DKN probt mit Dirigent Ralf Gothoni in Neuss für Konzerte Jedem Ton seine Bedeutung

Der Stift muss für einen Streicher genau so wichtig sein wie der Bogen. Zumindest beim Proben. Immer wieder greifen die Musiker zum Blei- oder Farbstift, fügen hier ein Häkchen, dort eine Bemerkung den Noten hinzu, um dann wieder Geige und Bogen anzuheben und auf das Zeichen des Dirigenten hin einzusetzen. Drei Tage hatte er Zeit, um in Neuss die Uraufführung seiner Orchesterfassung von Hugo Wolfs "Italienischer Liedertafel" mit der Deutschen Kammerakademie zu proben: der finnische Dirigent Ralf Gothoni. Foto: DKN

Der Stift muss für einen Streicher genau so wichtig sein wie der Bogen. Zumindest beim Proben. Immer wieder greifen die Musiker zum Blei- oder Farbstift, fügen hier ein Häkchen, dort eine Bemerkung den Noten hinzu, um dann wieder Geige und Bogen anzuheben und auf das Zeichen des Dirigenten hin einzusetzen. Drei Tage hatte er Zeit, um in Neuss die Uraufführung seiner Orchesterfassung von Hugo Wolfs "Italienischer Liedertafel" mit der Deutschen Kammerakademie zu proben: der finnische Dirigent Ralf Gothoni. Foto: DKN

Die Luft im Sparkassen-Forum scheint sich förmlich zu einer Glocke über die im Halbrund sitzenden zwölf Musiker zu verdichten; die ungeheure Konzentration, mit der die Streicher und Bläser an dieser Komposition arbeiten, ist bis in den letzten Winkel des großen Raumes spürbar. Und dennoch hat die Atmosphäre nichts Verkrampftes - obwohl, wie der Dirigent später sagen wird, das Werk "ungeheuer schwierig ist" und den jungen Musikern sehr viel abverlangt.

Hugo Wolfs "Liedertafel"

Deswegen immer wieder die Unterbrechungen, deswegen auch immer wieder die Gespräche, der Austausch, ob jener Ton hart, ein anderer weich gespielt werden sollte. Doch zwischen Dirigent und Musikern verläuft ein fester Draht - gespannt, aber auch mit der nötigen Dehnbarkeit, die ein Reißen verhindert. Dabei arbeiten beide Seiten zum ersten Mal miteinander: Der finnische Pianist, Komponist, Musikprofessor und Leiter des renommierten "English Chamber Orchestra" (ECO), Ralf Gothoni, arbeitet mit der Deutschen Kammerakademie an Hugo Wolfs "Italienischer Liedertafel"; leider nicht mit Blick auf ein Neusser Konzert, sondern auf zwei Auftritte in Stuttgart und München (26. und 28. Mai).

Aber was nicht ist, kann noch werden: DKN-Intendant Matthias Gawriloff ist fest entschlossen, den international agierenden Dirigenten für ein Konzert im Zeughaus zu gewinnen, und später, im Gespräch mit Gothoni, kommt auch klar heraus, dass dieser sich das ebenso gut vorstellen kann. Die Arbeit mit den fünf Streichern der DKN und den sieben Gastmusikern (eine Harfinistin und sechs Bläsern) macht ihm sichtbar Spaß, obwohl sie eigentlich unter erschwerten Bedingungen stattfindet: "Normalerweise müsste man 90 Proben haben", sagt der 56-Jährige lachend, "ständig gibt es neue Probleme."

Das liegt nicht zuletzt auch an der Komposition: Wolfs Liedertafel ist eigentlich für Klavier und Gesang geschrieben; Gothoni hat es für eine Kammerbesetzung neu bearbeitet und präsentiert seine Fassung mit der DKN in einer Uraufführung. Als Gesangssolisten sind die Sopranistin Mitsako Shirai und der Tenor Christoph Prégardien dabei - und auch sie arbeiten mit dem Stift in der Hand. Doch den beiden sind auch immer wieder kleine Pausen vergönnt, in denen sie sich an einen der Tische zurückziehen können.

Ganz so weit darf die Harfenistin zwar nicht gehen, aber auch sie ist nicht ständig im Einsatz, greift dann zur Illustrierten - während die mehrfach gefaltete Decke, die ihr ansonsten beim Spiel einen erhöhten Sitz verschafft, achtlos auf dem Boden liegt. "Jeder Ton hat seine eigene Bedeutung und wieder eine andere zum nächsten Ton", beschreibt Gothoni das größte Problem - und fügt mit einem (Pianisten-)Seufzer hinzu: "Es fehlen einfach die Pedale des Klaviers." Dennoch ist er mit dem Verlauf der Proben mehr als zufrieden, scheint es geradezu zu genießen, dass die Musiker sich auf seine Fassung einlassen und von sich aus immer wieder neue Anregungen liefern.

Das Diskutieren sei sehr wichtig, sagt er, aber wenn er dann die Arme hebt, mit klarer Stimme "einmal langsam, Takt 6 bitte" sagt, verstummt gleichwohl jedes Gespräch im Nu. Ganze drei Tage hat die DKN für die Einstudierung; jetzt stehen die Musiker bereits kurz vor der Generalprobe, haben dann einige Stunden zum Ausruhen, bis in Stuttgart das Einspielen wieder beginnt. "Man muss schon sehr konzentriert arbeiten", sagt Gothoni, dem jedoch keine Spur von Erschöpfung anzusehen ist. Ursprünglich war vorgesehen, sein "Liederbuch"-Arrangement mit dem ECO uraufzuführen.

"Aber das ist an finanziellen Umständen gescheitert", sagt Gothoni, so dass die Stuttgarter Hugo-Wolf-Gesellschaft dann bei DKN-Intendant Matthias Gawriloff anfragte. Der sagte nicht nur erfreut zu, sondern lief fast schon Gefahr, mitspielen zu müssen. Im Vorfeld stellte sich nämlich schnell heraus, dass der Gastklarinettist keine für die Fassung notwendige Bassklarinette besitzt; Gawriloff dagegen schon, und er kann sie auch noch spielen, schließlich ist er von Hause aus Konzertklarinettist. Ob er da nicht... ? "Kommt gar nicht in Frage", war seine eindeutige Reaktion; doch wie gut traf es sich da, dass seine Bassklarinette gerade komplett überholt aus der Werkstatt zurückgekommen war. So spielt jetzt wenigstens sie bei der "Liedertafel" mit...

Passt ins Konzept

Für Gawriloff ist die Zusammenarbeit mit Ralf Gothoni ein Glücksfall. "Er ist mehr ein Erzieher als ein Dirigent", sagt er, "arbeitet äußerst intensiv mit den Musikern". Am liebsten sähe er den finnischen Musiker als "1. Gastdirigenten" alle zwei Jahre bei der DKN. Und dass Gothoni eines Tages, (frühestens in der Saison 2004/05) im Zeughaus zu erleben sein wird, scheint indes nicht ausgeschlossen. Nicht nur, weil die neu arrangierte "Liedertafel" in das langfristige DKN-Konzept passt, das auch Schuberts "Winterreise" und Mahlers "Lieder eines fahrenden Gesellen" in neuer Orchestrierung beinhaltet, sondern auch, weil Gothoni ebenfalls einen plausiblen Grund anführt: "Wir haben dann doch schon so schön in Stuttgart und München geprobt..." Helga Bittner

(NGZ)
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