Beuys-Sammler Franz Joseph van der Grinten Moderne Kunst auch hinter den sieben Bergen

Von Heribert Brinkmann

Von Heribert Brinkmann

Die Sammlung der Brüder van der Grinten ist heute auf über 60 000 Teile angewachsen. Im Mittelpunkt der Sammlung steht das Werk von Joseph Beuys. Heute fahren 180 000 bis 200 000 Menschen im Jahr nach Schloss Moyland. Die Anfänge der Sammlung waren eher bescheiden. Die Brüder begannen mit ihrem Taschengeld. 1993 wurde Franz van der Grinten 60 Jahre alt. 60 befreundete Künstler widmeten ihm je eine Grafik. Unter dem Titel "Hinschauen, um zu sehen" sind diese Drucke noch bis zum Freitag im Willi- Graf- und Edith-Stein- Haus Neuss ausgestellt.

Herr van der Grinten, die Ausstellung in Neuss ist ja eigentlich eine Hommage zu Ihrem Geburtstag. Wie kam es dazu, wer hatte die Idee?

van der Grinten: Die Idee hatte Pater Friedhelm Mennekes, mit dem ich sehr viel zusammen gemacht habe. Er hat sich mit dem Verleger Michael Wienand zusammen getan und so kam es zu dieser Mappe.

Alle Künstler sind mit Ihnen befreundet?

van der Grinten: Das war die Voraussetzung. Es waren einige dazu gekommen, einige waren von meiner Liste weggefallen. Darüber haben wir uns verständigt.

Wenn die Ihnen gewidmeten Bilder von befreundeten Künstlern stammen, dann können Sie doch diese Bilder anders rezipieren als der normale Besucher?

van der Grinten: Ja, es ist so. Bei der Mappe schwebte mir aber auch vor, dass sie die Vielfalt der grafischen Techniken vorführt. Im Kammerformat sozusagen, nicht spektakulär. Und sie stellt einen Künstler-Querschnitt durch drei Generationen dar.

Wie sind Sie überhaupt zum Sammeln von Kunst gekommen?

van der Grinten: Man wird zum Sammler, ohne dass man es richtig merkt. Wer die ganzen Folgen scheut, sollte den ersten Schritt vermeiden. Doch der erste Schritt ist häufig ein spontaner. Man sieht einen Gegenstand, von dem man so fasziniert ist, dass man ihn haben möchte, erwirbt ihn. Der Gegenstand hat aber den starken und übermächtigen Willen, nicht alleine zu bleiben. Die Schritte zum dritten und vierten Blatt sind größer als die zum 30. oder 40. Je größer die Menge wird, desto selbstverständlicher wird die Anziehung. Den ersten Anstoß gab mein Bruder kurz nach dem Krieg in Krefeld: Es war noch vor der Währungsreform. Er suchte in einem Papierladen nach Zeichenpapier, weil wir in der zeichnerischen Ausbildung waren. Gutes Papier war Mangelware. Zeichenpapier gab es kaum, dafür bedrucktes Papier. Mein Bruder kaufte einige bedruckte Blätter, das war der Beginn der Sammlung. Es sind heute noch bedeutende Blätter, so eine Farblithographie von Käthe Kollwitz, eine von Hans Thoma, eine von Hans Richard von Volkmann und als viertes ein Blatt von Maurice Denis. Diese vier Blätter haben wir sofort eingerahmt und aufgehängt. Daran schlossen sich Arbeiten von unseren Schüler-Kollegen an. Auf der Basis ist es weitergegangen. Der nächste Schritt war ein persönlicher: Am Niederrhein lebte damals ein bedeutender Maler, Hermann Teuber, dessen Familie an den Niederrhein evakuiert worden war. In dieser Zeit erhielt er den Karl- Ernst-Osthaus-Preis. Wir haben ihm einen Glückwunsch geschickt. Als wir darauf hin eingeladen wurden, kauften wir eine seiner Grafiken. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die gedauert hat, bis er über 90 war. Er hat uns ermutigt. Er hat gesagt: Bloß nicht für die Wand kaufen - das erschöpft sich schnell - , sondern Mappen, Laden, vieles. Nicht das permanente Sehen ist wichtig, sondern das immer wieder in die Hand Nehmen. Er hat auch nicht gelten gelassen, aus Geldnot auf etwas zu verzichten. Man kann sich alles leisten, wenn man es unbedingt haben will. Es ist keine Frage des Geldes. Für mich hat sich das als wahr herausgestellt. Der dritte Rat war, auch Zeitgenossen zu sammeln. Und als wir fragten, wie sollten wir das hier auf dem Lande machen, verwies er uns auf Joseph Beuys, der oft in Kleve sei. Am besten sollten wir bei ihm anfangen. Und das war ja nun wohl der Jahrhunderttipp. Damit überwand er unsere Scheu. An sich war mit unseren Geldmitteln Sammeln völlig absurd. Aber weil wir hartnäckig sind, haben wir versucht, eine Sammlung von Druckgrafik anzulegen, die alle stilistischen Verästelungen belegt. Das war unsere Vorstellung. Das wäre ein grafisches Museum geworden. Mein Bruder hat 1946 mit 17 Jahren das erste Blatt gekauft. Er ist vier Jahre älter. Die Sammlung ist über viele Jahre mit Sonntagsgeld aufgebaut worden. Wir haben jeden Sonntag fünf Mark erhalten, also 20 Mark im Monat. Hermann Teuber schenkte mir, als er nach Berlin wegging, ein Blatt von Hermann Blumenthal, womit er mich in die Sammlung katapultierte. Ihm war klar, dass wir mit vereinten Kräften ein ganz anderes Potential entfalten können. Er schenkte mir eine Bleistiftzeichnung. Damit war das Tabu der Grafik gebrochen. Dann lernten wir den Maler Rudolf Schoofs und Joseph Beuys kennen. Von Schoofs kamen die ersten Gemälde als Geschenk in die Sammlung. Als dann nach ein paar Jahren die Grafik-Grenze ganz fiel, haben wir grenzenlos gesammelt. Ich habe 1957 oder 58 das erste Jugendstil- Gefäß gekauft, gegen den heftigen Widerstand meines Bruders. Beuys kam eines Tages und sagte, ihr müsst auch Fotos sammeln. Das gehört nach dem heutigen Verständnis von Grafiken dazu. Kurioserweise hatten wir von Anfang an ein Museum im Blick. Die Sammlung auf unserem Hof war immer öffentlich zugänglich. Wir haben in unserem Privathaus zahlreiche Gäste gehabt. Von 1951 an haben wir zahlreiche Ausstellungen gemacht.

