Streitgespräch Kreistags-Kämpfer im Clinch

Petrauschke gegen Thiel – kühler Pragmatiker trifft auf kampfeslustigen Herausforderer. Im Streitgespräch diskutierten die Landratskandidaten über Wirtschaft, Sport und Kunst – und was für den Rhein-Kreis Neuss wirklich wichtig ist, wenn die Ära Dieter Patt zu Ende geht.

 „Polo war sehr davon angetan, wie schnell die Gemeinde Jüchen und der Kreis die Genehmigungen hinbekommen habe“, erklärt Hans-Jürgen Petrauschke.

„Polo war sehr davon angetan, wie schnell die Gemeinde Jüchen und der Kreis die Genehmigungen hinbekommen habe“, erklärt Hans-Jürgen Petrauschke.

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Petrauschke gegen Thiel — kühler Pragmatiker trifft auf kampfeslustigen Herausforderer. Im Streitgespräch diskutierten die Landratskandidaten über Wirtschaft, Sport und Kunst — und was für den Rhein-Kreis Neuss wirklich wichtig ist, wenn die Ära Dieter Patt zu Ende geht.

Streitgespräch: Kreistags-Kämpfer im Clinch
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Rhein-Kreis Neuss Als Hans-Jürgen Petrauschke (CDU) und Rainer Thiel (SPD) im Konferenzzimmer, NGZ-Gebäude, 3. Stock, aufeinandertreffen, ist die Luft zwischen den Landratskandidaten wie ein elektrisch aufgeladenes Spannungsfeld. Zwei Boxern gleich haben sich die Kontrahenten für das Foto aufgestellt, Aug' in Aug', nur Millimeter voneinander entfernt, zurückweichen will niemand. Unsere Zeitung hatte die Kandidaten zum verbalen Schlagabtausch über fünf Runden geladen. Der Wahlkampf nähert sich seinem Zenit, der Ton im Kampf und das Landratsamt wird zunehmend schärfer. Es ertönt der Gong zur ...

 Die Kontrahenten Petrauschke (vorne l.) und Thiel (vorne r.). Die Fragen stellen dieNGZ-Redakteure (v. l.) Jens Krüger, Helga Bittner, Volker Koch und Frank Kirschstein.

Die Kontrahenten Petrauschke (vorne l.) und Thiel (vorne r.). Die Fragen stellen dieNGZ-Redakteure (v. l.) Jens Krüger, Helga Bittner, Volker Koch und Frank Kirschstein.

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1. Runde, Wirtschaftsförderung: Ein Thema, das dem Kandidaten Thiel schon länger ein Dorn im Auge ist. Doch warum eigentlich?

"Die Wirtschaftsförderung des Kreises ist zu sehr auf Show ausgerichtet", findet der SPD-Kandidat. Ihn ärgern die Unternehmerreisen, die die IHK Mittlerer Niederrhein mit der Wirtschaftsförderung des Rhein-Kreises anbieten. Kontakte nach Brasilien, China, Japan, Kolumbien und Polen seien touristisch schön, die Konzentration müssen indes auf dem Geschäft in der Region liegen. Das der Rhein-Kreis in Rankings oft gut abschneide, sei außerdem Standortgunst und nicht Leistung der Wirtschaftsförderung.

Hans-Jürgen Petrauschke schaut bereits ungeduldig. Sein Handy klingelt. Er antwortet kurz: "Ja, Ja, Ja, Ja, Ja." Dann setzt er zum Konter an: "Polo war sehr davon angetan, wie schnell die Gemeinde Jüchen und der Kreis die Genehmigungen hinbekommen habe; ähnlich war es bei Fiege", sagt der Kreisdirektor. Er räumt ein, dass der Kreis über Standortgunst verfüge, die Anbindung an Straße, Schiene, Wasser, Flugverkehr gut sei. Doch wie funktioniert die Vernetzung vor Ort?

Rainer Thiel findet: "Die ganze Region Niederrhein erkennt nicht genug das Potenzial der Nähe zu Düsseldorf", sagt der Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion. Der Kreis bleibe in der Außenwahrnehmung unklar. Er rät dringend dazu, "dass wir die Leitungsfunktion von Düsseldorf erkennen". Doch wie vernetzt ist die Region wirklich? Und wie wichtig ist die Landeshauptstadt für den Kreis Neuss?

