Aus Abbruchhäusern alles Verwertbare demontieren Die „Wach-Ente“ hat das Sagen

Aus Abbruchhäusern alles Verwertbare demontieren · Von Simon Hopf

Von Simon Hopf

Die beiden Männer stapfen zielgerichtet über die matschige Wiese. "Mer söke so ne Tank he", erklärt der eine ohne grosse Umschweife, während der andere bereits das Passende gefunden zu haben scheint. Aus Dutzenden gut erhaltener, hinter- und nebeneinander aufgereihter Ölbehälter ist der Gewünschte mit 1500 Liter Fassungsvermögen schnell gefunden, das Geschäft im Nu besiegelt.

Sabine Vockenberg kassiert und nutzt anschliessend die kurze Pause, um sich in einer gemütlich-rustikalen Bretterbude mit holzbefeuertem Küchenofen ein wenig aufzuwärmen. Viel Zeit bleibt ihr nicht, denn schon rumpelt das nächste Fahrzeug auf den Hof der kleinen Firma. Das am Pfaffenpfad in Mersch zwischen Titz und Jülich ansässige Unternehmen ist darauf spezialisiert, aus Abbruchhäusern alles Verwertbare zu demontieren, um es später wieder zu verkaufen.

"Aber wirklich nur das, was noch brauchbar ist", betont Vockenberg. Insbesondere aus den besenrein verlassenen Häusern der vom fortschreitenden Braunkohlentagebau Garzweiler II betroffenen Menschen in Otzenrath, Holz und Spenrath kommt momentan viel herein. "Abbruchverwertung S. Vockenberg" betreibt Recycling im besten Sinne und handelt mit Materialien, die (noch) nicht in den Container oder auf die Kippe gehören.

Allein aus Gebäuden in Umsiedlungsgebieten beziehe der Betrieb seine Waren jedoch nicht, stellt Sabine Vockenberg im Gespräch klar, auch wenn die Umsiedlung natürlich viele Aufträge beschert - so wie bereits seit Jahrzehnten, zuletzt auch durch die Aufgabe des alten Dorfes Inden und einiger Nachbarortschaften in der Nähe von Jülich und Düren im Zuge der dortigen Braunkohlegewinnung. Über die einzelnen Schicksale und Geschichten rund um die diffizile Thematik der Umsiedlung permanent nachzugrübeln, verbietet das Geschäft. Aber: "Ich weiss, wie sich die Menschen fühlen." Schliesslich habe sie selbst lange in einem inzwischen umgesiedelten Ort im Revier gelebt, meint Sabine Vockenberg und schildert ein paar Eindrücke.

Doch zurück zum Wie, nämlich der Vorgehensweise in Sachen Abbruchverwertung. Auf eigene Faust wird Vockenberg nicht tätig. "Der von Rheinbraun beauftragte Abbruchunternehmer wendet sich an uns", erklärt die junge Frau, die das Geschäft von den Schwiegereltern übernommen hat. Auf Anforderung rücken die Mitarbeiter aus, bauen vom Fensterrahmen mit Doppelverglasung bis zum Lichtschalter das aus, was noch einen Käufer finden und bei Renovierungen oder (Altbau-) Sanierungen benutzt werden könnte.

Der Kundenkreis ist vor allem auf die nähere Region begrenzt, nur manche kommen auch schon mal von weiter her. Wer den Weg nach Mersch findet, sollte sich jedoch keinen unnötigen Illusionen hingeben, denn zum Schnäppchenpreis verramscht werden die sperrigen Artikel nicht. Auch wenn das gigantische Sammelsurium der Abbruchverwertung auf den ersten Blick an einen riesigen Flohmarkt erinnert, richtet sich das Geschäft nach festen Grundsätzen: "Unser Ziel ist es, die Sachen für den halben Neupreis wieder abzugeben", sagt Sabine Vockenberg und schaut über das vielgestaltige Sortiment, das sich auf dem Gelände ausbreitet - hier eine Palette, dort ein Haufen, daneben ein Stapel oder eine Kiste.

"Die Leute wollen stöbern kommen", erzählt sie. Deshalb solle auch nicht zuviel durchorganisiert werden. Den Kunden gefällt's. Manche kommen alle zwei Wochen vorbei, um unkompliziert auf Entdeckungstour zu gehen. Wer indes auf Nummer sicher gehen will, greift zum Hörer, um sich eine unnötige Anfahrt zu ersparen. Das Telefon klingelt, ein Interessent fragt ganz speziell nach einer grossen, grünen Badewanne: "Da muss ich passen", meint die 38-Jährige freundlich. Stattdessen sind unzählige Waschbecken in mehreren Farben und Formen vorrätig.

Bei Bedarf dürfte ein potenzieller Käufer bei Vockenberg also nicht lange suchen müssen. Dicht an dicht reihen sich in der scherzhaft so genannten Sanitärabteilung des zum Hof hin offenen Lagers die porzellanenen Hygienevorrichtungen aneinander und warten darauf, irgendwann und irgendwo wiederverwendet zu werden. Auch Haustüren, Steinplatten, Glasbausteine, Treppen- und Terrassengeländer, Feldbrandziegel, auseinandergenommene und entnagelte Dachsparren, Rohre oder Heizkörper - es gibt so gut wie nichts, was auf dem Betriebsgelände nicht aufzutreiben wäre. Und immer wieder Fenster: "Die verkaufen wir am meisten."

Echte Schätzchen, antike Kuriositäten gar, sind aber nur selten unter den Fundstücken aus den Abbruchgebäuden. Einige hübsch gemusterte Fliesen aus der Zeit um 1900, ein paar Bruchstücke von Kapitellen der Indener Pfarrkirche oder ein alter Bierkasten, in dem noch die Flaschen von Anno dazumal stehen, fallen momentan vielleicht unter diese Rubrik. In der Regel findet Vockenbergs Mannschaft in den leergeräumten Häusern nichts mehr, was Sammlerherzen wirklich zu Glückssprüngen reizen würde oder groß erwähnt werden müsste.

Manchmal gibt es aber auch Zufälle. So wie jenen, als mitten im Abbruch ein kleines Küken auftauchte, das sich mittlerweile zu einem stattlichen Erpel ausgewachsen hat: "Das ist unsere Wach-Ente", sagt Sabine Vockenberg schmunzelnd. Und schon watschelt "Quax", so der Name, neugierig schnatternd dem Besucher entgegen. Eh er sich's versieht, macht sich das gefiederte Wesen an den Schuhen zu schaffen. Die Ente liebt nämlich Schnürsenkel - jedem Tierchen sein Pläsierchen.

(NGZ)
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