Wie war denn die erste Begegnung mit Beuys. Wie kam sie zustande?

van der Grinten: Die ersten Begegnungen waren eher peripher. Man begrüßte sich, wenn man sich begegnete. Aber als Teuber uns ermutigte, uns an Beuys zu wenden, fragten wir ihn, ob es möglich sei, auch von ihm etwas zu erwerben. Seine Antwort war "aber sicher". Er kam dann zu uns zu Besuch, brachte einige Sachen mit, unter denen wir etwas aussuchen sollten. Er kam mit einem eleganten Lederkoffer auf unseren Hof. Im Koffer waren vier oder fünf grafische Blätter. Er setzte einen Preis von 20 Mark fest. So haben wir beide für ein Monatstaschengeld jeweils ein Blatt gekauft. Und dann machte er wieder den Koffer auf und holte wunderschöne, frühe Holzschnitte von Mataré heraus und schenkte sie uns dazu.

Das ist der Vorteil bei lebenden Künstlern!

van der Grinten: Beuys bestätigte das Ansinnen, Zeitgenossen zu sammeln, meinte aber, sie möglichst breit zu sammeln. So breit wie eben möglich - das kann kein Museum machen, das haben Sammler Museen voraus. Wir haben uns darauf eingelassen und über Jahre viele Mappen wochenweise mit zehn Mark abgezahlt. Damals war ich 18. Als ich 20 Jahre alt wurde, haben wir auf dem Hof die erste Beuys-Einzelausstellung gemacht. Die Ausstellung wurde vom Kunst-Publikum aus Köln und Düsseldorf besucht, auch wenn Kranenburg lästig weit weg war. Von Köln dauerte die Zugfahrt zwei Stunden. Autobahnen gab es am Niederrhein damals noch nicht.

Was war Beuys für ein Mensch, als Sie ihn damals kennen gelernt haben. Er war ja damals noch nicht so bekannt wie heute.

van der Grinten: Er war unbekannt und bekannt zugleich. Am unteren Niederrhein hatte er den Freibrief eines exzentrischen, genialischen jungen Künstlers. In Düsseldorf hatte er einen ziemlich großen Kreis von locker an ihm interessierten Menschen. Diejenigen, die Joseph Beuys damals am meisten bewundert haben, waren selber Künstler oder Leute, die kein Geld hatten. Die Reichen werden reich dadurch, dass sie nicht viel abgeben.

Ist heute bei der jüngeren Generation ein hohes Interesse an Kunst und am Sammeln festzustellen?

van der Grinten: Es ist ein hohes Interesse da, von der Kopfzahl vielleicht sogar ein größeres als damals, die Informationsmöglichkeiten sind wesentlich vielfältiger. Aber ein allgemeines Interesse ist es nicht. Mein Umkreis erlaubt mir vielleicht kein objektives Urteil. Ich bin 25 Jahre an guten Schulen Lehrer gewesen. Ich habe mich auch ausgewirkt, ich habe sowohl Künstler auf den Weg gesetzt, als auch Sammler, weil viele so früh mit originaler Grafik und Beuys-Blättern in Berührung geraten sind. Es gibt ein breites Interesse. Der Anteil der jungen Besucher in den Museen ist groß.

Haben Sie erwartet, dass Schloss Moyland solch ein Anziehungspunkt wird, vielleicht auch für Leute, die mit Kunst sonst wenig zu tun haben?

van der Grinten: Unser offizieller Partner, das Land Nordrhein-Westfalen, war anfangs überrascht, dass hinter den sieben Bergen auch etwas passiert. Sie waren entschieden verblüfft. Diese Erfolgszahlen sind nicht erwartet worden.

Wieviel Besucher kommen im Jahr nach Moyland?

van der Grinten: Im Schnitt zwischen 180 und 200 000 Besuchern. Und es lässt kaum merklich nach. Das Labyrinthische der Sammlung trägt sicherlich dazu bei, dass die Besucher öfter wiederkommen. Der Stamm unserer Besucher kommt ins Museum, unabhängig von Wechselausstellungen, und besucht dann beides. Es gibt natürlich auch Besucher, die für uns untypisch sind, über die wir uns aber genauso freuen. Zum Beispiel zur Ausstellung mit Werken von Udo Lindenberg.

Wieviele Exponate hat die Sammlung denn mittlerweile?

van der Grinten: 5 000 vielleicht sind ausgestellt, die Sammlung umfasst heute rund 60 000 Werke. Und sie wächst ständig. Von den 5 000 Beuys- Arbeiten ist ungefähr ein Viertel zu sehen. Es wird auch umgeschichtet. Wir haben Schwerpunkte gebildet von Künstlern wie Mataré, Gerhard Marcks, Otto Coester, aber auch Zeitgenossen wie die Wiegands (Gottfried und Martel Wiegand aus Kaarst, Anm. d. Red.), oder auch Niederländer. Abgesehen von einigen gemischten Räumen haben wir monografische Schwerpunkte in den Räumen gebildet, bei denen den Künstlern jeweils eine Wand eingeräumt ist. Die Wände sind dicht behängt. Die Hängung ist auch einer der Tricks. Das wurde erst sehr gescholten, inzwischen sehr akzeptiert, hier und da nachvollzogen in anderen Museen. Wenn an einer Wand 40 Bilder eines einzigen Künstlers hängen, kann man diesen voll und ganz kennenlernen.

Zur Eröffnung haben sich viele Besucher und Kritiker an der Hängung gestört. Die "Petersburger Hängung" wurde als zu viel des Guten beschrieben.

van der Grinten: Das hat sich erledigt. Vor allen Dingen, weil das Publikumsecho so positiv ist. Man muss schon sehr vernagelt sein, um nicht zu merken, dass an dieser Hängung etwas dran ist. Ich bin dabei, solche monografischen Wände mit Werken einzelner Künstler auszutauschen mit denen jeweils anderer. Wir haben ein Kupferstich- Kabinett im Schloss, in dem wir eine Auswahl, Querschnitte durch die grafische Sammlung zeigen können. Ich bin dazu übergegangen, dort Gastausstellungen zu zeigen. Wir haben die große Kunsthalle und einen Doppelsaal für Wechselausstellungen aus dem eigenen Haus. Ich möchte dort, wie im Falle von Wilhelm Küppers, persönliche Stiftungen breit vorstellen.

Welche Künstler aus dem Kreis Neuss sind in Schloss Moyland vertreten?

van der Grinten: Das sind Martel und Gottfried Wiegand, Holger Runge, Erwin Heerich, Crummenauer - der zwar nicht mehr lebt, aber sein Leben im Kreis Neuss verbrachte - es sind sicher mehr, aber wir suchen nach unserem Geschmack und nicht nach der Geografie aus. Wir sind schwerpunktmäßig an der rheinischen Kunst interessiert, und am deutschen Expressionismus, aber nicht an den zwölf Parade-Reitern, die man immer sieht, sondern an den Künstlern, die in ihren Werken zeigen, was eigentlich den Stil ausmacht. Bei uns sind zwischen 200 und 300 expressionistische Holzschneider vertreten. Der Expressionismus hat durch die Vielzahl der Handschriften eine ungeheure Vielfalt. Die rheinische Kunst unseres Jahreshunderts bildet einen wichtigen Schwerpunkt, an dem gearbeitet wird. Wir haben viel aus dem Umkreis der Düsseldorfer Akademie, Walter Ophey oder Otto Coester beispielsweise. Da haben wir nach dem Krieg auf der 20-Mark-Basis viel sammeln können. Schön sind die Kreuz-undquer- Verflechtungen. Alles hängt irgendwie zusammen.

