Fechter des TSV Bayer Dormagen „Bei Olympia haben doch alle die Hosen voll“

Interview | Dormagen · Der TSV Bayer Dormagen ist im neunköpfigen Aufgebot des Deutschen Fechter-Bundes für Tokio mit vier Athleten vertreten.

 Die Säbelfechter des TSV Bayer Dormagen: (v.l.) Matyas Szabo, Richard Hübers, Benedikt Wagner, Trainer Vilmos Szabo und Max Hartung.

Die Säbelfechter des TSV Bayer Dormagen: (v.l.) Matyas Szabo, Richard Hübers, Benedikt Wagner, Trainer Vilmos Szabo und Max Hartung.

Foto: Wolfgang Walter

Am Samstag besteigen die Säbelfechter des TSV Bayer Dormagen den Flieger nach Tokio. Vorher nahmen sich Max Hartung (31 Jahre), Benedikt „Peter“ Wagner (31), Matyas Szabo (29), Richard Hübers (28) und Bundestrainer Vilmos Szabo am heimischen Höhenberg die Zeit, um mit der NGZ-Sportredaktion darüber zu reden, mit welchen Zielen, aber auch mit welchen Gefühlen sie diese ganz und gar außergewöhnlichen Olympischen Spiele in Angriff nehmen.

Herr Hübers, im Gegensatz zu Ihren Teamkollegen sind Sie zum ersten Mal bei Olympia am Start. Schon nervös?

RICHARD HÜBERS Tatsächlich war ich bei der Trainingseinheit am Montag zum ersten Mal nervös, ja eigentlich eher unzufrieden mit mir. Vor allem deshalb, weil ich mich in den internen Gefechten über meine Fehler geärgert habe. Die sollten mir in Tokio besser nicht passieren.

Herr Hartung, Sie waren schon 2012 in London und 2016 in Rio dabei. Wo liegen die Unterschiede zu Welt- und Europameisterschaften?

MAX HARTUNG Normalerweise im viel größeren Medieninteresse. Das aber ist in diesem Jahr wegen Corona nicht so. Viele Veranstaltungen schon im Vorfeld, etwa die offizielle Verabschiedung der Olympia-Mannschaft, fallen einfach aus.

Stichwort Corona: Der inzwischen verhängte Ausschluss von Zuschauern sorgt im Lager der Sportler für Diskussionen. So sagte der Australier Nick Kyrgios als nächster Tennisstar ab. Der Gedanke, vor leeren Stadien zu spielen, passe einfach nicht zu ihm. In Tokio werden auch die Superstars Rafael Nadal (Spanien) und Serena Williams (USA) fehlen. Wie stehen Sie dazu?

HARTUNG Es geht auch mit wenigen oder gar keinen Zuschauern. Natürlich ist die Enttäuschung groß, das habe ich auch bei anderen wahrgenommen. Aber wir Sportler wollen Sport machen. Dafür habe ich jetzt fünf Jahre trainiert. Und mit Blick auf die vollen Stadien bei der Fußball-EM bin ich sogar froh, dass es in Japan anders gehandhabt wird.
BENEDIKT WAGNER Uns war immer klar, dass das komplett anders wird als bei den vorangegangenen Sommerspielen. Meine Hoffnung ist, dass es nicht zu Corona-Ausbrüchen kommt.

Wie beim Weltcup Mitte März in Ungarn, bei dem Sie und Matyas Szabo zu den Infizierten gehörten.

WAGNER Ja. Aber ich habe das gut verarbeitet. Ich würde an den Spielen in Tokio nicht teilnehmen, wenn ich es für grob fahrlässig hielte.

Und seit dem Weltcup in Budapest wissen Sie und ihre Teamkollegen ja, wie Sie sich mittels Wasser- und Reiskocher auf dem Hotelzimmer selber verpflegen können.

WAGNER Das dürfte in Japan nicht nötig sein, dafür gibt es ja das Olympische Dorf ...

