Rhein-Kreis Neuss RWE soll mehr im Rhein-Kreis investieren
Neuss · Grünen-Landtagsabgeordnete mit Wahlkreis Neuss über Verantwortung in der Wirtschaft und die Zeit nach dem Tagebau.
Herr Markert, Sie haben die Enquetekommission zur Zukunft der Chemieindustrie angeregt und leiten sie auch. Hat Ihre Partei, die Grünen, die Industriepolitik entdeckt?
Hans Christian Markert Die Grünen haben schon immer um die Bedeutung der Industrie gewusst. Wir treten dabei für eine Industriekultur an, die nachhaltig ist. Dieser Ansatz ist eine ganz große Chance — auch für die Grünen-Partei. Die Verbund-Chemie ist ungemein innovativ. 70 Prozent ihrer Produkte werden weiter verarbeitet. Wenn sich dann noch die Unternehmen, wie im Fall des Chempark Dormagens, zu ihrem Standort bekennen, dann lohnt es, genauer hinzusehen. Und genau das tut die Enquetekommission.
Wenn Sie von Industriekultur sprechen, meinen Sie: Unternehmen sollen Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen?
Markert Wenn Sie es so formulieren wollen: Ja. Nehmen sie den Mittelstand und das Handwerk. Oft handelt es sich um Familienbetriebe, die gut ausbilden, die bodenständig sind, die Verantwortung für sich, aber eben auch für Mitarbeiter und Gesellschaft übernehmen. Die tun etwas für ihre Wertschöpfung.
Und die Industriekonzerne ...
Markert ... sind international aufgestellt, verschieben Standorte und Investitionen. Ihr Ziel ist ein möglichst geringer Personaleinsatz und maximaler Gewinn. Schauen Sie sich die Großkraftwerke an. Dort arbeiten relativ wenige Menschen. Das ist alles legitim. Es bleibt aber die Frage nach der Verantwortung: Was tun die Energiekonzerne, in unserer Region ist es zuallererst RWE, für die Energiewende und den Strukturwandel?
Sie vermissen neue Technologien? Sie erkennen zu wenig Ideen, wie es weitergeht, wenn 2045 der Tagebau Garzweiler beendet ist?
Markert Die Konzerne sollten jetzt reagieren, sonst kommt es irgendwann zum brutalen Bruch. Wir haben es mit neuen Marktbedingungen zu tun: Die Braunkohle geht, die Energiewende kommt. Wir Grünen kritisieren vor allem, dass die Braunkohle einfach verbrannt und mit einem vergleichsweise geringen Wirkungsgrad verstromt wird. Die Frage ist, wie verantwortungsvoll gehen wir mit unseren Ressourcen und der Schöpfung um?
Was können Sie konkret an Maßnahmen skizzieren, die verdeutlichen, was Sie meinen?
Markert Eine Zukunftsfrage ist doch: Wie speichern wir Energie? Die Antwort ist insbesondere für Wind- und Sonnenenergie wichtig. Einen Wirkungsgrad von bis zu 70 Prozent — ich finde, das ist schon ein beachtliches Ergebnis — erreichen so genannte Druckluftspeicher. So eine Versuchsanlage plant RWE in Sachsen-Anhalt. Da hake ich ein: Warum nicht bei uns? Im Rheinischen Revier wird rund 50 Prozent der Braunkohle gewonnen, die verstromt wird. Ich finde, RWE sollte sein Geld dort anlegen, wo es über Jahrzehnte hinweg auch verdient wurde.
Haben Sie noch ein zweites Beispiel, das in diese Richtung zielt?
Markert Wir wissen, dass Bakterien Kohlendioxid (CO2) als "Futter" verwerten können. So entsteht ein Rohstoff, aus dem wir letztlich Biokunststoffe gewinnen können. Ein spannendes Projekt an der Schnittstelle zur Chemie. Ich weiß, dass die Bayer AG und Unternehmen im Chempark Dormagen Interesse an Kooperationen haben. RWE forscht aber in Hessen. Ich frage wieder: Warum werden moderne Technologien nicht in jener Region aufgebaut, die jahrzehntelang für die Gewinne von RWE verantwortlich war?
Fordern Sie RWE auch auf, sich an der Finanzierung zur Lösung der Grundwasser-Problematik zu beteiligen? RWE würde die Belastung der Menschen lindern, die ertragen müssen, dass in ihrer Heimat Wertschöpfung durch Verstromung der Braunkohle erfolgt.
Markert Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ist das nicht so einfach, dass Politik in solchen Fällen eingreift. Aber Politik darf daran ja mal erinnern, dass es auch so etwas wie volkswirtschaftliche Verantwortung gibt — gerade auch für Konzerne wie RWE in unserer Region.
Was kann Politik tun?
Markert Die Politik legt den Ordnungsrahmen fest und ich sehe sie vor allem in der Moderatorenrolle. Wir können Konzepte nicht über Gesetze durchsetzen, sondern wir müssen überzeugen und Hilfestellungen geben.
Dann moderieren Sie mal ...
Markert Mir fallen viele Ansätze ein. RWE wäre gut beraten, sich stärker als Dienstleistungskonzern zu positionieren. Stichwort Contracting. Die dezentralen Stadtwerke, darunter auch Neuss, machen es doch vor. Auch die E-Mobilität ist ein großes Thema: Warum kann der Energieerzeuger RWE nicht am Standort Köln mit einem Autohersteller wie Ford bei diesem Ansatz kooperieren?
Was bleibt da für den Rhein-Kreis Neuss über?
Markert Ich sehe uns als Bildungs- und Forschungsstandort. Dabei können wir auf unser Energielabor aufbauen. Eine Fachhochschule mit Schwerpunkt erneuerbare Energien oder eine Technikerschule in Verzahnung mit unserem Berufsbildungszentrum machen Sinn.
Wer finanziert das?
Markert So ein Bildungsprojekt könnten wir über einen Fond oder eine Stiftung finanzieren. RWE könnte sich beteiligen, aber natürlich nicht federführend sein. Über so eine Einrichtung könnten wir dann auch einen Wissenstransfer ins In- und Ausland organisieren.
Ihr Fazit?
Markert Wenn RWE in unserer Region investiert, sollte das nicht heißen, einen neuen BoA-Block zu bauen. Investitionen in moderne Technologien, in Forschung und Bildung wären für mich ein Bekenntnis zur Region. Das wünsche ich mir von den Energiekonzernen. Die Chemieunternehmen tun das. Die bekennen sich zum Standort. Die gehen nicht nach Amerika, sondern investieren hier bei uns, wo sie ihr Geld auch verdient haben.
LUDGER BATEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH