Swetlana Geier las russische Literatur Literatur, die aus der russischen Seele schöpft

Swetlana Geier ist 80 Jahre alt, aber wenn sie von ihrer literarischen Liebe, dem russischen Schriftsteller Andrei Sinjawskij spricht, wirkt die gestandene Literatur-Übersetzerin fast wie ein junges Mädchen. Das konnten am Wochenende über 20 Besucher in der Galerie Mönter hautnah miterleben, während Geier aus einem von Sinjawskijs frühen Werke, nämlich "Eine Stimme im Chor", vorlas.

Sie schwärmte, Sinjawskij sei nach der russischen Revolution von 1917 der Autor gewesen, der wieder an die Literatur der klassischen Moderne, also an Männer wie Gogol oder Tolstoj anknüpfte. Seine ersten Erfolge in Europa unter dem Pseudonym Abram Terz brachten dem Literaturprofessor, der 1997 in Frankreich als Lehrer an der Sorbonne starb, mehr als sechs Jahre Arbeitslager ein.

Denn erwünscht war nunmehr eine "proletarische Literatur" ohne Schnörkel, die jeder Mensch begreifen konnte. Swetlana Geier reist nun umher, um für den ersten Band einer geplanten Gesamtausgabe von Sinjawskijs Werken mit dem Titel "Das Verfahren läuft" zu werben. Eine typische Lesung war die Veranstaltung allerdings nicht. Nur mit gelegentlichen Zitaten untermauerte Geier, die selbst an den Universitäten Freiburg und Karlsruhe lehrt, ihre Erzählungen über das bewegte Schriftstellerleben.

Selbst auf dem Totenbett hatte Sinjawskij Papier und Stift noch griffbereit in der Nähe liegen schreiben konnte der Mann, der Literatur aus der "russischen Seele" schöpfte, schon nicht mehr. Sein Wunsch einmal ein Buch über russische Märchen zu verfassen, blieb unerfüllt, bedauert Geier. "Jetzt ist auch die deutsche Gesamtausgabe bedroht, weil bislang nur 700 Exemplare von "Das Verfahren läuft", in dem die Werke bis 1965 zusammengefasst sind, verkauft wurden.

Der Russe Sinjawskij verkörpere in seinen Erzählungen wohl nicht das typische Russlandbild der Deutschen, vermutet Geier. Swetlana Geier gastierte bereits zum vierten Mal in der Galerie Mönter und hat bereits einen eigenen Interessentenkreis gewonnen. Daher gab es auch Fragen zu ihrer Übersetzertätigkeit. Etwa ob damit auch eine Interpretation des Werkes einhergehe.

Darauf entgegnete die gebürtige Kiewerin allerdings: "Der Übersetzer muss so transparent sein, wie ein frisch geputztes Glasfenster!" So wurde Swetlana Geier nicht nur die seit Jahren einzige autorisierte Sinjawskij-Übersetzerin, sie gilt auch als ausgesprochene Kennerin der Werke des Altmeisters Dostojewskij. Voraussichtlich im Herbst wird ihre Neuübertragung von "Die Brüder Karamasow" erscheinen. kun

(NGZ)
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