NGZ-Gespräch mit Wolfgang Overath „Nehmt mir bloß nie den Ball weg“
Nicht nur rund um den Dom gilt Wolfgang Overath längst als lebende Legende. Der Kicker des 1. FC Köln holte 1974 mit Deutschland den Weltmeistertitel. Nach seiner aktiven Karriere machte der mittlerweile 63-Jährige aber auch neben dem Fußballplatz eine gute Figur.
Seit gut zweieinhalb Jahren ist Wolfgang Overath Präsident des in der 2. Fußball-Bundesliga spielenden Traditionsklubs 1. FC Köln. Im Gespräch mit der Neuß-Grevenbroicher Zeitung redete der 63-Jährige natürlich über die Geißböcke, widmete sich aber auch der Nachwuchsförderung im deutschen Fußball und gewährte zudem Einblicke in sein Privatleben.
Herr Overath, der mit großen Ambitionen in die Saison gestartete 1. FC Köln läuft der Musik nur hinterher. Der Abstand zu einem Aufstiegsplatz beträgt neun Spieltage vor Schluss satte neun Punkte. Glauben Sie trotzdem noch an die Rückkehr in die 1. Liga?
Wolfgang Overath Im Fußball ist alles möglich!
Wirklich?
Overath Warum denn nicht? Ich habe im Fußball schon so viel erlebt … Wenn wir am Montag in Rostock gewinnen, sind es vielleicht nur noch sechs Punkte. Dafür müssen wir allerdings besser Fußball spielen. Das Spiel in Karlsruhe war ein Anfang — trotz der Niederlage.
Wenn Sie mal auf Ihre noch verhältnismäßig kurze Amtszeit als Präsident zurückblicken, wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus? Haben Sie Fehler gemacht? Schließlich ist es auch Ihnen nicht gelungen, den 1. FC Köln in der 1. Liga zu etablieren.
Overath Natürlich, und dafür muss ich als Präsident die Verantwortung übernehmen. Nach dem Aufstieg 2005 haben wir Uwe Rapolder verpflichtet, ein glänzender Trainer. Sein Problem aber war, dass er die Mannschaft nicht für sich gewinnen konnte. Die Distanz war einfach zu groß. Sein Nachfolger Hanspeter Latour war wohl noch nicht so weit. Er ist zwar ein feiner Kerl und ein akribischer Arbeiter — er saß oft noch bis tief in die Nacht vor dem Fernseher und hat sich Videos von den nächsten Gegnern angeschaut —, aber der Schritt vom eher beschaulichen Zürich ins hektische Köln war einfach zu groß. Hier gibt's jeden Tag Druck.
Trotzdem haben Sie nach dem Abstieg an dem Schweizer festgehalten.
Overath Das war vielleicht ein Fehler. Wir hätten uns besser sofort von ihm getrennt. Aber hinterher ist man eben immer schlauer. Viel gravierender aber war wahrscheinlich, dass wir personell einen zu großen Schnitt gemacht haben. Anstatt auf Leute aus der Region zu setzen, haben wir es mit Schweizern, Mazedoniern oder Dänen versucht. Alles Nationalspieler, mit denen wir den Aufstieg eigentlich locker hätten schaffen müssen, die jedoch nicht zu einem Team zusammengefunden haben. Das Potenzial war da, aber die Spieler waren dem Druck nicht gewachsen und der Mannschaft fehlte ein Leader.
Und dann kehrte mit großem Brimborium der fast als Messias gefeierte Christoph Daum an seine alte Wirkungsstätte zurück. Mit ihm sollte sich doch eigentlich endlich alles zum Guten wenden. Was lief schief?
Overath Christoph Daum ist auf jeden Fall ein überragender Trainer. Nur hat er am Anfang nicht wie erhofft den Druck von den Spielern weggenommen, sondern wegen der immens gestiegenen Erwartungshaltung im Umfeld ist der Druck sogar noch größer geworden.
Richtig viel hat der Wechsel also nicht gebracht.
Overath Überlegen Sie mal. Hätten wir in der Rückrunde nur die Spiele gegen Augsburg, Essen — dass wir dieses Spiel 0:5 verloren haben, kannst du mit dem Kopf nicht erklären — und Paderborn gewonnen, lägen wir jetzt zwei Punkte hinter Duisburg auf Rang drei. Dazu fiel mit Patrick Helmes unser wichtigster Stürmer lange verletzt aus. Mit ihm in der Mannschaft hätten wir mindestens zehn Tore mehr geschossen. Beim 4:1-Sieg gegen Unterhaching hat er schon wieder zwei Mal getroffen.
Aber das sind Dinge, die gehören nun einmal zum Sport dazu.
Overath Natürlich. Ich will damit ja auch nur verdeutlichen, wie dünn im Fußball die Linie zwischen Erfolg und Misserfolg ist. Ich habe noch ein weiteres Beispiel für Sie: Bei der Weltmeisterschaft 1974 bin ich im letzten Gruppenspiel gegen die DDR rund eine Viertelstunde vor Schluss leicht angeschlagen vom Platz gegangen. Meinen Posten im Mittelfeld übernahm damals Günter Netzer, und hätte er das 1:0 geschossen, wäre die WM für mich wohl vorbei gewesen. Wahrscheinlich hätte ich im Endspiel dann nur zugeschaut und nicht der Günter.
Apropos Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland. Wenn Sie die damalige Zeit mit heute vergleichen. Was hat sich seither im Profigeschäft verändert?
Overath Jede Menge natürlich. Ich will das mal so ausdrücken. Wenn mich damals jemand gefragt hätte, wie viel ich bezahlen würde, um im Endspiel auf dem Platz zu stehen, hätte ich ihm alles gegeben. An das Geld, das ich verdienen könnte, habe ich wirklich nicht eine Sekunde lang gedacht. Ich wollte einfach nur unbedingt dabei sein.
Hat der schnöde Mammon Ihrer Meinung nach die Freude am Spiel kaputt gemacht?
Overath Nein. Aber der Fußball wird anders wahrgenommen. Früher, da sind ins Stadion nur Menschen gegangen, die Experten waren. Wenn die ein schlechtes Spiel gesehen haben, pfiffen sie ihre Mannschaft schon nach kurzer Zeit gnadenlos aus. Mittlerweile ist ein Bundesliga- Spiel ähnlich wie bei den Amerikanern zu einem Event geworden. Und damit hat sich auch der Fußball verändert. Heute zum Beispiel spielen sie 70 Minuten lang richtig schlecht, aber sie werden von den Fans trotzdem weiter unterstützt. Schauen Sie doch nur mal, was bei uns in Köln abgeht. Wir spielen gegen Unterhaching, ein Dorf in der Nähe von München. Und die Leute kennen wahrscheinlich nicht einen einzigen Spieler des Gegners — aber wir haben 39 000 Zuschauer im Stadion. Das ist einfach sensationell.
Der Fußball in der Republik boomt, besonders nach der tollen WM 2006. Trotzdem setzen die meisten Profiklubs lieber auf Auslandsimporte, statt deutschen Talenten eine Chance zu geben. Woran liegt das?
Overath Das liegt doch auf der Hand. Sie haben auf der einen Seite einen 17-, 18-Jährigen, ein großes Talent zwar, aber noch unreif und auf der anderen Seite einen fünf Jahre älteren Rumänen, der daheim vielleicht nur 3000 Euro verdient und darum total froh ist, wenn er hier auf einmal 50 000 Euro bekommen kann. Jetzt frage ich Sie: Sie haben den Druck durch die Presse und die Zuschauer, die Erfolge sehen wollen. Haben Sie den Mut, sich auf das Risiko mit einem 18-jährigen deutschen Spieler einzulassen oder wählen Sie den wesentlich sichereren Weg mit einem 23-jährigen Rumänen, der in seinem Heimatland schon Nationalspieler ist? Ich persönlich würde natürlich viel lieber den Deutschen nehmen, aber dann müssten Sie mir auch fünf Jahre Zeit geben, in denen ich ohne Druck von außen arbeiten könnte.
Eine Utopie. Aber woher kommt dieser Druck? Liegt's wirklich nur am Geld?
Overath Nicht nur. Nehmen Sie nur mal Traditionsvereine wie den 1. FC Köln oder Borussia Mönchengladbach. Die hatten ihre größten Erfolge in den 60er und 70er Jahren. Die Kinder, die damals mit ihren Eltern ins Stadion gegangen sind, haben diese Leidenschaft an ihre Kinder weitergegeben. Die Beziehung zum Lieblingsverein ist vielleicht über Generationen gewachsen, da steckt richtig viel Herzblut drin — und daher kommt auch dieser riesige Druck auf den Klub.
Und fühlen Sie sich diesem immensen Druck immer noch gewachsen? Auch Sie standen in Ihrer Funktion als Präsident zuletzt in der Kritik. Wie geht jemand damit um, der als Fußballer eigentlich nichts mehr zu beweisen hat? Fragen Sie sich nicht manchmal, warum Sie sich das überhaupt angetan haben?