2. Runde, Infrastruktur: Kreisdirektor Petrauschke orientiert sich weiträumiger. "Dormagen ist mit Köln eng verbunden, Korschenbroich hat eine starke Nähe zu Mönchengladbach, Meerbusch ist zum Teil nach Krefeld hin orientiert, zum Teil nach Düsseldorf", sagt Petrauschke. Wir haben die Verkehrsverbünde VRS und VRR. Und dennoch: "Wir haben zu allen Nachbarn gute Beziehungen." Rainer Thiel setzt ein zynisches Lächeln auf. Er sagt: "Wenn man die Siedlungsentwicklung betrachtet, fällt auf, dass in den Nachkriegsjahren die Städte gewachsen sind, die eine gute Anbindung nach Düsseldorf hatten: Das sind Kaarst, Korschenbroich und Meerbusch." Der Herausforderer beklagt zudem die "zwiespältige Haltung der CDU, die auf der einen Seite sagt, Flughafen und Häfen sind wichtig, aber lokal wegen der Auswirkungen blockiert".

3. Runde, Verkehr: Macht sich der SPD-Mann also für den Ausbau des Flughafens Mönchengladbach stark? Thiel windet sich. Er sei für einen starken Flughafen Düsseldorf. Dann werde sich die Frage nach den wirtschaftlichen Chancen des Flughafens Mönchengladbach von selber beantworten. Die Kandidaten fallen jetzt einander ins Wort. Insbesondere die Diskussion um die oft verspätete und überfüllte Regionalbahn RB38 erhitzt die Gemüter. Es gebe immer noch Mängel bei der Verbindung, besonders zu Stoßzeiten, sagt Rainer Thiel. Die SPD will auch Kreismittel einsetzen. "Grevenbroich ist in der Stadtentwicklung und Ansiedlungspolitik auf eine bessere RB38 angewiesen, und das sollte der Kreisgemeinschaft auch etwas wert sein", meint Thiel. Hans-Jürgen Petrauschke will zunächst die Deutsche Bahn in Haftung nehmen. "Hat die Bahn wirklich die Leistung, die bestellt war, erbracht?" Wenn ein Zug ausfällt, bekomme man eben nicht alle Fahrgäste mit. Dennoch sei die RB38 inzwischen pünktlicher und es gebe mehr Ersatzfahrzeuge. Petrauschke: "Wir sind auf einem guten Weg."

4. Runde, Kultur: Das Sorgenkind im kulturellen Bereich ist das Kulturzentrum Sinsteden. Das Landwirtschaftsmuseum in Rommerskirchen hat nach Meinung Rainer Thiels nie funktioniert: "Sinsteden läuft seinem Sinn hinterher." Besucher würden mit Rockkonzerten, Schlittenhunderennen und Formel-1-Ausstellungen gelockt. "Das kann man überall machen." Der eigentliche Besuch des Kulturzentrums halte sich in Grenzen.

Petrauschke gibt zu, dass das Kreiskulturzentrum "keine Wellen von Besuchern" nach Sinsteden schwemmt. Doch "Musik gehört auch dazu, auch in der Landwirtschaft", sagt der Kreisdirektor. Der wissenschaftliche Geflügelhof sei zudem nicht zu vernachlässigen; hinzu kommen die Rückriem-Hallen, exotisch, aber ein kulturelles Kleinod im Rhein-Kreis. Petrauschke meint sogar: "Wir müssen noch stärker auf Events setzen und auch an Schulen rankommen."

5. Runde, Sport: Dass im Sportbereich Handlungsbedarf besteht — und zwar in gleich mehrfacher Hinsicht —, darüber sind sich die Kandidaten einig. Hallen und Sportplätze sind sanierungsbedürftig, nur ein Sportler vertrat den Rhein-Kreis bei den olympischen Spielen in Peking. Dabei sei Sport wichtiger als nur im Verein zu sein, meint Petrauschke: Gesundheit, Freizeitgestaltung, auch die Integration von Behinderten oder Ausländern funktioniere nirgendwo besser als im Sport. Allerdings leiden viele Vereine unter dem Ganztagsbetrieb der Schulen, die das Zeitbudgete der Kinder und Jugendlichen auf ein Minimum beschnitten hat.

Für Thiel ist die große Misere ("ein Skandal") der Schulsport. Er beklagt zudem, dass zu wenig auf die Randbereiche und Entwicklungen des Sports geschaut wird. Zudem müssten nach Thiels Ansicht die unklaren Strukturen von Kreissportamt und Kreissportbund entwirrt und zu einem Profil zusammengefügt werden.

Am Ende des Gesprächs prognostiziert Thiel: "Die absolute Mehrheit der CDU geht zu Ende."

Dann gehen die Kontrahenten auseinander. Man ist sich auf Augenhöhe begegnet. Der Ton ist ruhiger geworden zum Schluss. K.O. gegangen ist keiner der Duellanten. Die letzte Runde im Kampf um Wählerstimmen wird ohnehin am 30. August eingeläutet. Dann ist Kommunalwahl.

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