Nicht die geringste Chance auf ein legales Leben Obrigkeit und Untertan

Ohne Aufenthaltserlaubnis gibt es keine Arbeit, ohne Arbeit keine Aufenthaltserlaubnis: Nach langen Jahren in preußischen Zuchthäusern hat Wilhelm Voigt deshalb nicht die geringste Chance auf ein legales Leben und einen ehrlichen Job. Stets ist dem armen Schuster, der als junger Mann Posturkunden fälschte, seine Vorgeschichte im Weg.

Ohne Aufenthaltserlaubnis gibt es keine Arbeit, ohne Arbeit keine Aufenthaltserlaubnis: Nach langen Jahren in preußischen Zuchthäusern hat Wilhelm Voigt deshalb nicht die geringste Chance auf ein legales Leben und einen ehrlichen Job. Stets ist dem armen Schuster, der als junger Mann Posturkunden fälschte, seine Vorgeschichte im Weg.

Selbst der Versuch, die eigene Polizeiakte zu stehlen, um endlich wieder legal leben zu können, bringt ihm nur zehn weitere Jahre Gefängnis. Eine gebrauchte Uniformjacke bringt ihn da schließlich auf eine grandiose Idee. Den "Hauptmann von Köpenick", Carl Zuckmayers erfolgreiches Theaterstück, hat Serdar Somuncu mit seinem "Kammerensemble" im Kulturkeller inszeniert, und natürlich lässt der begnadete Lästerer sich dabei nicht die Gelegenheit entgehen, den Bogen vom obrigkeitsstaatlichen Preußen zum schützenbegeisterten Neuss zu schlagen: Da muss der Hauptmann, der sich die Jacke einst nähen ließ, abdanken, weil sich in dem von ihm erworbenen Grundbesitz ein Puff befindet.

Ein anderer muss aus Gewichtsgründen den schmalen Hauptmannsrock gegen die weit geschnittene Schützenuniform tauschen. Und wenn Mike Turner sich als Hauptmann auf die "Kaiserparade" vorbereitet, ist das nicht zuletzt auch eine herrliche Parodie lokaler Eitelkeiten. Herz des Stücks Jenseits solch spöttisch-witzelnder und immer gelungener Seitenhiebe aber zeigt Somuncu vor allem, dass er weit mehr drauf hat als den notorischen Spaßmacher: In klaren, knappen Szenen konzentriert er sich aufs Wesentliche an Voigts Geschichte, präsentiert hervorragendes Theaterhandwerk, indem er den zentralen Diskurs zwischen Voigt und seinem Schwager über Recht und Unrecht zum Herz des Stücks macht.

Dabei ist Hans Krech ein großartiger, unschuldig-schuldig gewordener Voigt, gedemütigt und chancenlos vor dem Beamten- und Offiziersstaat, Daniel Wandelt hütet sich sehr gescheit und erfolgreich vor Karikierung und zeigt den Schwager Hoprecht vortrefflich als liebenswerten, offenherzigen Menschen, dessen Glaube an die Unfehlbarkeit preußischer Gesetze allerdings unerschütterlich ist. Nadine Hieronimus zeigt sensibel und glaubwürdig Hoprechts Frau und Voigts Schwester, die einerseits mitfühlt, sich aber auch devot in die vorgegebene Herrschaftsordnung fügt, wie es sich für das preußische Eheweib ziemte. In wechselnden Rollen stellten Oliver Schmidt, Daniela Tillmann und Stefanie Krey Obrigkeit und Untertanen dar. Insgesamt ein herrlicher Spaß und ein intelligentes Stück über Unrecht und Rechtsstaat. Oder umgekehrt. Info Nächster Termin: 16. 10., 20.30 Uhr, Kartentelefon: 02131/599484 (KaTse)

(NGZ)
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