Lokalsport Eine Sportart steht am Scheideweg

Auf den ersten Blick scheint alles im Lot: Die vier Vertreter in der Champions League haben bislang erst ein Spiel verloren, das Quartett in den anderen Europapokalwettbewerben die dritte Runde erreicht.

Deutschlands (Vereins-) Handball dominiert Europa, der THW Kiel setzt sich sogar beim FC Barcelona durch - Handballherz, was willst du mehr? Doch der Preis für diese vorgebliche Erfolgsgeschichte ist hoch. Denn der Handball-Bundesliga (HBL), die sich so gerne selbst die "stärkste Liga der Welt" nennt, droht mehr als nur eine Zwei-Klassengesellschaft. Wenn, wie am Wochenende in der Partie Kiel gegen den TBV Lemgo geschehen, der Primus den ärgsten Verfolger mal eben locker mit 33:23 in die Schranken weist, kann etwas nicht stimmen im Gefüge . . .

Dass es heftig knirscht im Gebälk, ist seit einer Woche sogar aktenkundig. Selbst HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann spricht von einer "unbefriedigenden Situation" und einem "erheblichen Imageschaden", seit TuSEM Essen Insolvenz anmeldete und als erster Absteiger feststeht. Mag in Essen blauäugig oder unseriös gewirtschaftet worden sein, so werfen die 1,5 Millionen Euro Schulden, die TuSEM innerhalb von knapp drei Jahren während seines Durchmarsches von der Regional- in die Bundesliga angehäuft hat, ein bezeichnendes Licht auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die in der Liga herrschen.

Denn der WM-Titel, den die deutsche Nationalmannschaft im Januar 2006 im eigenen Land gewann und der vermeintliche "Handball-Boom", den er auslöste, haben zu einer Schieflage geführt. Die "großen Klubs", namentlich THW Kiel, HSV Hamburg, SG Flensburg-Handewitt und die aus der Hopp-Schatulle finanzierten Rhein-Neckar Löwen haben aufgerüstet, mit teuren ausländischen Stars und - seit der WM - noch teureren deutschen Spielern. Die anderen, um nicht stets zweistellig zu verlieren, versuchen mitzuhalten - mit Folgen wie in Essen, in Nordhorn oder in Magdeburg, wo die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Bei den Preisen - "der Nordhorner Holger Glandorf kann nun bei einem Wechsel rund 600 000 Euro brutto Jahresgehalt verlangen", schreibt der Berliner "Tagesspiegel" in seiner gestrigen Ausgabe - können die "Kleinen" froh sein, wenn sie überhaupt eine halbwegs konkurrenzfähige Mannschaft zusammen bekommen. "Von den Mindener Spielern würde keiner bei uns im Kader stehen", sagte Manager Thorsten Storm nach dem 36:27-Sieg seiner Rhein-Neckar Löwen bei GWD Minden - eine bezeichnende Aussage.

Und entlarvend zugleich, wenn genau jener Thorsten Storm nach der TuSEM-Pleite davon spricht, "dass wir in Sachen Spielergehälter die Schraube überdreht haben". Noch ein Beispiel: Kiel überwies vor Saisonbeginn mindestens 700 000 Euro Ablösesumme für Trainer Alfred Gislason an den VfL Gummersbach - mit nicht viel mehr Geld im Gesamtetat starteten die Aufsteiger Stralsunder HV und TSV Dormagen in die Saison.

"Wir machen gerade den Fehler, uns zu sehr mit dem Fußball zu vergleichen", sagt Bob Hanning. Was der Manager der Füchse Berlin mit Blick aufs Finanzgebaren sagt, trifft auch in anderer Hinsicht zu: Die Handball-Arenen werden immer größer, doch damit wächst die Distanz zu den Fans. "Stars zum Anfassen" war bislang eines der Merkmale, das den Handball vom Fußball unterscheidet.

Doch in immer mehr Hallen sorgen Ordner nach dem Schlusspfiff dafür, dass kein Fan, und sei er auch noch so klein, das Spielfeld betritt. Schon werden "Mixed-Zonen" eingerichtet, in denen Medienvertreter mit den Spielern sprechen dürfen, nachdem sie vorher selbstverständlich vor sämtliche Fernsehkameras gezerrt wurden - alles Bilder, die man vom Fußball her kennt.

Und wie der "große Bruder" lässt sich die Handball-Bundesliga inzwischen sämtliche Anwurfzeiten vom Fernsehen diktieren, ohne Rücksicht auf Gewohnheiten oder Bedürfnisse der Fans. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Beim Fußball ist das "Schmerzensgeld", das für die Vergabe der Fernsehrechte fließt, so hoch, dass die Klubs einen Großteil ihrer Etats davon bestreiten können.

Beim Handball deckt es gerade mal die Zusatzkosten für eine "fernsehgerechte" Halle. Doch um die Schraube zurückzudrehen, reicht eine Insolvenz wahrscheinlich nicht aus.

(NGZ)
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