Startup Corevas aus Grevenbroich „EmergencyEye“ auch international gefragt

Rhein-Kreis · Günter Huhle, Arzt und Gründer, spricht über die Notruf-Software „EmergencyEye“, die via Smartphone Leben retten kann. Und er appelliert an die Bundesregierung, sich bei der Notruf-Ortung nicht von US-amerikanischen und chinesischen Anbietern abhängig zu machen.

 Günter Huhle und sein Startup Corevas aus Grevenbroich haben die Notruf-Software „EmergencyEye“ entwickelt.

Günter Huhle und sein Startup Corevas aus Grevenbroich haben die Notruf-Software „EmergencyEye“ entwickelt.

Foto: Ute Grabowski

Herr Huhle, seit rund einem Jahr wird die von Ihrem Startup Corevas entwickelte Notruf-Software „EmergencyEye“ bei der Leitstelle im Rhein-Kreis Neuss eingesetzt. Der Kreis war damals Pilotregion, weitere Leitstellen sind gefolgt. Wie feiern Sie den „Geburtstag“?

GünterHuhle Mit einem Hackathon am Nürburgring. Wir erwarten circa 100 Teilnehmer, dazu zählen nicht nur Hacker, sondern zum Beispiel auch Feuerwehrleute oder Vertreter aus der Politik. Natürlich feiern wir da auch unser Einjähriges. Mittlerweile wird EmergencyEye auch im Kreis Kleve, in Ostwestfalen-Lippe, in Herford, und im Rhein-Sieg-Kreis – eine sehr große Leitstelle, die fast das doppelte abdeckt wie bei uns im Rhein-Kreis – genutzt. Gerade ist zudem der Lahn-Dill-Kreis hinzugekommen. Und wir sind mittlerweile in Baden-Württemberg in Pfalzgrafenweiler vertreten. So arbeiten wir uns Schritt für Schritt vor. Wir reden derzeit mit rund 160 Leitstellen, darunter sind alle Leitstellen in NRW.

Mit dem Hackathon am Nürburgring läutet EmergencyEye den nächsten Schritt ein. Es geht darum, die Barrierefreiheit beim Notruf zu verbessern. Was muss man sich darunter vorstellen?

Huhle Als wir EmergencyEye entwickelt haben, haben wir darauf geachtet, dass etwas Intuitives entsteht, das Menschen sehr leicht bedienen können – und vor allem etwas, das ohne App funktioniert. Der Disponent in der Leitstelle kann das System also einschalten, wenn er es braucht, und zwar mit jedem Smartphone und mit jedem Betriebssystem. Der Anrufer bekommt die Informationen aus der Leitstelle in seiner Sprache, er muss den Zugriff nur erlauben, also freigeben. Anfang des Jahres bekamen wir von Johannes Kohlen, einem Mitarbeiter, den Hinweis: Ihr habt eine Gruppe vergessen – die Gehörlosen. Wir haben es uns zum Auftrag gemacht, eine Lösung zu erarbeiten. Die Idee steht und soll jetzt beim Hackathon vorangetrieben werden.

Welche Lösung streben Sie an?

Huhle Wenn man heute eine Servicenummer anruft, hört man: „Möchten Sie dies, dann drücken Sie bitte *1, möchten Sie das, dann drücken Sie *2. Wir können also auf der Telefonie Informationen transportieren. Der Gehörlosen-Notruf oder der Notruf für jemanden, der in dem Moment nicht sprechen kann, weil er zum Beispiel ein Knalltrauma erfahren hat, bedient sich dieser Möglichkeit. Es geht ganz einfach: Man wählt 112*112, dann bekommt der Disponent an seinem Arbeitsplatz ein Signal, das ihm signalisiert, er muss eine andere Kommunikationsmöglichkeit bereitstellen als das normale Gespräch, weil der Anrufer zumindest gerade nicht reden kann. Die Lösung: ein Chat-Verfahren. Unser System ermöglicht die wortlose Kommunikation. Es ist einfach und leicht umzusetzen. Wir nennen es EmergencyEye X.

Der Hackathon soll dies voranbringen...