Overath Ich bin ja über Jahre immer wieder bedrängt worden, beim FC Verantwortung zu übernehmen. Einer der Hauptgründe, warum ich schließlich ja gesagt habe, war der, dass ich dem Verein gerne etwas zurückgeben wollte — ein Dankeschön für die tolle Zeit, die ich als Spieler beim FC erleben durfte. Außerdem wollte ich mich nicht in zehn Jahren selber fragen, ob ich nicht eine große Chance verpasst habe. Ich bin wirklich sehr gerne Präsident, aber ich hänge jetzt nicht verbissen an diesem Posten …
Und wenn man Sie als Präsident nicht mehr haben wollte, was würden Sie dann machen?
Overath Es ist ja nicht so, dass es außer dem 1. FC Köln nichts mehr in meinem Leben gibt. Ich bin schon seit vielen Jahren im Immobiliengeschäft tätig. Ich habe schon mit 19 meine ersten Häuser gebaut. Ich bin jeden Tag bis 18, 19 Uhr im Büro. Ich kann nicht einfach nur zu Hause rumsitzen.
Welche Rolle spielt der aktive Fußball noch in Ihrem Leben?
Overath Eine große. Zwar spiele ich jetzt viel weniger in Oldie- und Prominentenmannschaften als früher, aber wenn mir einer den Ball wegnehmen würde, das wäre schlimm. Ich glaube, daran würde ich kaputtgehen. Ich kann nicht verstehen, wie man freiwillig damit jemals aufhören kann.
Wohl auch deshalb scheinen Sie auch mit bald 64 Jahren immer noch fit wie ein Turnschuh zu sein.
Overath Ich wiege seit 40 Jahren um die 73 Kilogramm. Aber ich kann Ihnen sagen, das ist ein ständiger Kampf. Ich laufe, ich schwimme und dazu spiele ich zwei Mal in der Woche Fußball. Das hält fit. Außerdem achte ich auf meine Ernährung. Morgens esse ich mein selbstgemachtes Müsli, zur Arbeit nehme ich mir drei Äpfel mit. Auch mittags schlage ich nicht über die Stränge und abends mache ich mir zu Hause höchstens ein Brot. Alkohol trinke ich fast nie, es sei denn beim Essen mal ein Gläschen Wein.
Sie wirken wie jemand, der mit sich und der Welt absolut im Reinen ist. Wenn Sie auf Ihr bisheriges Leben zurückblicken, gibt es Dinge, die Sie bereuen?
Overath Ich bin dankbar und wirklich sehr zufrieden. Ich habe einen guten Draht zu dem da oben. Als ich noch jünger war, war mein ganzes Streben darauf ausgerichtet, finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Erst mit Mitte 40 habe ich mir gesagt: Das kann doch nicht alles gewesen sein in deinem Leben. Und dann habe ich damit angefangen, mich für andere einzusetzen. Sie glauben gar nicht, wie befriedigend das ist, wenn man in Not geratenen Menschen helfen kann. So kümmere ich mich zum Beispiel um ehemalige Fußballer, denen es nicht so gut ergangen ist wie mir. Daneben habe ich ein Herz für Obdachlose, für die ich immer in der Weihnachtszeit ein Fest veranstalte. Ich bereue nur, dass ich damit nicht schon viel früher begonnen habe. Aber wenn man jünger ist, hat man einfach noch zu viel mit sich selber zu tun. Ich bin gerne mit Menschen zusammen. Ich finde es spannend, neue Leute kennen zu lernen.
Aber Sie gelten auch als absoluter Familienmensch.
Overath Ja. Mein älterer Sohn Marco wohnt in Troisdorf und kommt jeden Morgen bei uns in Siegburg vorbei, um meine Tochter Sylvana zur Schule zu bringen. Ich bin da sehr vorsichtig, ich möchte nicht, dass sie alleine mit dem Bus fährt. Marco ruft mich jeden Abend an, egal, wo ich bin, um sich zu erkundigen, wie mein Tag war. Er ist ein eher ruhiger Typ, nur wenn er gegen mich im Fußball verliert, fährt er aus der Haut. Mein jüngerer Sohn Sascha ist vom Naturell mehr wie ich, dafür hat er mit Fußball gar nichts am Hut. Er hat in Düsseldorf ein Künstleratelier, telefoniert aber zwei Mal am Tag mit meiner Frau. Ja, ich kann sagen: Ich bin ein glücklicher Mensch.