Handball Dieser verschenkte Punkt tut richtig weh

Hamm · Handball-Zweitligist TSV Bayer Dormagen unterliegt beim Tabellenvierten ASV Hamm durch ein Tor in letzter Sekunde mit 28:29.

Gäbe es die Möglichkeit, ein paar Sekunden seines Lebens ungeschehen zu machen, Lukas Stutzke würde sich wohl spontan für die Schlussphase des Meisterschaftsspiels des TSV Bayer Dormagen beim ASV Hamm entscheiden.

Fünf Sekunden waren noch zu spielen vor 1890 Zuschauern in der Westpress-Arena, der abstiegsgefährdete Außenseiter hatte sich beim Tabellenvierten dank einer bravourösen Leistung ein 28:28-Unentschieden erkämpft, als der Junioren-Nationalspieler einen Pass nach rechts spielt, von dem wahrscheinlich nicht einmal er weiß, was er bezwecken soll. Jedenfalls erreicht der Ball nicht den als Adressaten vorgesehenen Ian Hüter, sondern Hamms Sören Südmeier. Der befördert das Spielgerät nach vorne, wo Stefan Lex schneller ist als alle in Entsetzen erstarrten Dormagener – und den Aufsteiger mit seinem Last-Second-Treffer zum 29:28-Endstand ins tiefe Tal der Tränen stürzt.

„Wir sind einfach zu dämlich“, macht Dusko Bilanovic Minuten später kein Hehl aus der Gefühlslage eines Trainers, der eigentlich alles richtig gemacht hat an diesem Samstagabend und trotzdem die Heimreise mit leeren Händen antreten muss. Dem 47-Jährigen schwant Böses mit Blick auf die restlichen fünf Saisonspiele des weiterhin zwei Zähler vor dem ersten Abstiegsplatz rangierenden Neulings: „Nicht, dass uns ausgerechnet dieser eine Punkt am Ende zum Klassenerhalt fehlt.“ Denn einen Punkt hätten die Dormagener mitgenommen, wenn Stutzke den Ball einfach nur festgehalten statt den Weg zum Tor gesucht hätte. „Ich war mit dem einen Punkt zufrieden, wir mussten nicht mehr auf Risiko spielen,“ sagt Bilanovic über die letzten Sekunden, nachdem Oliver Milde aus der Position des siebten Feldspielers heraus 50 Sekunden vor dem Abpfiff den 28:28-Gleichstand für die Hausherren erzielt hatte. Stutzkes Fehlpass machte das zunichte – vergleichbar jener unüberlegten Aktion von Matthias Musche kurz vor Abpfiff des „kleinen WM-Finales“ im Januar, die Frankreich dank eines Gegenstoßtreffers von Nikola Karabatic den Bronzerang bescherte.

Und wie Deutschland damals eine Medaille, so hätte Dormagen am Samstag den einen Punkt auch verdient gehabt. „Das war ein glücklicher Sieg, ein Unentschieden wäre das gerechte Ergebnis gewesen,“ gab Kay Rothenpieler unumwunden zu. Der Ex-Nationalspieler auf der Bank des ASV Hamm hatte nicht einmal etwas auszusetzen am Auftritt seiner Mannschaft, „wir haben uns nur unfassbar schwer getan, weil Dormagen sehr gut gespielt hat und wir sie nie abschütteln konnten.“

Lob, das man als Gast gerne hört, für das es im Abstiegskampf nur keine Punkte gibt. Dabei überwogen aus Dormagener Sicht die positiven Erkenntnisse aus diesem Spiel – „bis auf das Endergebnis hat eigentlich fast alles gestimmt,“ sagte Bilanovic. Das Spielerische: „Dormagen geht immer klug in die Tiefe, das macht es so schwer, gegen sie zu verteidigen,“ sagte Rothenpieler. Das Kämpferische: „Wir haben uns immer wieder rangekämpft,“ sagte Bilanovic, nachdem seine Schützlinge zwischenzeitlich mit vier (5:9, 19.) und drei Toren, zuletzt beim 19:22 (43.), zurückgelegen hatten. Die individuellen Leistungen: Sven Bartmann zeigte mit 13 Paraden die zweitbeste Torhüterleistung in allen Samstagspielen der Zweiten Liga, Nuno Rebelo vertrat den erkrankten Rechtsaußen Tim Wieling, als ob er nie auf einer anderen Position gespielt hätte.

Eigentlich alles Zutaten für den Gewinn von einem oder sogar zwei Punkten, nachdem die Dormagener beim 27:26 durch einen „Steal“ vn Ian Hüter (58.) erstmals in Führung gegangen waren und Carl Löfsröm sechzig Sekunden später zum 28:27 traf. „Doch um zu gewinnen, haben wir zu viele technische Fehler gemacht,“ sagte Bilanovic und kam auf genau ein Dutzend, die auf seinem Auswertungsbogen standen – den fatalen letzten mit eingerechnet.

Nun hatte mit einem Erfolgserlebnis in Hamm ohnehin kaum einer gerechnet, insofern wäre die Niederlage zu verschmerzen. Doch ein Punktgewinn hätte Selbstvertrauen gegeben für die anstehenden „Endspiele“ am Samstag gegen Elbflorenz und eine Woche später in Dessau. „Das Gute ist, wir haben es immer noch selbst in der Hand“, sagt Bilanovic – nur dass diese Hand mit fortschreitender Saisondauer immer mehr ins Zittern gerät.

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