Galopp Als auf Neusser Gras Legenden entstanden

Neuss · Am Dienstag gibt es erstmals Grasbahnrennen unter Flutlicht auf der Neusser Galopprennbahn. Um das Geläuf ranken sich viele Geschichten.

 Die Grasbahn vor dem Umbau. 1994 kam sogar Jockey-Legende Lester Piggott (oben r.) nach Neuss, verlor aber gegen Andrasch Starke (bei der Siegerehrung mit Trainer Heinz Jentzsch, 3. v.l.). Filip Minarik und Hein Bollow sind Stammgäste auf der Bahn, auf der sich Georg Bocskai und Lutz Mäder (u.v.l.) 1979 ein hartes Duell lieferten.

Die Grasbahn vor dem Umbau. 1994 kam sogar Jockey-Legende Lester Piggott (oben r.) nach Neuss, verlor aber gegen Andrasch Starke (bei der Siegerehrung mit Trainer Heinz Jentzsch, 3. v.l.). Filip Minarik und Hein Bollow sind Stammgäste auf der Bahn, auf der sich Georg Bocskai und Lutz Mäder (u.v.l.) 1979 ein hartes Duell lieferten.

Foto: K. J. Tuchel (3), Benefoto, G. Müller

Neuss Wenn am kommenden Dienstag auf der Neusser Galopprennbahn erstmals in Europa Grasbahnrennen unter Flutlicht stattfinden und diese Rennen auch noch nach Frankreich und in Teile der Schweiz und Spaniens übertragen werden, dann wird eine Geschichte fortgeschrieben, die für den Umbau der Bahn unterbrochen wurde. Diese Geschichte der Grasbahn in Neuss ist voller ungewöhnlicher Ereignisse - an die sich mancher gerne erinnert, der auch am Dienstag bei der Premiere dabei sein wird.

Am 14. August 1994 wurde in Neuss das Europa-Gruppe III-Rennen um den Buchmacher-Stutenpreis ausgetragen. Unter wechselnden Titeln war das stets der sportliche Höhepunkt der Neusser Galoppsaison und mit 150 000 Mark dotiert. Erstmals erschien in Neuss der populärste Jockey der Welt, Lester Piggott aus England. Mit damals 57 Jahren befand er sich zwar schon im Spätherbst seiner großen Karriere und eine Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung stand ihm noch bevor, doch zum Verlieren war der Jockeykünstler nicht nach Neuss gekommen.

Doch dazu kam es, weil ein damals 20 Jahre alter Jockey namens Andrasch Starke im Sattel der Stute Risen Raven aus dem Gestüt Fährhof dem großen Piggott im Sattel der Stute Oenothera den Sieg um einen Kopf entriss und ein bedröppelter Piggott das kaum fassen konnte. Der heute 40 Jahre alte Starke, gerade von einer schweren Sturzverletzung in Japan wieder kuriert, sagt heute über diesen Tag in Neuss: "Damals habe ich das überhaupt nicht so recht wahrgenommen. Heute ist mir bewusst, was passiert ist. Es war schon eine Ehre, überhaupt den Fährhofer Renndress zu tragen und für Trainer Heinz Jentzsch reiten zu dürfen. Ich glaube, es war mein erster Ritt für Fährhof. Lester Piggott war und ist nicht nur ein Begriff auf den Rennbahnen. Den Mann kennt man weltweit und ich habe diese Kultfigur damals in Neuss im Endkampf besiegt. Wenn mein Sohn groß genug ist, werde ich ihm davon erzählen."

Starke reitet am Dienstag in Neuss: "Das habe ich immer schon gern getan. Ich mag die Bahn und hoffe, dass die Grasbahn auch stabil ist." Lester Piggott indes wird in Kürze 79 Jahre alt, besucht die Rennbahnen als eine Art Botschafter auf Lebenszeit und erfreut sich des Lebens an der Seite seiner deutlich jüngeren Ehefrau Barbara Fitzgerald, die unter ihrem Mädchennamen Zindel in Köln im Vorzimmer des heute 87-jährigen Ex-Chefmanagers Hans-Heinrich von Loeper arbeitete, der selbstverständlich am Dienstag in Neuss antritt. Am Rande: Der Wettumsatz damals betrug in zehn Rennen umgerechnet 506 548 Euro.

