Brauchtum im Rhein-Kreis Eine große Schützenfamilie

Grevenbroich · Grevenbroichs Präsident Dr. Peter Cremerius über die Rolle des Bürgerschützenvereins in der Stadt und die Frage, ob ein Fest unbedingt einen Schützenkönig braucht.

 Er ist gerne Präsident: Dr. Peter Cremerius mit der Amtskette der Grevenbroicher Bürgerschützen.

Er ist gerne Präsident: Dr. Peter Cremerius mit der Amtskette der Grevenbroicher Bürgerschützen.

Foto: Reuter, Michael (mreu)

Herr Dr. Cremerius, wie bewerten Sie den Stellenwert des Bürgerschützenvereins in Grevenbroich?

Dr. Peter Cremerius Der BSV Grevenbroich ist vor 162 Jahren gegründet worden. Seitdem nimmt er eine zentrale Stelle im gesellschaftlichen Leben und Miteinander der Bürger dieser Stadt ein. Der BSV ist eine Institution, in der sich jedermann wiederfinden und der sich anschließen kann, gleich welchen Alters, Standes, Vorbildung und Beruf. Das bietet kein anderer Verein. Der BSV ist ein Bekenntnis zur Heimatstadt und zu seinen Bürgern.

Eine Art Schmelztiegel?

Cremerius Eine Kontaktbörse, insbesondere für Neubürger — der einfachste Weg, Anschluss in seiner neuen Heimat zu finden. Vor allem in der heutigen Zeit, in der wir Kneipensterben erleben, in der es gemeinsame Tanzveranstaltungen nicht mehr gibt und keine richtigen gesellschaftlichen Ereignisse. Schützenfeste bieten das noch. Sie sind ein unverzichtbares Kulturgut, da sie noch Menschen zusammenführen und die Kommunikation im Zeitalter der Cyberspace- Welt von Mensch zu Mensch ermöglichen.

Die Grevenbroicher Schützen treten nicht nur zum Marschieren an, sondern kümmern sich auch über das Fest hinaus um die Gemeinschaft. Warum?

Cremerius Das Motto des BSV heißt: Für Bürgersinn und Heimattreue. Unser Bestreben ist natürlich, diesen Leitspruch auch außerhalb der Schützenfesttage zu erfüllen. Ich denke, alleine durch die große Bekanntschaft untereinander herrscht auch eine große soziale Bindung — man hilft und unterstützt sich. Die Zahl der "kleinen Dienstwege" im täglichen Leben ist wohl kaum zu erfassen.

Nennen Sie Beispiele für das soziale Engagement des BSV.

Cremerius Wir organisieren und finanzieren den Volkstrauertag und den Martinszug, wir haben eine Abgabestelle für leere Druckerpatronen eingerichtet, deren Erlös der Hauptschule zugutekommt, wir veranstalten Blutspendetermine und wir haben etwa 60 Straßenschilder in der Stadt mit historischen Erläuterungen ausgerüstet. Die einzelnen Züge beteiligen sich an Projekten, in diesem Jahr übernimmt etwa die Gesellschaft "Lebensfreude" die Reinigung der Ehrengräber auf dem Friedhof. Diese Dinge sind wichtig, um nicht das Image aufgedrückt zu bekommen, dass Schützen nur marschieren und feiern würden.

Was macht für Sie persönlich den Reiz am Amt des Präsidenten aus?

Cremerius Für einen waschechten und schützenbegeisterten Grevenbroicher ist das eine große Ehre, dieses gesellschaftlich nicht unbedeutende Amt ausüben zu dürfen. Nach meiner Meinung ist es das schönste Amt in der Vereinswelt. Allerdings erfordert es viel Zeit, Arbeit und auch Nerven — der Lohn ist ein gelungenes Schützenfest.

Viele Vereine klagen über Nachwuchssorgen, wie steuert der BSV dagegen?

Cremerius Die Gesellschaft wird älter, die Jugend von der Anzahl her weniger. Obwohl das Grevenbroicher Zentrum keine typische Wohnstadt ist, haben wir erstaunlicherweise regelmäßig die Gründung neuer Züge mit klasse Jungs zu verbuchen — das ist das Allergrößte, was einem alten Verein passieren kann. Ich denke, wir alle sollten das Schützenwesen vorbildlich vorleben und feiern — dann kommt die Jugend von alleine.

Was meinen Sie, wie wichtig ist ein Schützenkönig für ein Fest?

Cremerius Ein weniger schöner Part des Präsidentenamts ist die Suche nach einem König. Er ist derjenige Schütze, der ein Jahr lang unsere Tradition, unsere Lebensphilosophie verkörpert und sie repräsentiert — und alle haben das aus vollem Herzen getan. Unsere derzeitigen Regenten — Axel und Kristina Holzhausen, das jüngste Paar in unserer BSVGeschichte — machen das mit einer unkomplizierten Begeisterung. Sie sind wahre Repräsentanten.

Können Sie sich ein Fest ohne Schützenkönig vorstellen?

Cremerius Ein Schützenfest ohne König? Unvorstellbar! Aber Realitäten sind manchmal unvorstellbar — und dann treffen sie ein. Alle Schützen stehen in der Verantwortung.

Die Grevenbroicher Schützen sind für ihre prächtigen Großfackeln weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Welcher Stellenwert hat der Fackelzug?

Cremerius Schon in der Vorkriegszeit war er ein Highlight zum Schützenfest — mit einem Touch von Lokalsatire. In Hochzeiten haben wir in den 1970er Jahren Züge mit mehr als 20 Großfackeln erlebt. Heute sind wir glücklich über acht bis zwölf Exemplare. Die große Zahl der "Werktätigen" hat leider abgenommen. Nicht jeder hat mehr Zeit. Für mich ist der Fackelzug ein Magnet — und natürlich auch ein Wirtschaftsfaktor.

Wie fördert der Verein den Fackelbau?

Cremerius Wir unterstützen die Fackelbauer finanziell, wir mieten eine Halle an und stellen auch die Logistik. Glücklicherweise begeistern sich nun auch die Nachwuchszüge für den Fackelbau.

Zum 700-Jahr-Jubiläum von Grevenbroich besuchen die Bürgermeister aus den Partnerstädten das Schützenfest. Eine Ehre?

Cremerius Auf jeden Fall, es ist eine Ehre, dass sie ausgerechnet zu unserem Schützenfest kommen. Im BSV wird Europa demonstriert. Seit Jahren spielen wir nach dem Zapfenstreich und dem Deutschlandlied die Europa-Hymne.

Wird das Grevenbroicher Fest anlässlich des Stadt-Jubiläums größer gefeiert?

Cremerius Na klar. Aber nicht wie sonst. Wir werden den Sonntagsumzug um zwei Musikblöcke auf insgesamt elf erweitern. Ich habe alle 20 Vereine aus der Stadt Grevenbroich eingeladen, ihre Edelknaben und Jungschützen zu schicken. Wir wollen in eindrucksvoll demonstrieren, wie es um den Nachwuchs in Gesamt- Grevenbroich bestellt ist. Das wird ein Super-Bild. Die Kinder werden ihre Vereinsschilder mitführen — und: Acht Edelknaben tragen vorweg die grüne Schützenfahne mit der Aufschrift "Wir alle sind Grevenbroich". Das ist unsere Botschaft zum Jubiläum: Die Jugend ist ein Garant des Fortbestehens unserer Tradition — aber wir sind auch eine große Grevenbroicher Schützenfamilie.

Das Gespräch führte NGZ-Redakteur Wiljo Piel.

(NGZ)
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