Korschenbroich Der Padre der Straßenkinder

Korschenbroich · Für gut 6000 Straßenkinder in der bolivianischen Hauptstadt La Paz ist Josef Neuenhofer (73) ein Helfer in der Not. Der Pater aus Eicken hat ein Hilfswerk aufgebaut, das auf Spenden angewiesen ist.

Von seiner Arbeit erzählte der Borussen-Fan der NGZ bei seiner kurzen Visite im Borussia-Park.

Donnerstag kamen Sie aus Bolivien nach Deutschland. Freitag saßen Sie im TV-Studio und wurden von Frank Elstner interviewt. Samstag sind Sie im Borussia-Park, abends weiter nach Hamburg und dann wieder ins Flugzeug — warum tun Sie sich mit 73 Jahren diese Strapazen noch an?

Pater Neuenhofer Ich muss an die Zukunft der Kinder denken, die unser Hilfswerk in Bolivien betreut. Ich habe vor einigen Jahren die Stiftung Arco Iris gegründet, deren Erträge in die Arbeit in Bolivien fließen sollen. Diese Stiftung muss ich mit Geld versorgen.

Die TV-Sendung hilft dabei?

Neuenhofer Ich war schon vor ein paar Jahren in Frank Elstners Sendung, und anschließend gab es einen Geldregen aus Spenden. Ich hoffe, das ist auch diesmal so.

Ihre Heimatstadt Mönchengladbach wollten Sie auch wiedersehen?

Neuenhofer Ich bin mit Leib und Seele Borussen-Fan. Ich bin an der Bökelstraße aufgewachsen, also direkt am Bökelberg. Selbst die Elisabeth-Kirche, wo ich Messdiener war, lag nur hundert Meter vom Stadion entfernt.

Was hat Sie bewogen, nach Südamerika zu gehen? Sie hätten doch auch als Pfarrer in Deutschland bleiben können.

Neuenhofer Ich wurde vor 30 Jahren beim katholischen Hilfswerk Adveniat in die Kommission für Peru berufen. Einmal im Jahr fuhr ich in meinem Urlaub nach Peru, um dort Projekte zu begutachten. Dort habe ich die südamerikanische Kirche kennen und lieben gelernt. Die Kirche dort ist arm, aber den Menschen sehr viel näher als in Deutschland. Auch den Zukurzgekommenen, den Armen, Kranken, den Strafgefangenen, den alleinstehenden Müttern. Diese soziale Dimension liegt mir sehr am Herzen.

Dann sind Sie also einfach in Südamerika geblieben?

Neuenhofer Nein, ich habe zunächst in Deutschland meinen Bischof gefragt: Darf ich nach Südamerika? Er sagte zuerst immer: Nein! An meinem 54. Geburtstag rief mich der Bischof an, gratulierte und fragte, ob ich einen Wunsch hätte. Ich hätte an dieser Stelle sagen sollen, ein Buch oder eine Schallplatte. Stattdessen habe ich gesagt, ich möchte nach Südamerika! Wenn ich noch lange warte, bin ich zu alt, mit 70 Jahren kann ich das nicht mehr. Kurz darauf durfte ich fahren — erst mal für drei Jahre, hieß es.

Es scheint die richtige Entscheidung gewesen zu sein.

Neuenhofer Ich habe in Bolivien mein Glück gefunden. Ich wollte mein Leben mit einer einfachen Gemeinde teilen. Bekommen habe ich eine Pfarre mit 40 000 Einwohnern in einem Vorort von La Paz. Dort gab's kein Pfarrhaus, keine Mitarbeiter, kein Büro. Es hieß nur: Guck, dass Du einen Platz findest, wo Du übernachten kannst. Dann sagte mir der Bischof dort, ich solle mich der Straßenkinder annehmen. Zuerst hatte ich Bedenken, weil ich mit der Sprache noch nicht gut zurechtkam und weil ich die Arbeit in der Pfarre gründlich erledigen wollte. Aber dann hat der Bischof gesagt: Du bekommst einen jüngeren Mitbruder. Also konnte ich mich der Straßenkinder annehmen. Das mache ich jetzt seit 17 Jahren, und inzwischen betreuen wir 6000 Kinder.

Dass Straßenkinder hungern, obdachlos sind und keine Bildung erhalten, können sich Menschen in Deutschland vorstellen. Was können Sie darüber hinaus zur Situation sagen?

Neuenhofer Die Kinder haben schwere seelische Wunden, weil die meisten nie eine liebevolle Beziehung zu Mutter oder Vater kennengelernt haben. Das Leben auf der Straße hat sie gelehrt, zu lügen. Viele stehlen. In Bolivien werden sie "Wegwerfkinder" genannt, weil sie keiner haben will, sich keiner um sie kümmert. Pro Jahr verschwinden 15 000 Kinder in Bolivien. Sie werden von Menschenhändlerbanden für drei bis sieben Dollar ins Ausland verkauft. Mädchen landen in der Prostitution, Jungen im Bergwerk.

Einen Zugang zu den Kindern zu finden ist sicher schwierig.

Neuenhofer Nein, eigentlich nicht. Die Kinder kommen zu uns. Wir haben 23 Sozialarbeiter. Acht davon haben kein Büro, keinen Schreibtisch. Die sind auf der Straße, setzen sich in einen Hauseingang oder vor die Post, und die Kinder kommen zu ihnen. Die Kinder fragen, ob sie etwas zu essen bekommen können, oder sagen, dass sie Zahnschmerzen haben und Hilfe brauchen.

Sie haben Heime, in denen Kinder Obdach finden, bieten Ausbildung an, geben schwangeren Mädchen und Frauen Unterkunft und medizinische Versorgung . . .

Neuenhofer Ja, aber wir haben auch Projekte außerhalb von Häusern, zum Beispiel eine Schule auf Rädern. Denn Kinder, die nicht alphabetisiert werden, sind die Sklaven von morgen. Wir haben auch eine Sparkasse, die das Geld verwaltet, das Kinder auf der Straße verdienen, beispielsweise als Schuhputzer. Das ist ein pädagogisches Projekt. Die Kinder können lernen, Geld zu sparen, wenn sie mal einen halben Euro mehr verdient haben, als sie unbedingt brauchen.

Wie viel Geld brauchen Sie, um ein Kind zu versorgen?

Neuenhofer Für ein Kind in einem unserer Heime brauche ich 1,20 Euro pro Tag.

Das heißt: Mit einer Spende von ungefähr 400 Euro kann man ein Kind ein ganzes Jahr unterstützen.

Neuenhofer Ja.

Gibt es etwas aus Ihrer Heimat, das Sie in Bolivien vermissen?

Neuenhofer Ich vermisse drei Dinge: die deutsche Weihnacht, den deutschen Karneval und Borussia Mönchengladbach — sonst habe ich alles.

(NGZ)
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