Dagny Schüler inszenierte "Franziska Linkerhand" Keine Chance zum Rückzug - nirgends

Es ist Geschichte, ohne Zweifel. Eine, die uns einerseits fremd ist, weil sie vor langer Zeit, weit weg, fast in einer anderen Welt, passierte; aber die andererseits auch zu uns gehört, aus unserer gemeinsamen Vergangenheit entstanden ist und von Menschen gestaltet wurde, die entweder noch selbst oder deren Nachkommen wieder zu unserer Gesellschaft - zu unserer Welt - gehören. Doch mehr als zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR spielt die Zeit des "real existierenden Sozialismus" im Alltagsbewusstsein nur noch eine marginale Rolle genauso wie in der Bühnenkunst, die allenfalls in Berlin noch reflektiert, was in den vierzig Jahren getrenntes Deutschland auf seiner östlichen Seite eigentlich geschehen ist. Intensives Spiel: Atischeh Hannah Braun überzeugte in der Titelrolle als Franziska Linkerhand bei der Premiere im Rheinischen Landestheater; auf dem Foto gemeinsam mit Wolfgang Schmitz, der ihren Bruder Wilhelm gab.

Es ist Geschichte, ohne Zweifel. Eine, die uns einerseits fremd ist, weil sie vor langer Zeit, weit weg, fast in einer anderen Welt, passierte; aber die andererseits auch zu uns gehört, aus unserer gemeinsamen Vergangenheit entstanden ist und von Menschen gestaltet wurde, die entweder noch selbst oder deren Nachkommen wieder zu unserer Gesellschaft - zu unserer Welt - gehören. Doch mehr als zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR spielt die Zeit des "real existierenden Sozialismus" im Alltagsbewusstsein nur noch eine marginale Rolle genauso wie in der Bühnenkunst, die allenfalls in Berlin noch reflektiert, was in den vierzig Jahren getrenntes Deutschland auf seiner östlichen Seite eigentlich geschehen ist. Intensives Spiel: Atischeh Hannah Braun überzeugte in der Titelrolle als Franziska Linkerhand bei der Premiere im Rheinischen Landestheater; auf dem Foto gemeinsam mit Wolfgang Schmitz, der ihren Bruder Wilhelm gab.

Um so mutiger und auch erstaunlicher ist es, dass ein Theater, das kaum westlicher sein kann (zumindest geografisch), jetzt ein Stück DDR-Geschichte auf die Bühne bringt: "Franziska Linkerhand" von Brigitte Reimann, deren über 600 Seiten starker, zwischen 1963 und 1973 entstandener und zu DDR-Zeiten zensierter Roman 1978 in Schwerin zu einer Bühnenfassung destilliert wurde, die Regisseurin Dagny Schüler für ihre Bearbeitung im RLT mit Passagen aus der ungekürzten Roman-Fassung von 1998 angereichert hat. Marion Eisel hat ihr dafür ein Bild gebaut und Kostüme aufgetrieben, die eindeutig auf die DDR in den 60er/70er Jahren verweisen; doch zugleich hat sie dabei die schwierige Balance geschafft, so abstrakt und im Vagen zu bleiben, dass die Geschichte nicht wirklich zu verorten ist.

Wozu das dient? Der Zuschauer kann sich dem Leben Franziska Linkerhands auch visuell nicht entziehen was er mental ohnehin nicht schafft. Denn Schülers Arbeit entwickelt über rund zweieinhalb Stunden eine Geschlossenheit, die sich zu einem regelrechten Sog verdichtet. Eine junge Architektin, die voller Ideale ist, sich gegen beamtenmäßiges, phantasieloses Bauen, das den Menschen vergisst, wehrt und immer wieder vor die Wand läuft; zugleich ein unsteter Mensch, der in der Liebe alles sieht und im Alltag doch nie das findet, was er sich erträumt: Ob diese junge Frau nun in der DDR der 60er, genauer in Neustadt (Reimanns Synonym für Hoyerswerda, der ersten auf dem Reißbrett entstandenen sozialistischen Vorzeigestadt, in der die Autorin lange gelebt und gearbeitet hat) oder zur selben Zeit in einer bundesdeutschen Trabantenstadt lebt und arbeitet, spielt fast keine Rolle.

Dagny Schüler inszenierte "Franziska Linkerhand" nach dem Roman von Brigitte Reimann für das Theater in Neuss.

Aber nur fast. Denn alles an dieser Inszenierung atmet DDR, und doch sucht und findet Schüler auch den Weg ins Heute. Überzeugend dadurch, dass sie dem Ensemble genug Raum gibt, die zu allen Zeiten und überall herrschende Gefühlswelt sichtbar zu machen; überzeugend auch dadurch, dass sie die Geschichte immer wieder aus dem Dialog und Bühnenrahmen herausholt, die Spiel-Bilder einfriert und die Protagonisten als Erzähler aus der Handlung zu einer - nur vorgeblich - direkten Ansprache des Zuschauers heraustreten lässt. Und weil das so gut funktioniert, ist der einzige Bruch dieser Inszenierung umso schmerzlicher: als nämlich im Zuschauerraum das Licht angeht und die Bühnenmannschaft als Besuchergruppe zwischen den Reihen einem Architektur-Führer hinterher dackelt.

Ein allzu bemühter, verkrampfter Versuch, die Beziehung zum Hier und Jetzt herzustellen - was später noch deutlicher wird, als Schüler sehr viel feineres Gespür beweist und sich ein wesentlich subtileres Bild für die Aktualität der Problematik hat einfallen lassen: zum Thema Fassadengestaltung zeigt Franziskas Vorgesetzter Schafheutlin stolz seine Modelle zwei Elemente des alten Horten-Baus.

Doch alle Bemühungen Schülers gingen ins Nichts, wenn sie nicht dieses hervorragende Ensemble hätte. Allen voran Hauptdarstellerin Atischeh Hannah Braun, die in jeder Phase ihres Spiels überzeugt, als zornige Idealistin, als enttäuschte Frau, als träumerische Geliebte, als liebende (und kleine) Schwester, als ein Mensch, der auch dann noch in seiner Charakterstärke glaubwürdig bleibt, wenn er trotz aller Widrigkeiten an seinem Platz aushält.

An Brauns Seite der wieder zum RLT gestoßene Werner Klockow als ihr Vorgesetzter Schafheutlin: auf den ersten Blick ein hölzerner Beamter, dessen einziges Streben ist, nirgendwo anzuecken, und auf den zweiten Blick als Mensch erkennbar, den die Verhältnisse so gemacht haben. Stück für Stück legt Klockow diesen anderen frei, bis am Ende ein eifriger, fast fröhlicher Freund da steht.

Nächste Termine: Montag, 30.9.; 20 Uhr; 9. Oktober, 20 Uhr Helga Bittner

(NGZ)
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