Rhein-Kreis Neuss Mit Tageslicht und Sport gegen die Winterdepression

Neuss · Die Dormagener Diplom-Psychologin Ruth Rohde rät Betroffenen in der dunklen Jahreszeit zu Aktivitäten, die seelisch gut tun.

 Die Dormagener Diplom-Psychologin Ruth Rohde.

Die Dormagener Diplom-Psychologin Ruth Rohde.

Foto: LINDA HAMMER

In der dunklen Jahreszeit geraten viele Menschen in ein seelisches Tief. Welche Rolle spielt das Tageslicht?

Rohde Wir nehmen über die Augen, genauer gesagt über die Retina, möglichst helles Licht auf. Die Retina ist mit der Zirbeldrüse verbunden. Diese hat eine große Bedeutung für unser emotionales Gleichgewicht, da sie über die Ausschüttung von Melatonin unsere Stimmungslage mitreguliert.

Wie viele Betroffene gibt es nach Ihrer Einschätzung?

Ruth Rohde Neuere Studien gehen davon aus, dass zwischen 10 und 15 Prozent der Menschen in der dunkler werdenden Jahreszeit unter gedrückter Grundstimmung, Energielosigkeit bei erhöhtem Schlafbedürfnis und sinkendem Leistungsvermögen leiden. Dauern diese Symptome länger an und vertiefen sich, sprechen Experten von der saisonal abhängigen Depression (abgekürzt SAD).

Worin besteht der Unterschied zwischen einer schweren Verstimmung und einer Depression?

Rohde Der Übergang von einer schweren Verstimmung in die Winterdepression kann fließend sein. Leichtere Verstimmungen dauern Stunden oder Tage, aber nicht unbedingt zusammenhängend. Dauern schwerere Verstimmungen länger als 14 Tage und sind erhebliche Beeinträchtigungen damit verbunden, spricht die Klassifikation für psychische Erkrankungen von einer Depression. Bei der Winterdepression (SAD) unterscheidet man zwei Auffälligkeiten: statt der bekannten Schlaflosigkeit bei der Depression ist bei der Winterdepression ein erhöhtes Schlafbedürfnis auszumachen, ohne dass der Schlaf als erholsam erlebt wird. Im weiteren scheinen Betroffene ein erhöhtes Bedürfnis nach Kohlenhydraten zu haben.

Ab wann raten Sie zu einer Therapie? Wann ist der Zeitpunkt erreicht, eine Behandlung mit Medikamenten in Erwägung zu ziehen?

Rohde Laut einer neueren Klassifikation für seelische Erkrankungen ist ab einer Symptomdauer von zwei Wochen von einer Erkrankung zu sprechen. Diese kurze Zeitspanne kann man aber kritisch sehen, weil möglicherweise ganz natürliche seelische Schwankungen zu schnell Krankheitswert bekommen. Sicher ist ein wichtiges Kriterium die subjektiv erlebte Beeinträchtigung und das persönliche Konzept von Gesundheit und Wohlbefinden. Jemand, der unbedingt schnellstens wieder leistungsfähig sein möchte, wird schneller und eher zu einer Psychotherapie und medikamentösen Behandlung greifen, als jemand den eine vorübergehende Verstimmung nicht in Unruhe bringt.

Was wäre die erste Anlaufstelle?

Rohde Wer sich krank fühlt, sollte sich nicht scheuen, umgehend ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Hausarzt zu führen bzw. einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Viele Menschen wissen nicht, dass sie dafür keine Überweisung benötigen.

Wie kann man sein Wohlgefühl in der dunklen Jahreszeit steigern?

Rohde Eine Möglichkeit ist, sich viel im Tageslicht aufzuhalten. Auch wenn der Himmel bewölkt ist, nehme wir die Helligkeit des Lichts gut auf. Bestenfalls verbunden mit einem Spaziergang oder einer sportlichen Aktivität. Jemand der sich matt und energielos fühlt, wird sich zwar schwer aufraffen können, aber er wird die Wirkung kurz- und mittelfristig spüren. Eine konsequente, sportliche Ausdauer-Betätigung ist für die depressive Symptomatik ein unterschätzter Segen. Auch alles, was seelisch gut tut, Begegnungen und Gespräche, gemeinsame Aktivitäten, helles Kerzenlicht oder ein gutes Essen können helfen, leichtere Symptome zu mildern.

Depressionen sind immer noch ein Tabu. Wie ermutigen Sie Betroffene, Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Rohde Es geht darum, den Mut aufzubringen, sich mit dem erlebten Zustand anzuvertrauen. Das kann jemand aus der Familie sein, aus dem Freundeskreis oder ein Experte. So mancher merkt dann, dass auch Familienangehörige oder Freunde viel Verständnis haben, bis dahin, dass sie sich mit eigener Symptomatik oder abgeschlossener Psychotherapie outen.

Sollten Betroffene ihren Arbeitgeber ins Vertrauen ziehen?

rohde Dazu gibt es keine eindeutige Empfehlung. Es ergibt besonders bei längeren Erkrankungen einen Sinn, wenn es zum Beispiel um die Umgestaltung des Arbeitsplatzes geht oder eine Unterstützung des Arbeitgebers bei therapeutischen Maßnahmen.

STEFAN SCHNEIDER STELLTE DIE FRAGEN

(NGZ)
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