Korschenbroich Ein Rendezvous mit der deutschen Geschichte

Korschenbroich · Er ist Sohn eines Pastors, Wehrdienstverweigerer und Flüchtling. Als Zeitzeuge war Constantin Hoffmann Festredner in der Alten Schule.

 Festakt in Alter Schule: Bürgermeister Heinz Josef Dick (l.) verfolgte als Gastgeber gespannt den Vortrag des Referenten Constantin Hoffmann.

Festakt in Alter Schule: Bürgermeister Heinz Josef Dick (l.) verfolgte als Gastgeber gespannt den Vortrag des Referenten Constantin Hoffmann.

Foto: reichartz

"Der Tag der deutschen Einheit ist ein Tag der Freude, des Erinnerns und der Reflektion", eröffnete Bürgermeister Heinz Josef Dick den Festakt. "Viele haben noch die Bilder vor Augen, als 1989 die Berliner Spalier standen und auf die Dächer der durchfahrenden Trabis klopften", so Dick weiter. Unverständlich sei es, dass das Unrechtregime in den letzten Jahren zunehmend verklärt wird.

Vor rund 120 Besuchern, unter ihnen zahlreiche Schüler des Gymnasiums, spürte Festredner Constantin Hoffmann diesem Phänomen nach – in einem persönlichen und bewegenden Vortrag. Als Sohn eines Pastors durfte Hoffmann in der DDR kein Abitur machen; erst 1981, nach seiner Ausreise nach Westdeutschland, holte er mit 24 Jahren das Abitur nach, studierte und wurde Journalist.

Um die Demokratie mit aufzubauen, zog er zurück in seine Heimat – nach dem Mauerfall, den er hautnah in Berlin miterlebt hatte. Für gescheitert erklärte Hoffmann das "gesellschaftliche Experiment Aufbau des Sozialismus". Die Jugendlichen träumten damals von Jeanshosen mit Schlag, während die Regierung die Anzahl der Nähnadeln für die nächsten fünf Jahre fest-legte, erinnerte sich Hoffmann. Wer sich kritisch äußerte, riskierte im schlimmsten Fall Gefängnis. Hoffmann wandte sich direkt an die jugendlichen Zuhörer: "Wenn ihr auf der Suche nach einer noch besseren Gesellschaft seid, greift nicht auf alte Rezepte zurück. Der DDR-Sozialismus hat sich nicht bewährt. Ihr müsst Euch etwas Neues ausdenken." In einer Demokratie könne man keine Sehnsucht nach einer Diktatur haben, betonte Hoffmann. Deshalb sei er erstaunt, dass das Unrechtregime immer häufiger verniedlicht, gar verkitscht wird.

Hoffmann wagte zwei Thesen: In Ostdeutschland kam nach der Wende erstmals die Angst vor Arbeitslosigkeit auf. Die Wut richtete sich aber nicht gegen das SED-Regime, das das Land abgewirtschaftet hatte, sondern gegen die Bundesregierung. Und zweitens führte Hoffmann die Sehnsucht nach der unpolitischen Kindheit und Jugend an. "Unterhalb der politischen Ebene hatten wir ein gutes Leben", erinnerte er sich. Nostalgie lässt er aber nicht zu. "Deutlich wird die historische Dimension der Wiedervereinigung erst nach über 20 Jahren", resümierte Hoffmann. Der 3. Oktober sei für ihn ein "Rendezvous mit der Geschichte": "Es geht um nichts weniger als um die Aufhebung der Teilung der Welt." Langanhaltender Applaus stand am Ende eines lebendigen Vortrags. "Seine klare und direkte Sprache war sehr eingängig", befand Rudolf Graaff: "Hoffmann ist als Zeitzeuge authentisch."

Im Foyer präsentierten die Schüler des Gymnasiums Korschenbroich die Ausstellung "Jugendopposition in der DDR". Sie dreht sich um 18 junge Oppositionelle, die sich der SED-Diktatur widersetzt hatten. Das Material hatte die Berliner Robert-Havemann-Gesellschaft zur Verfügung gestellt. Gisela Amelungk hat in Korschenbroich kaum einen Festakt versäumt: "Es ist wichtig, dass die Stadt jedes Jahr an die Wiedervereinigung erinnert", sagte sie.

(NGZ)
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