Auch Hein Bollow wird kommen. Was Lester Piggott für England war und ist, das ist Bollow in Deutschland. Er ist 94 Jahre alt, hat als Jockey und Trainer mehr als 1000 Renne gewonnen. Er lebt in einer Kölner Senioren-Residenz in Rennbahnnähe und weil ihn Jockey Filip Minarik so oft zu den Rennen mitnimmt, wie es eben geht, gibt es im Grunde keinen wichtigen Renntag hierzulande ohne Bollows Anwesenheit. Leider hört er nichts mehr, was die Kommunikation erschwert. Aber es genügt ein Stichwort auf einem Zettel -und Bollow legt los. Das wäre auch im Fall Revlon Boy so. Es geht in dieser Geschichte aber weniger um Revlon Boy, sondern eher um Königsstuhl. Das ist der legendäre Hengst aus dem Traditionsgestüt Zoppenbroich der Familie Bresges aus Rheydt. Sven von Mitzlaff hat dieses Pferd trainiert. Bis heute ist Königsstuhl der einzige Triple-Crown-Sieger Deutschlands mit Erfolgen im Henckel-Rennen in Gelsenkirchen-Horst, dem Derby in Hamburg und dem St. Leger in Dortmund. Immer mit dem vor zwei Jahren verstorbenen Jockey Peter Alafi im Sattel.

Weil Trainer Sven von Mitzlaff eine hohe Meinung von der Neusser Bahn hatte, ließ er seine jungen Pferde dort ebenso gern laufen wie in Krefeld. Die Heimatbahn in Köln wurde dafür eher gemieden. Also musste auch Königsstuhl in Neuss antreten. Zum Saisonauftakt seines großen Jahres 1979 am 25. März im Frühlings-Rennen ging er mit Franz Puchta an den Start und verlor gegen das Speedpferd Revlon Boy, mit dem Lutz Mäder das Mitzlaff-Pferd mit einem Hals-Vorsprung besiegte. Revlon Boy gehörte der Neusser Bäckerfamilie Arras.

Lutz Mäder, 63 Jahre alt, lebt mit Gattin Erika in Krefeld. Sie trainiert und ist Präsidentin des Trainer-und Jockeyverbandes. Alles nach einem filmreifen Leben mit spektakulären Fluchten und Haft in der ehemaligen DDR. Am 30. Dezember 1979 (der 18. Renntag des Jahres) stand Neuss wieder einmal im Blickpunkt der deutschen Turf-Öffentlichkeit. Vor großem Publikum mit Riesenstimmung kämpften Lutz Mäder, damals gerade 28 Jahre alt, und der 20-jährige Georg Bocskai um den Titel des Jockey-Champions.

Mäder: "Georg hatte drei Wochen vorher schon den Jockeydiener Michel Schmitz gebeten, drei Flaschen Champagner auf sein Championat zu öffnen. Er führte mit klarem Vorsprung. Ich habe ihm aber gesagt: Hoffentlich musst du die nicht wieder zumachen." So kam es dann auch. Mäder holte Punkt für Punkt auf und schließlich war der Gleichstand hergestellt. Nach einem fast schon folkloristischen Vorgeplänkel um die Ritte saß Mäder beim Finale auf dem Hengst Mount Cook und Bocskai auf Galaxor. Eingangs der Zielgeraden drängte Bocskai seinen Gegner auf dem besser gehenden Pferd brüsk und eher radikal nach außen, um ihn aus dem Schwung zu bringen. Das misslang.

Lutz Mäder gewann und wurde Champion, Bocskai für drei Wochen gesperrt und Mäder orderte beim damals kultigen Jockeydiener Michel Schmitz sechs Flaschen Champagner. Die Rennleitung an diesem Tag bestand aus den Herren Arthur Deschner, Dr. Peter Tasch und dem in seiner Heimatstadt Neuss bestens bekannten Dr. Wiljo Heyers. Tasch agiert auch am kommenden Dienstag, die anderen Herren sind verstorben. Präsident in dieser bedeutenden Ära war Dr. Ernst Heitzmann, ein enger Vertrauter von Hans-Heinrich von Loeper. Ob es derartige Ereignisse auf der neuen Grasbahn wieder geben wird?

(kgö)
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