Huhle Ja, aber nicht nur. Wir nutzen ihn auch, um die nächsten Ideen zu entwickeln. Da gibt es schon Vorschläge. Ich nenne ein Beispiel. Stellen Sie sich vor, es gibt eine Großlage, einen Großbrand auf einem Bauernhof im Rhein-Kreis Neuss zum Beispiel. Der Disponent bekommt einen Anruf und schaltet EmergencyEye ein. Was wäre, wenn der Disponent den Anrufer ortet, eine Drohne vom nächstgelegenen Standort losschickt, die in einer Minute da ist und ihm noch während des Anrufs ein Bild liefert. Er kann die Ressourcen dann viel gezielter einsetzen.

EmergencyEye findet große Beachtung. Sie haben bereits einige Preise gewonnen, außerdem sind sie regelmäßig auf Veranstaltungen zur Digitalisierung eingeladen – zum Beispiel am vergangenen Wochenende beim für die Region Trier und Luxemburg relevanten Triluxcamp.

Huhle In der Tat haben wir in der Vergangenheit schon verschiedene Preise eingesammelt, das ist immer eine schöne Anerkennung. Auf Veranstaltungen wie dem Triluxamp ist das Interesse an EmergencyEye auch stets groß, auch am Wochenende war die Resonanz positiv.

Aufmerksamkeit öffnet auch Türen. Auch aus der Schweiz soll es schon Interesse an EmergencyEye geben. Denkbar wäre aber auch Interesse zum Beispiel aus Österreich. Wie weit sind Sie da?

Huhle Wir sind von der Leitstelle in Wien angefragt worden. Wir haben eine Anfrage von der Schweizer Post, und der Kanton Aargau möchte mit EmergencyEye im November konkret starten. Im benachbarten Ausland sind wir also kurz vor dem Start, aber es gibt auch weitere Gespräche, zum Beispiel mit Polen oder Katalonien. Wir hoffen, dass wir bis Ende des Jahres die Verträge haben.

So eine Software kostet natürlich auch Geld, in der Entwicklung, in der Bestandspflege, mit Blick auf Server und Sicherheit. Was müssen Kommunen für die Nutzung zahlen?

Huhle Wir bieten Software-as-a-service-Pakete an. Dieses Lizensierungspaket kennen viele aus dem Privaten: Man erwirbt eine Lizenz und kann dafür eine Software nutzen. Bei EmergencyEye heißt das: Die Leitstelle kauft eine Lizenz, alles was im Hintergrund läuft, leisten wir: Zum Beispiel SMS verschicken, Datentransport, Weiterentwicklung, Server. Die Leitstelle zahlt, wenn sie einen Fünf-Jahresvertrag mit uns macht, pro Einwohner vier Cent im Jahr.

Sie haben auch schon Gespräche mit Vertretern der Bundesregierung gesucht.

Huhle Es gibt zwei EU-Richtlinien, die von der Bundesregierung umgesetzt werden müssen. Das eine ist die bereits angesprochene Barrierefreiheit, das andere ist die verpflichtende Ortung im Notfall. Es gibt die Möglichkeit, den Notruf basierend auf sogenannten Funkzellen – sie haben die Größe von 50, vielleicht sogar 150 Fußballfeldern – zuzuordnen. Die Frage ist reicht das? – Es gibt allerdings auch Überlegungen von einigen Menschen, die ein System von Apple (Advanced Mobile Location) oder Google (Emergency Location Service) nutzen wollen, demnächst soll noch ein System von Huawai hinzukommen.

Wie stehen Sie diesen Ansätzen gegenüber?

Huhle Äußerst skeptisch. Unabhängig der Fragen der Funktionalität, begeben wir uns damit in Abhängigkeit von einem Lokalisierungssystem US-amerikanischer beziehungsweise chinesischer Anbieter. Das System macht Folgendes: Wenn man die 112 wählt, wird automatisch die Lokalisierung im Smartphone aktiviert. Die Daten gehen dann an den Anbieter, zum Beispiel Google, von dort gehen sie an einen deutschen Endpunkt weiter. Auf diese Art geben wir all diese Daten raus und verlieren unsere Eigenständigkeit gegenüber US-amerikanischen oder chinesischen Providern bei der Notfallortung. Wenn sie das System abschalten, stehen wir ohne die Ortung da. Außerdem fehlt die Einverständniserklärung der Nutzer. Das finden wir bedenklich. Bei EmergencyEye fordern wir die Zustimmung explizit per SMS an. Wir sind mit Blick auf die EU-Richtlinie überzeugt: Wir brauchen eine eigene Lösung in Deutschland. Welche Lösung das sein kann, muss man sehen. Wir können nur sagen: EmergencyEye kann das.

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