Kurth profitiert auch von der guten Abwehr Die Zeit der Einzelkämpfer ist vorbei

Von Volker Koch

Von Volker Koch

An überragenden Torhüterpersönlichkeiten herrscht kein Mangel in der Dormagener Handball-Geschichte: Ob der vor einem Jahr verstorbene Dieter "Olli" Bartke, ob Polens Nationalkeeper Rafal Bernacki oder ob Henning Wiechers. Überstrahlt werden alle natürlich von Andreas Thiel (von oben im Uhrzeigersinn) - der "Hexer" wird immer unerreicht bleiben. Gute Torhüter haben Tradition unterm Bayer-Kreuz. Dieter Bartke (1988 bis '91, 1994 bis '95)"Schön, wenn man in einem Atemzug mit solchen Namen genannt wird", sagt Joachim Kurth. So ist er eben: bescheiden.

Es sind nicht nur die hervorragenden Reflexe, die einen wirklich guten Torhüter auszeichnen. Diejenigen, die auf der Linie Kopf und Kragen riskieren, üben sich meist auch in Bescheidenheit. Von Oliver Kahn und einer Handvoll anderer Lautsprecher der Branche abgesehen, möchten die Männer zwischen den Pfosten selten im Mittelpunkt stehen. Joachim Kurth ist auch so einer.

Andreas Thiel (von 1992 bis 2000)

Gratulationen nach seiner tadellosen Leistung im Meisterschaftsspiel gegen den Handballclub Erlangen, mit der er Zweitligist TSV Bayer Dormagen den 25:22-Sieg über den Tabellenvorletzten rettete, wehrt er entschieden ab: "Dafür bin ich doch da." Dabei hatte der 33-Jährige nicht weniger als zwanzig Würfe der Erlanger Angreifer pariert, acht mehr als sein wahrlich nicht schwaches Pendant Martin Manz auf Seiten der Gäste. Und das nur acht Monate nach einer schweren Knieoperation, elf Monate nach jenem verhängnisvollen Zusammenprall mit dem Leutershausener Michael Spatz, nach dem mancher bereits das Karriereende des Joachim Kurth heraufdämmern sah... Kurth hat die Herausforderung eines Comebacks angenommen, in einem Alter, in dem viele auch ohne Verletzung ans Aufhören denken.

Torhüter sind da aus anderem Holz geschnitzt: Als sich Andreas Thiel nach seinem schweren Wadenbeinbruch, zugezogen in einer ganz ähnlichen Situation am 13. Februar 1994 in der Essener Grugahalle, wieder zurückmeldete in der Handball-Bundesliga, war der "Hexer" schon 35 Jahre alt. Kollege Stefan Hecker stellte sich mit 41 noch zwischen die Pfosten des VfL Gummersbach und ließ sich von Spielern die Bälle um die Ohren werfen, die fast seine Söhne hätten sein können...

Rafal Bernacki (2001)

Ob Joachim "Jojo" Kurth mit Vierzig auch noch im Wurfkreis herumhampelt und - seine von Trainern ob der latenten Zeitstrafen-Gefahr gefürchtete Spezialität - mit den Unparteiischen diskutiert, lässt er offen. Wenn das Knie hält, und das tut es im Moment, "auch wenn es noch ein bisschen unrund läuft", dann möchte er aber schon "noch ein paar Jährchen" spielen. Obwohl Kurth feststellt: "Die Belastungen werden ständig höher. Das Spiel wird immer schneller, die Häufigkeit der Würfe nimmt zu."

Für einen wie ihn, der sich anders als früher in Nettelstedt, Wuppertal oder anfangs auch in Dormagen nicht mehr nur auf den Handball konzentriert, nicht immer einfach. Kurth hat ein Studium als Diplom-Sport- und Touristikmanager abgeschlossen, arbeitet seit dem Zwangsabstieg der Dormagener aus der Bundesliga vor zweieinhalb Jahren im Management des Vereins. Tendenz der Aufgaben: steigend. "Manchmal bin ich beim Training ziemlich müde", gibt er zu. Wenn Trainer Kai Wandschneider anhand von Videoaufzeichnungen eigene und gegnerische Taktik erläutert, muss er mitunter dagegen ankämpfen, dass ihm die Augen zufallen. Keine böse Absicht. Denn Kurth weiß, dass solche Vorbereitung wichtig ist. Zwar sagt er: "Ich verlasse mich auf mich selber. Ich kann Situationen antizipieren, und die entsprechenden Reaktionen sind mir in Fleisch und Blut übergegangen." Dennoch gibt es für einen Handball-Torhüter "schon gewisse Regelmäßigkeiten, wie der Gegner wirft." Da sei es gut, wenn man entsprechende Vorbereitung hatte: "Besonders bei Siebenmetern ist das eine große Hilfe."

Henning Wiechers (1997 bis '98)

Die Zeit der Einzelkämpfer, sie scheint endgültig vorbei zu sein zwischen den Pfosten eines Handballtores. Anders als im Fußball, wo es die klare Hackordnung der klassischen "Nummer eins" gibt, agieren die Handballtorhüter eher im Team. "Außer in Nordhorn, wo Peter Gentzel mit Abstand die Nummer eins ist, haben die meisten Erstligisten zwei in etwa gleich starke Torhüter unter Vertrag", weiß Joachim Kurth.

Das hat der TSV Bayer Dormagen auch: "Ich sehe uns Torhüter als Team innerhalb des gesamten Teams", sagt der 33-Jährige mit Blick auf seinen dreieinhalb Jahre jüngeren "Vertreter" Matthias Reckzeh: "Wir haben eine sehr, sehr harmonische Beziehung." Da komme es nicht darauf an, wie viele Bälle der eine abwehre und der andere 'reinkriege: "Unser Job ist, gemeinsam so gut wie möglich zu sein." Das ist beiden, mit Ausnahme des 29:39-Debakels zum Saisonauftakt gegen die TSG Oßweil, bislang ausnahmslos gelungen: Mal fing Reckzeh an, mal Kurth, mal war der eine stark, dann der andere - das macht Bayer auch nicht so leicht ausrechenbar. Das Auswechseln erledigen die beiden meist per Blickkontakt in Eigenregie, der Trainer regiert nur in Ausnahmefällen in die autonome Torhüterrepublik hinein.

Ähnlich gut, erklärt Kurth, habe das Zusammenspiel in der vergangenen Saison bis zu seiner Verletzung auch mit Marcel Leclaire funktioniert. "Es freut mich, dass er jetzt seinen Weg macht", sagt er über den 24-Jährigen, der nun beim Liga-Rivalen SG Solingen die Nummer eins ist. "Ich bin sehr zufrieden mit meinen Spielanteilen, verstehe mich aber auch gut mit Gerry Eilers", verrät Leclaire über sein Verhältnis zum niederländischen Nationaltorhüter. In einem sind sich alle Keeper einig: "Gut hältst du nur im Zusammenspiel mit der Abwehr." Dass die das neue Markenzeichen des TSV ist, das hat Jojo Kurth "echt überrascht. Ich dachte eigentlich, wir würden unsere Spiele vorne gewinnen." Trotz der 39 Oßweiler Tore zum Auftakt hat nur Melsungen (203) weniger Gegentore kassiert als die Dormagener: 210 aus neun Spielen, das macht einen Schnitt von 23,3.

(NGZ)
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