Handball Wo (fast) jeder jeden schlagen kann

Analyse Die Favoriten stehen zwar vorne, ansonsten verlief die Hinrunde in der Zweiten Handball-Bundesliga aber alles andere als normal. Der TSV Bayer Dormagen ist die große Überraschung –und die HSG Krefeld stellte einen neuen Minusrekord auf.

Die Tabelle, so lautet eine immerwährende Sportweisheit, lügt nie. Im Falle der Zweiten Handball-Bundesliga ist das aber nur die halbe Wahrheit. Denn wer nur die Tabelle zum Ende der Hinrunde mit den Prognosen zu Saisonbeginn vergleicht, wird denken: alles ganz normal in der stärksten Zweiten Liga der Welt. Dabei erzählen die absolvierten 153 Spiele – das zwischen ASV Hamm und VfL Gummersbach wird am 30. Dezember nachgeholt – eine ganz andere Geschichte.

Denn so spannend und so eng ging es noch nie zu, seit 2011 die eingleisige Zweite Liga eingeführt wurde. Spitzenreiter HSC Coburg hat nach 17 Spielen bereits acht Minuspunkte auf seinem Konto. Nur mal zum Vergleich: Die Spielzeit 2017/18 schloss der Bergische HC mit sechs Minuspunkten ab, ein Jahr zuvor der TuS N-Lübbecke mit zwölf, 2015/16 waren es beim HC Erlangen zehn und 2014/15 beim SC DHfK Leipzig 14. Und in der vergangenen Saison wurde die HBW Balingen/Weilstetten mit 15 Minuspunkten Meister – dabei waren in all diesen Spielzeiten mindestens vier Partien mehr zu absolvieren als in der laufenden.

Die Reduzierung auf 18 Klubs scheint der Liga gut getan zu haben, die Leistungsunterschiede sind nicht mehr so groß. Was sich auch in den Punktabständen widerspiegelt: TuSEM Essen auf Platz vier trennen gerade mal vier Zähler von der DJK Rimpar auf Rang zehn. Rimpar seinerseits ist nur sechs Punkte vom HC Elbflorenz entfernt, der als 16. am Saisonende in die Abstiegsrelegation müsste.

Will heißen: In dieser Liga kann (fast) jeder jeden schlagen. Mit einer Ausnahme: Die HSG Krefeld stellte mit zwei Punkten aus 17 Hinrundenspielen einen neuen Minusrekord auf – den hielten bislang die Rhein Vikings, die es vor Jahresfrist auf drei Zähler brachten und damit Eintracht Baunatal (5 Punkte in der Saison 2014/15) ablösten. Kurios: Ihren einzigen Sieg holten die Krefelder, die sich inzwischen (als bislang einziger Zweitligist) von ihrem Trainer Stefan Arnar Gunnarsson getrennt haben, im Lokalduell gegen den TSV Bayer Dormagen.

Dabei sind die Dormagener „die“ positive Überraschung dieser Hinrunde. Mit 20:14 Punkten und Tabellenplatz fünf hatte beim Vorjahresaufsteiger, der nach den Abgängen von Lukas Stutzke und Tim Wieling in die Erste Liga nominell eher geschwächt in seine zweite Saison ging, keiner gerechnet – Platz zwölf lautete das Saisonziel. Auf den dort residierenden TuS Ferndorf haben die Bayer-Handballer zur Halbzeit sechs Punkte Vorsprung.

Doch genau diese Ferndorfer sollten Warnung genug sein. Vor Jahresfrist galten die Siegerländer als „die“ positive Überraschung der Hinrunde, die sie auf Rang vier beendeten. Trotzdem gerieten sie zwischenzeitlich in Abstiegsgefahr und landeten am Ende auf Platz acht. Und in der Spielzeit 2019/20 gilt in einer Liga, in der (fast) jeder jeden schlagen kann, noch mehr: eine Schwächephase kann sich keiner erlauben.

Denn obwohl nur noch zwei (statt fünf) direkte Absteiger gesucht werden, tobt ein erbitterter Abstiegskampf. Akut gefährdet sind alle Teams ab Platz zwölf (TuS Ferndorf, HSG Konstanz, VfL Lübeck-Schwartau, TV Hüttenberg, HC Elbflorenz, TV Emsdetten und die kaum noch zu rettende HSG Krefeld). Doch im „Mittelfeld“ zwischen Dormagen (5. mit 20:14 Punkten) und dem EHV Aue (11. mit 16:18) sollte sich keiner zu sicher fühlen.

Für den TSV Bayer spricht neben der offensichtlich stabilen Schönwetterfront über dem Höhenberg – fünf Siege aus den jüngsten sechs Spielen – auch das Restprogramm der Rückrunde. Neun Heimspiele stehen auf dem Zettel, davon nur eines gegen einen vor ihnen platzierten Kontrahenten (am 8. Mai gegen den ASV Hamm). Und im Bayer-Sportcenter haben die Dormagener bisher nur gegen die Top-Teams aus Coburg (1.) und Gummersbach (3.) Punkte gelassen ...

Doch Prognosen sind schwierig in dieser Liga. Tendenzen sind freilich vor dem Rückrundenstart am Donnerstag und Freitag erkennbar: Die zwei Aufsteiger macht wohl das Trio Coburg, Hamm und Gummersbach unter sich aus, den einen der beiden direkten Absteiger stellt die HSG Krefeld. TV Emsdetten, HC Elbflorenz und TV Hüttenberg sind die heißesten Kandidaten für den anderen Abstiegsplatz sowie Rang 16, der in die Relegation gegen einen der Drittliga-Meister führt. Doch in einer Liga, wo (fast) jeder jeden schlagen kann, kann das am 23. Mai alles ganz anders aussehen.

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