... das Sie als vierter Fechter der Säbelmannschaft mit einer P-Akkreditierung vielleicht gar nicht betreten dürfen, Herr Hübers.

HÜBERS Ob ich in einem der benachbarten Hotels bleiben muss, ist noch nicht raus. Wäre auch schön blöd, denn wir brauchen vier Leute zum Kartenspielen.

Aber Skat spielt man doch zu dritt, oder wie?

HARTUNG (grinsend) Wir spielen Whist, das ist nicht so anspruchsvoll.

HÜBERS Dabei spielt eigentlich jeder gegen jeden. Aber bei uns spielen immer alle gegen Max!

Wie gut, dass Sie als Mannschaft schon seit vielen Jahren zusammen sind. Wer schläft bei Turnieren oder im Trainingslager eigentlich in einem Zimmer?

MATYAS SZABO Die Aufteilung ist seit Jahren gleich: Richie und ich, Max und Peter.

Aber damit ist es nach Olympia vorbei. Denn Sie sind der einzige Athlet aus diesem Erfolgsquartett, der seine Fechtkarriere fortsetzt.

SZABO Ja, das stimmt. In Dormagen wird sich in Zukunft einiges ändern.

Aber bis Paris 2024 sind es nur noch drei Jahre. Warum ist trotzdem Schluss?

HARTUNG Mit den Stationen als Athletensprecher des Deutschen Fechter-Bundes, als Vorsitzender der Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), als Mitglied im Aufsichtsrat der Stiftung Deutsche Sporthilfe und Gründungspräsident des Athleten Deutschland e.V. war die Richtung für meine berufliche Zukunft irgendwie klar. Als das dann mit der Stelle als Geschäftsführer der Sportstiftung NRW geklappt hat, habe ich die große Chance, weiter für die Belange der Sportler zu arbeiten, ergriffen.

WAGNER Ich habe gemerkt, dass es Zeit für eines neues Kapitel in meinem Leben ist, auch beruflich, denn das Fechten war über viele Jahre schon ein Job. Ich würde mich gerne mal im Boxen versuchen, wenn auch nicht im Ring. Und ich tanze gerne, aber ich kann’s nicht.

HÜBERS Nach meinem Bachelor in VWL an der Uni in Köln schreibe ich mich am Donnerstag für das in Wien angebotene Masterstudium „Research in Economics and Finance“ ein. Ein neuer Abschnitt in meinem Leben, schließlich bin ich schon mit 15 Jahren aus Solingen nach Dormagen gewechselt, um meinen Sport leistungsorientiert betreiben zu können.

Eine Medaille bei Olympia würde den Abschied veredeln. Was ist drin in Tokio? 2012 in London belegte die Mannschaft Rang fünf, 2016 in Rio gab es keinen Teamwettbewerb im Säbelfechten. Fangen wir an mit dem Trainer, der in Japan schon seine neunten Olympischen Spiele als Aktiver oder Coach erlebt.

VILMOS SZABO Alles ist möglich: zwei, drei Medaillen oder gar nix.

WAGNER Im Mannschaftswettbewerb wollen wir natürlich eine Medaille holen. Im Einzel fühle ich mich nach meiner langen Verletzungspause und überstandener Corona-Infektion ganz wohl in meiner Comeback-Rolle. Ich mache mir da keinen Stress.

MATYAS SZABO WM und EM gibt es jedes Jahr, Olympische Spiele nur alle vier oder – wie jetzt – fünf Jahre. Das ist was anderes, darauf kannst du dich nicht vorbereiten. Alle haben die Hosen voll, alles geht nur noch über den Kopf. An dem einen Tag kann alles passieren – du siehst selten, dass die Nummer 1 der Weltrangliste Gold holt. Darum finde ich es eigentlich gar nicht so schlecht, dass wir im Gegensatz zu anderen Teams erst eine Woche vor unserem Wettkampf anreisen. Schnell rein und wieder raus!

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort