Leichtathletik Als die Kelly-Family den Zeitplan sprengte

Neuss · Olympiasieger Dieter Baumann und die Kelly-Geschwister lockten tatsächlich mal 5000 Zuschauer zum Crosslauf auf die Neusser Galopprennbahn.

 Der mit der Startnummer 1 ins Rennen gegangene Olympiasieger Dieter Baumann musste sich beim Crosslauf auf der Neusser Galopprennbahn vor 5000 Zuschauern nur dem dem Kenianer Wilson Chemweno geschlagen geben.

Der mit der Startnummer 1 ins Rennen gegangene Olympiasieger Dieter Baumann musste sich beim Crosslauf auf der Neusser Galopprennbahn vor 5000 Zuschauern nur dem dem Kenianer Wilson Chemweno geschlagen geben.

Foto: Archiv

Mit der Beantwortung dieser Frage könnte man beim Sportquiz ganz schön punkten: Was haben der Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten RB Leipzig, der ehemalige Leadsänger der Kelly-Family und der Mann, der 1972 in München das olympische Feuer entzündete, gemeinsam? Sie waren alle bei einem Crosslauf auf der Neusser Galopprennbahn am Start.

Oliver Mintzlaff, der im Sommer seinen Vertrag beim Deutschen Vizemeister vorzeitig bis 2026 verlängerte, war im Trikot der LG Bonn-Troisdorf einer der besten deutschen Langstreckler, nicht nur, aber vor allem im Crossgeläuf. Sechs Mal vertrat der heute 46-Jährige die deutschen Farben bei Cross-Europameisterschaften. Im Dezember 2000 belegte er bei der siebten Auflage der Asics-Cross-Challenge auf der Neusser Galopprennbahn auf der Männer-Langstrecke Platz zwei hinter dem Münchner Sebastian Hallmann – und erreichte das Ziel mit nur einem Schuh, der andere war im tiefen Sandgeläuf stecken geblieben. Mintzlaff konnte es verschmerzen, war er doch damals bereits im Marketingbereich von Puma tätig.

 War als Zuschauer auf der Galopprennbahn: Joey Kelly.

War als Zuschauer auf der Galopprennbahn: Joey Kelly.

Foto: Armin Fischer ( arfi )

Andere Erinnerungen an den Lauf am Hessentor dürfte Joey Kelly haben. Zwei Jahre nach Mintzlaffs Missgeschick begnügte er sich damit, seine – um es vorsichtig auszudrücken – wenig Crosslauf-erfahrene Schwester Maite im Jedermannlauf zu begleiten. Was die Organisatoren mächtig ins Schwitzen und den Zeitplan arg durcheinander brachte, denn Maite war nicht gerade die Schnellste. Schließlich wurde dem prominenten Duo nach Rücksprache mit dem Kampfgericht eine Runde „geschenkt“ – was der Begeisterung der (zumeist weiblichen) jugendlichen Fans keinen Abbruch tat. Für viele von ihnen dürfte es der erste (und wahrscheinlich auch der letzte) Besuch eines Crosslaufs gewesen sein. Die Kelly-Geschwister sorgten gemeinsam mit Dieter Baumann, der sich ein paar Stunden später im Hauptlauf nur dem Kenianer Wilson Chemweno geschlagen geben musste, für einen Rekord: 5000 Zuschauer dürfte es bei einem Crosslauf in Deutschland vorher (und nachher) höchstens 1977 gegeben haben, als die Weltmeisterschaften auf der Düsseldorfer Galopprennbahnn ausgetragen wurden. Ganz schön voll war es auch am 27. und 28. Februar 1982 gewesen. „Mehr als dreitausend Zuschauer“ und ein „positives Echo unter den Aktiven“ notiert eine zeitgenössische Chronik anlässlich der Deutschen Crosslauf-Meisterschaften, die die kleine, aber feine Leichtathletik-Abteilung der DJK Gnadental auf dem Areal am Hessentor ausrichtete. Verantwortlich dafür zeichnete Adam „Adi“ Rosenbaum, der ebenso legendäre wie nicht unumstrittene Trainer, unter dessen Fittichen Talente wie Martin Grüning, Ralf Kionke, Thomas Hibbe, Udo Munderloh und Bernd Rangen heranwuchsen. Mit diesen (und anderen) Schützlingen reiste Rosenbaum im Winter stets im klapprigen VW-Bus zu Crossläufen nach Belgien. Die besaßen damals den Charakter eines Volksfestes, bei dem oftmals das ganze Dorf mithalf. Als Umkleiden dienten die Klassenräume der Dorfschule – und um die schlammverkrusteten Spikes säubern zu können, stellten die Anwohner kurzerhand wassergefüllte Zinkwannen vor ihre Haustür.

In Neuss ging es da vergleichsweise komfortabel zu. Als DM-Ausrichter hatte sich Rosenbaum mit drei internationalen Crossläufen auf dem Rennbahn-Areal, dem letzten 1981, empfohlen. Es war die Zeit, als Deutsche Crosslauf-Meisterschaften nicht nur so etwas wie das „Familienfest“ der deutschen Leichtathletik waren, sondern auch wie selbstverständlich zum Wettkampf-Programm der Spitzenläuferinnen und -läufer gehörten. Um das zu erkennen, genügt ein Blick auf die Siegerliste von Neuss 1982: Auf der Männer-Langstrecke setzte sich Ralf Salzmann vor Christoph Herle und Hans-Jürgen „Sehne“ Orthmann durch – der Mann vom Westerwälder Dorfklub VfL Wehbach war 1980 Crosslauf-Vizeweltmeister geworden und wurde anderthalb Jahre später (am 16. Juni 1983) Premierensieger des Neusser Sommernachtslaufs. Auf der Mittelstrecke belegte Thomas Wessinghage Platz zwei hinter Uwe Mönkemeyer, und bei den Frauen hießen die Siegerinnen Charlotte Teske (ASC Darmstadt) auf der Lang- und Brigitte Kraus (ASV Köln) auf der Mittelstrecke – alles Namen, die auch heute noch in der Leichtathletik eine herausragende Stellung einnehmen. Nicht zu vergessen Petra Maak, die unter ihrem Geburtsnamen Petra Sander den Titel bei der weiblichen Jugend A gewann.

Zum Charakter des „Familienfestes“ passte auch, dass, vor allem auf der Männer-Langstrecke, die Mannschaftswertung mindestens ebenso wichtig war wie der Titel in der Einzelwertung. Und hier kommt Günter Zahn ins Spiel: Als 18-Jähriger durfte er am 26. August 1972 als Schlussläufer die olympische Fackel ins Münchner Olympiastadion tragen und das olympische Feuer entzünden. Später sammelte er vornehmlich im Trikot der LAC Quelle Fürth 23 Deutsche Meistertitel, darunter den 1982 bei der Cross-DM in Neuss. Da setzten sich die Fürther in der Besetzung Christoph Herle, Reinhard Leibold und Günter Zahn souverän in der Teamwertung vor der LG Frankfurt durch – und feierten den Erfolg am Samstagabend im „Further Hof“ stilgemäß in Lederhosen und (mitgebrachtem) bayerischen Bier.

Den „Further Hof“ gibt es schon lange nicht mehr, aus der Galopprennbahn soll ein Bürgerpark werden – doch die ansteckende Begeisterung für Crossläufe ist zumindest bei einigen wenigen immer noch ungebrochen.

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