Wie ist es dazu gekommen, dass Schloss Moyland Museum wurde? Wie lange hat das gedauert? War es eine unendliche Geschichte?

van der Grinten: Keine unendliche Geschichte, aber eine Geschichte von Beharrlichkeit, Hartnäckigkeit und Dickköpfigkeit unsererseits. Einer unserer Studienfreunde, der Kunsthistoriker Hans-Peter Hilger, war damals am Landesdenkmalamt und musste die Denkmäler des Kreises Kleve neu aufnehmen. Das ergab fünf Bände anfangs der 60-er Jahre. Da war die Ruine Schloss Moyland mit im Spiel. Hilgerhat damals zu uns gesagt, das wäre genau das Richtige für unsere Sammlung. Wir haben das als ein Märchen, als einen Traum angesehen. Dann haben wir Beuys davon erzählt und der hat dieser Idee Recht gegeben. Aber man müsse Geduld haben. Beuys sagte, man müsse warten, bis er nicht mehr der Bürgerschreck sei, sondern wenigstens die Leute mit einiger Einsicht bereit sind, darauf einzugehen, dass seine Kunst dort ins Schloss käme. Um 1982 sagte Beuys, er glaube, jetzt sei die Zeit reif. Wir haben dann beim Oberkreisdirektor einen Vorstoß gemacht, der ernsthaftes Interesse zeigte und mit dem Eigentümer, dem Baron, sprach. Die Berührungsängste mit moderner Kunst konnten wir ausräumen. Dann gab es erste Gespräche mit der Regierung, und auch da war die Reaktion erstaunlich positiv. Beuys hat Gott sei Dank diesen Anfang noch erlebt, dann ist er 1986 gestorben. 1987 hat sich der Förderverein gegründet, die Baumaßnahmen begannen. 1997, genau zehn Jahre später, sind wir eingezogen. Wir haben in dieser Zeit hartnäckig durchgesetzt, was heute die Qualitäten ausmachen. Wir haben eine zweite Vorburg und ein unterirdisches Depot gefordert, was im Ministerium durchaus auf Schwierigkeiten stieß. Als 1990 der Vertrag geschlossen wurde, vor allem durch die Dynamik von Johannes Rau, der vermutlich eher wusste als andere, dass die Rezession eingesetzt hatte, war an der Qualität auch nichts mehr einzuschränken.

Wollte Rau wieder etwas gut machen, was er sich als Wissenschaftsminister mit der Beuys-Entlassung aus der Akademie eingebrockt hatte?

van der Grinten: Das weiß ich nicht. Ich würde es nicht im Sinne einer Wiedergutmachung sehen, sondern eher im Sinne einer Klarstellung seiner Einstellung als Person zur Sache. 1987, kurz nach Vertragsunterzeichnung, wurde eine Ausstellung zusammengestellt, die das Land Nordrhein-Westfalen als Kulturaustausch der DDR aufs Auge gedrückt hatte. Es wurden zwei DDR-Kunsthistoriker in den Westen geschickt, um an der Auswahl mitzuarbeiten. Die Zusammenarbeit war übrigens ausgezeichnet. Die waren auch tagelang bei uns in Kranenburg. Die Ausstellung ging dann nach Ost-Berlin und Leipzig. Rau hat in Ost-Berlin eine Rede gehalten, die seine Zuhörer mit tiefem Respekt erfüllt hat. Er stellte dabei auch die Bedeutung von Beuys heraus - was natürlich beim toten Beuys leichter fiel. Johannes Rau legte damit ein uneingeschränktes Bekenntnis zu Joseph Beuys ab. Beim Empfang in Leipzig hat Rau mir vieles erzählt, erst da habe ich verstanden, was mit der Beuys-Entlassung war. Es war ein Konflikt innerhalb der Akademie, in den der Minister hinein gezogen wurde.

Also war Rau ein Förderer von Moyland?

van der Grinten: Ja, ohne Johannes Rau wäre Schloss Moyland nicht das geworden, was es heute ist.

Wie erklären Sie sich die langjährige Zurückhaltung der Stadt Düsseldorf gegenüber Beuys?

van der Grinten: Es ist dasselbe Verhältnis wie der Klever zu Beuys, dasselbe wie der Kölner zu Hann Trier und Josef Fassbender. Es wird letztlich immer nach draußen geschaut. Heute ist die Scharte ausgewetzt, heute gibt es Beuys in der Kunstsammlung NRW und das Joseph-Beuys-Ufer am Rhein. In Bonn gab es schon früher eine nach ihm benannte Straße.

(NGZ)
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