Otzenrath-Stipendiatin Ute Effland aus Hamburg Dorf-Schicksal bald im Metropolitan Museum

Otzenrath-Stipendiatin Ute Effland aus Hamburg · Freitag Nachmittag in Otzenrath. Inge Broska hat den Tisch im romantisch verwilderten Garten ihres Hauses an der Düsseldorfer Straße gedeckt. Altes Zwiebelmuster-Porzellan auf einer weißen Damast-Tischdecke, auf dem großen Kuchenblech duftet der noch warme Streuselkuchen, vermischt sich mit dem verlockenden Aroma von frischem Kaffee. Rundum dunkelblauer Rittersporn, weiße Margariten, hellrote Mohnblumen und Pfingstrosen. Sie beschäftigen sich intensiv mit einem sterbenden Dorf: Künstlerin Inge Broska (r.) und Stipendiatin Ute Effland wollen auf das Schicksal von Otzenrath aufmerksam machen. NGZ-Foto: L. Berns

Freitag Nachmittag in Otzenrath. Inge Broska hat den Tisch im romantisch verwilderten Garten ihres Hauses an der Düsseldorfer Straße gedeckt. Altes Zwiebelmuster-Porzellan auf einer weißen Damast-Tischdecke, auf dem großen Kuchenblech duftet der noch warme Streuselkuchen, vermischt sich mit dem verlockenden Aroma von frischem Kaffee. Rundum dunkelblauer Rittersporn, weiße Margariten, hellrote Mohnblumen und Pfingstrosen. Sie beschäftigen sich intensiv mit einem sterbenden Dorf: Künstlerin Inge Broska (r.) und Stipendiatin Ute Effland wollen auf das Schicksal von Otzenrath aufmerksam machen. NGZ-Foto: L. Berns

An der sonnendurchwärmten Wand des alten Ziegelbaus rankt sich verwilderter Wein. Vor wenigen Minuten ist Ute Effland, Stipendiatin des Otzenrath-Stipendiums, auf dem Bahnhof in Hochneukirch angekommen. Die 32-jährige Arbeitsplatz Ägypten Archäologin und freiberufliche Journalistin kommt aus Hamburg. Doch ihr Arbeitsplatz ist Ägypten, wo sie im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo seit zehn Jahren an Ausgrabungen teilnimmt.

Inge Broskas Arbeitsplatz und Lebensraum ist hingegen ihr kleines, rund 100 Jahre altes Haus, in dem vier Generationen gelebt haben, wo noch vor rund vier Jahrzehnten neben den Eltern, Großeltern und vielen Kindern aus der Nachbarschaft Hühner, Gänse, Schafe und ein Schwein sich den knappen Lebensraum teilten. Zwei Welten. Die eine, Ägypten mit seinen tief im Erdboden seit 3.000 Jahren schlummernden Schätzen und Hochkulturen, streng bewacht und beschützt.

Die andere, das rund 800 Jahre alte Dorf am linken Niederrhein durch Rheinbraun dem Untergang geweiht, wie viele andere Dörfer in der Umgebung auch: Kirchen, Klöster, Bauernhöfe, Rittergüter, Wasserschlösser, über tausend Jahre alte Steinkreuze, die am Wegesrand stehen und die Menschen vor Unheil und Zerstörung bewahren sollten. Vieles steht unter Denkmalschutz. Nutzt aber nichts. Im Sinne des Profits werden diese Denkmale vernichtet, um die Erde bis zu vierhundert Meter in der Tiefe aufzureißen, zu verletzten, um Braunkohle zu gewinnen und sie hiernach wieder alles zuzuschütten.

Inge Broska, die seit Jahren gegen die Zerstörung unwiederbringlicher Kulturlandschaften ankämpft, wirkt verbittert, wenn sie sagt: "Oft gehe ich in verlassene Häuser, wo es in den Ställen noch nach Schweinen, Kühen, Hühnern und Kaninchen riecht. Unbedeutende Dinge wurden zurückgelassen, die plötzlich große Bedeutung haben - Schlüssel, die in kein Schloss mehr passen, Badezimmerkacheln oder Kleiderhaken. Der Bagger rückt immer näher und ist nicht nur für alte Menschen, für die das Sterben ihres Dorfs mit dem eigenen Sterben identisch ist, eine massive Bedrohung."

Dörfer wie Otzenrath sind zu Gespensterstädten verkommen, vernagelte Türen und Fenster. Kaum mehr ein Mensch auf den Straßen. Hier hat die engagierte Künstlerin ihr Haus zum Museum erklärt, hier sammelt und archiviert sie all die alten Dinge, die ihr von Kindheit an vertraut sind. Ihr Haus ist inzwischen Treffpunkt von Menschen geworden, die diese Zerstörung nicht eingesehen wollen. Wie Ute Effland.

Erste Hinweise in Bonn

"Ich hatte im Frauenmuseum in Bonn eine Nische mit Bildern gesehen und in einer Zeitung über Inge Broska gelesen. Das Thema hat mich so tief berührt, dass ich mich um das Stipendium beworben habe", erklärt sie den Weg in das sterbende Dorf. Sie bleibt einen Tag und eine Nacht in Otzenrath, fährt mit ihrer Gastgeberin durch all die alten Dörfer, schaut sich wehmütig Rittergüter und Wasserschlösser an, streift durch verlassene Obstwiesen, geht an Bächen vorbei, die es bald nicht mehr geben wird, und meint: "Ich mische mich gern ein und will auf jene Kräfte aufmerksam machen, die unersättlich alles in sich hineinfressen, ohne wahrzunehmen, welche Welten sie verschlingen."

Im September arbeitet Ute Effland für einige Zeit in New York am Metropolitan Museum of Modern Art: "Dort werde ich Gelegenheit haben, international auf das Schicksal in Otzenrath hinzuweisen." M.H-L

(NGZ)
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