Handball Der Welpenschutz ist abgelaufen
Dormagen · Der TSV Bayer Dormagen ist dabei, seine gute Ausgangsposition und seinen guten Ruf als kecker Aufsteiger in die Zweite Handball-Bundesliga zu verspielen. Das 27:36-Debakel gegen Eintracht Hagen war der vorläufige Tiefpunkt einer bedenklichen Entwicklung – Konsequenzen sind gefordert.
Zehn Spieltage nach Beginn der 2. Handball-Bundesliga steht der TSV Bayer Dormagen da, wo er auf gar keinen Fall stehen wollte in der ersten Spielzeit nach dem Wiederaufstieg: auf einem Abstiegsplatz. Und nimmt man die Leistung, die der Neuling am Freitagabend beim 27:36-Debakel gegen Eintracht Hagen bot, zum Maßstab, steht er dort vollkommen zu Recht.
Nun könnte man ein solches Spiel als Ausrutscher einsortieren, zumal die Ausgangsposition, es ohne den kurzfristig erkrankten Ulli Kriebel auf der Trainerbank bestreiten zu müssen, sicher nicht die einfachste war. Doch diese 60 Minuten, von denen die Dormagener mindestens 50 chancenlos waren, bildeten den Kulminationspunkt dessen, was aufmerksame Beobachter schon in den voraufgegangenen Partien erkannt hatten: Der Aufsteiger besitzt das Potenzial, vielleicht jede Mannschaft in dieser Liga zu schlagen, doch er setzt es nicht um.
Ihm mangelt es an Disziplin, an Ordnung, an einer klaren Hierarchie im Teamgefüge, er spielt eher wie eine Jugendmannschaft statt wie ein (semi-)professionelles Ensemble, das den klaren Auftrag hat, die Klasse zu halten. Manchmal funktioniert das, wenn der Gegner den (aus seiner Sicht) Fehler begeht, sich auf ein solches „Spielsystem“ einzulassen. Dann kommt es zu wilden „shot and run“-Spielen wie gegen TuSEM Essen (34:35), die zwar hohen Unterhaltungswert besitzen, im Kampf um den Ligaverbleib aber wenig zielführend sind.
Der wird nämlich in der Deckung gewonnen. Erst wenn die steht, kann eine Mannschaft versuchen, auf der anderen Seite des Spielfelds zu zaubern. Gegen Hagen war die Dormagener Deckung nicht einfach schlecht, sie war überhaupt nicht vorhanden. Wer in einem Heimspiel von Beginn an der Musik hinterherläuft, aber nach 46 Minuten die erste (und einzige) Zeitstrafe kassiert, der muss sich fragen, ob er weiß, dass Handball eine Kontaktsportart ist. Die Hagener gewannen nicht die Zweikämpfe – es gab keine. Was nicht daran liegt, dass die Dormagener alles nette Jungs sind, die ein körperloses Spiel bevorzugen. Sondern daran, dass sie im Kopf schon dabei sind, den nächsten Angriff vorzubereiten, obwohl der des Gegners noch gar nicht abgeschlossen ist. Das lässt sich mit Zahlen belegen: Sechs Gegentreffer resultierten aus Abprallern (nach Pfostenwürfen oder Torwartparaden), die die Hagener Angreifer vollkommen ungehindert aufnehmen und verwandeln konnten. Und es kommt nicht von ungefähr, dass der bisher einzige Heimsieg, das 25:22 gegen den Wilhelmshavener HV, gerade nicht aus Tempo-Handball resultierte.
Die Folge: Der TSV Bayer Dormagen stellt nach zehn Spieltagen die mit Abstand schlechteste Defensive der Liga. 312 Gegentore bedeuten 31,2 pro Spiel, zieht man das eben erwähnte gegen Wilhelmshaven ab, wird die Quote (32,2) fast schon unterirdisch. Der Abstand auf die nächstschlechtesten Klubs – EHV Aue (28,7), Rhein Vikings (27,9) und Eintracht Hagen (27,4) – ist schon beträchtlich. Und die Fülle an Gegentreffern liegt nicht allein an den viel kritisierten Torhütern, denn sie werden allzu oft (siehe oben erwähnte Abpraller) von ihren Vorderleuten schmählich im Stich gelassen. Gegen Hagen wehrten Sven Bartmann (6) und Gergö Rozsavölgyi (3) zusammen neun Würfe ab, ihre Hagener Kollegen Tobias Mahncke (4) und Nils Dresrüsse (6) genau einen mehr – und trotzdem siegten die Gäste mit neun Toren Unterschied. Sicher: Man kann auch ohne eine gute Defensive Handballspiele gewinnen. Nur: Dafür braucht man vorne traumwandlerische Sicherheit und starke Schützen. Beides fehlt dem TSV Bayer. Lukas Stutzke hat in neun Begegnungen bislang 41 Treffer erzielt – aus 80 Versuchen (!). In dieser Statistik sind Fehlpässe und technische Fehler nicht berücksichtigt – sie steigen, beileibe nicht nur beim Junioren-Nationalspieler, von Spiel zu Spiel.
Und das nicht von ungefähr, denn was den Bayer-Handballern vor allem fehlt, ist ein klar erkennbares Spielsystem. Beinahe in jeder Partie steht eine andere Anfangsformation auf der Platte – das macht es schwer, Sicherheit und die für diese Sportart so wichtigen Automatismen zu finden. Am Freitag begannen die Hausherren beispielsweise mit drei Rechtshändern im Rückraum. Dass das gegen diese Hagener Deckung nicht gutgehen könnte, war schon früh abzusehen, doch es dauerte bis zur 17. Minute, ehe Daniel Eggert auf seine angestammte Position im rechten Rückraum eingewechselt wurde. Dass der Linkshänder am Ende mit sechs Treffern bester Feldtorschütze war, sei nur am Rande erwähnt.
Kritik, an Abläufen wie an einzelnen Akteuren, wird meist mit Hinweisen auf das junge Durchschnittsalter, die Unerfahrenheit der Mannschaft und den vermeintlichen Zwang zur riskanten Spielweise begegnet. Doch das verschafft den Spielern einen Freibrief – und führt auf direktem Wege zurück in die Dritte Liga. Und da wollte der TSV Bayer Dormagen nun wirklich nicht wieder hin.