Handball Bayers Kader fehlt die Breite

Dormagen · Bei der verdienten 26:32-Niederlage im Nachholspiel beim Tabellenzweiten HSV Hamburg scheiterte Handball-Zweitligist TSV Bayer Dormagen erstmals in dieser Saison an einem Gegner, der besser war und in der Schlussphase erheblich mehr zuzusetzen hatte.

 Der sich ständig steigernde Patrick Hüter erledigt beinahe in jeder Partie des TSV Bayer Dormagen 90 Prozent der kräftezehrenden Arbeit am Kreis – dem eigenen wie dem gegnerischen.

Der sich ständig steigernde Patrick Hüter erledigt beinahe in jeder Partie des TSV Bayer Dormagen 90 Prozent der kräftezehrenden Arbeit am Kreis – dem eigenen wie dem gegnerischen.

Foto: Heinz J. Zaunbrecher

Ein Handballspiel wird oftmals dann verloren, wenn eine Mannschaft es gerade zu gewinnen scheint. Die 26:32-Niederlage des TSV Bayer Dormagen in der Zweitliga-Nachholpartie beim HSV Hamburg am Dienstagabend lieferte erneut einen Beweis für dieses scheinbare Paradox. Denn just in dem Moment, als die Gäste alle Vorteile auf ihrer Seite zu haben schienen, den ersten Drei-Tore-Rückstand (13:16, 30.) in einer bis dahin auf der berühmten „Augenhöhe“ verlaufenen Begegnung in die erste Führung (17:16, 35.) verwandelt hatten, schlugen sie sich selbst. Ein vergebener Strafwurf von Joshua Reuland, ein Fehlwurf von Ante Grbavac und ein gescheiterter Tempogegenstoß von Ian Hüter brachten die Hamburger ohne viel eigenes Zutun zurück in eine Partie, die den Gastgebern eigentlich gerade zu entgleiten schien …

Denn sich so um die Früchte seiner Arbeit zu bringen, kostet Kraft, mental wie auch physisch. Kraft, die den Dormagenern in der Schlussphase fehlte, so dass sie am Ende in die bisher höchste Saisonniederlage stolperten. Eine verdiente allemal – und nach den eher unnötigen Punktverlusten gegen die Aufsteiger die erste, die die Bayer-Handballer gegen eine Mannschaft hinnehmen mussten, die besser war als sie. Oder vielmehr gegen eine, die besser aufgestellt war als der TSV. Denn während Toto Jansen, der Weltmeister auf der Hamburger Trainerbank, die volle Breite seines Kaders nutzte, während die erst spät eingewechselten Finn Wullenweber (3) und Jan Kleineidam (2) genau jene Tore erzielten, die den HSVH von 21:20 (45.) auf 28:22 (53.) entscheidend davonziehen ließen, musste sich sein Dormagener Kollege einmal mehr auf die „kleine Rotation“ beschränken.

Es ehrt Dusko Bilanovic, dass er auch zum Gastspiel in der Alsterdorfer Sporthalle wieder vier Akteure aus der Abteilung „Jugend forscht“ mitnahm. Die können sicher viel lernen auf solch einer Fahrt – die Kastanien aus dem Feuer holen, wenn es Spitz auf Knopf steht, können sie nicht. Nicht zum ersten Mal in dieser Spielzeit vertraute Bilanovic über weite Strecken auf eine „erste Sieben“. Dass die bis auf die Position zwischen den Torpfosten ausschließlich aus Spielern besteht, die bereits in der vergangenen Saison das Bayer-Trikot trugen, ist kein Zufall. Jakub Sterba und Joshua Reuland spielen praktisch von der ersten bis zur letzten Minute durch.

Nun ist das bei Außen eher die Regel als die Ausnahme und auch nicht spielentscheidend. Entscheidender ist schon, wenn zwei der drei Rückraumpositionen und die am Kreis zu 80 bis 90 Prozent der Spielzeit von den gleichen Akteuren bekleidet werden (müssen) – dass denen, zumal wenn das voraufgegangene Meisterschaftsspiel gerade mal vier Tage zurückliegt, irgendwann die Kräfte schwinden, ist leicht nachvollziehbar. Die Hamburger, die mit einer starken Deckungsleistung ihren eigenen Beitrag zu diesem Kräfteverschleiß leisteten, mussten eigentlich nur darauf warten, dass es so weit kam – um dann gnadenlos zuzuschlagen.

Besonders fatal, wenn aus dieser „ersten Sieben“ einer  total neben seinen Handballschuhen steht, noch fataler, wenn es sich dabei (nicht zum ersten Mal in dieser Saison) um den Mann auf der vermeintlichen „Königsposition“ handelt. Die ist im linken Rückraum eigentlich für die so genannten „einfachen“ Tore zuständig, beim TSV Bayer ist sie momentan eher die Hauptquelle einfacher Fehler. Und „gelernte“ Mittelmänner wie Ian Hüter oder Benjamin Richter können auf dieser Position stets ebenso nur „zweite Wahl“ sein wie ein lediglich als Ergänzungsspieler verpflichteter Alexander Senden.

Sicher, dass ein Julian Köster, Hoffnungsträger (nicht nur) des Dormagener Handballs, eine komplette Hinrunde verletzt fehlen würde, war nicht abzusehen. Trotzdem sollte man beim TSV Bayer nach dem ersten Saisondrittel mal die eigene Transferpolitik hinterfragen. Martin Juzbasic, der Volltreffer zwischen den Torpfosten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass deren Bilanz mehr als durchwachsen ausfällt. Vor allem der mit viel Vorschusslorbeeren verpflichtete Antonio Juric ist überhaupt noch nicht in Dormagen angekommen. Hut ab vor dem sich ständig steigernden Patrick Hüter – doch dass er in beinahe jeder Partie 90 Prozent der kräftezehrenden Arbeit am Kreis, dem eigenen wie dem gegnerischen, erledigen muss, kann auf Dauer nicht gut gehen. Nicht auszudenken, wo diese Mannschaft stehen könnte, wenn ein Carl Löfström (und ein Eloy Morante Maldonado als jetzt schmerzlich vermisste Alternative im Rückraum) am Höhenberg geblieben wäre.

So wird es – mindestens zwei, besser drei Siege aus dem Jahresrestprogramm am Freitag (19.30 Uhr) beim TV Emsdetten, am Tag vor Heiligabend (23. 12., 19.30 Uhr) gegen den VfL Lübeck-Schwartau (mit besagtem Carl Löfström!), am Zweiten Weihnachtstag (26. 12., 19.30 Uhr) beim Wilhelmshavener HV und am Tag vor Silvester (30. 12., 19.30 Uhr) im Mittelrhein-Klassiker gegen den VfL Gummersbach vorausgesetzt – wohl wieder „nur“ zu einem Tabellenplatz im ausgeglichenen Mittelfeld reichen. Doch der ist in dieser fordernden Corona-Saison, die, wenn sie nach der WM-Pause weiterhin ohne Zuschauer fortgesetzt werden muss, noch manchen Klub in heftige wirtschaftliche Bedrängnis bringen wird, schon aller Ehren wert.

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