20-Sieg im Hinspiel hatte, ist anderer Ansicht: „Egal wie hoch wir gewonnen hätten, die Spanier hätten das zuhause gedreht. Die haben uns anfangs einfach unterschätzt.“ HaDe Schmitz neigt zur gleichen Sichtweise: „Ich denke auch, dass die uns ein bisschen unterschätzt haben. Auf der anderen Seite muss man aber auch festhalten, dass wir gut auf die eingestellt waren – besser jedenfalls als die auf uns.“ Das sollte im Rückspiel acht Tage später (30. Mai 1993) anders aussehen: Zur Pause hatte Santander sich im Gesamtergebnis bereits ein Plus von zwei Toren erarbeitet (14:8), „und dann haben die uns im zweiten Durchgang freundlicherweise ein bisschen mitspielen lassen,“ sagt Andreas Thiel und stellt fest: „Eine echte Chance hatten wir nicht.“

Der Stimmung beim Abschlussbankett und beim Rückflug, auf dem sich Karsten Kohlhaas zwischenzeitlich als kellnernder Flugbegleiter versuchte, tat das keinen Abbruch. An die in Spanien bei solchen Anlässen wohl obligatorische „Serviettenschlacht“ erinnern sich alle Beteiligten. HaDe Schmitz erinnert sich auch an eine mehr oder weniger stimmungsvolle Gesangseinlage: Auf die kantabrische „Nationalhymne“ antworteten die Dormagener, energisch von den Gastgebern zum Singen aufgefordert, mit einem inbrünstig vorgetragenen „Marmor, Stein und Eisen bricht“ – „was Besseres fiel uns auf die Schnelle nicht ein.“

Und hier zum Zungeschnalzen die Aufstellung der wohl besten Dormagener Handball-Mannschaft aller Zeiten nebst Endspiel-Toren (es fehlte in beiden Finalspielen der verletzte Robert Andersson): Andreas Thiel, Christopher Klemme (im Tor); Christian Fitzek, Joachim Sproß (6), Karsten Kohlhaas (4), Dieter Springel (7/3), Michael Klemm (5/2), Klaus Dyllong, Maik Handschke (6), Matthias Schmidt (7), Norbert Nowak (2), Jörg Scheuermann (7).

Der lange Rückraumshooter Matthias Schmidt erzielte in der Finalserie gegen Santander sieben Tore für Dormagen.

Der lange Rückraumshooter Matthias Schmidt erzielte in der Finalserie gegen Santander sieben Tore für Dormagen.

Foto: Andreas Woitschützke/Woitschützke, Andreas (woi)

Und noch etwas zum Zungeschnalzen: Fast der komplette Kader ist der Einladung zum „Europapokal-Jubiläum“ gefolgt, das der TSV Bayer am Freitag (26., 19.30 Uhr) in Verbindung mit seinem Zweitliga-Heimspiel gegen TuSEM Essen feiert. Unmittelbar nach dem Schlusspfiff werden die „Helden von damals“ geehrt – und sich danach bestimmt noch lange eine Menge zu erzählen haben.

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