Klare Rückendeckung für Ministerpräsident Jürgen Rüttgers „In der Ansprache der Menschen zu kalt geworden“

Klare Rückendeckung für Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in der CDU-Programmdebatte, klare Ansagen an Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und den Koalitionspartner FDP in Düsseldorf: Helmut Stahl, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag, steht im NGZ-Gespräch Rede und Antwort.

Herr Stahl, wie lange werden die 2009 neu zu wählenden Bürgermeister und Landräte im Amt bleiben? Obwohl im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP vorgesehen, scheint eine auf acht Jahre verlängerte Amtszeit noch lange nicht beschlossene Sache zu sein.

Helmut Stahl Die Bürgermeister bleiben so lange im Amt, wie die Wähler sie in dieses Amt bestellen - also fünf oder acht Jahre.

Welche Amtsdauer bevorzugen Sie?

Stahl Ich bevorzuge, dass wir in 2009 auf jeden Fall noch einmal gemeinsam die Hauptgemeindebeamten und die Räte wählen. Würden wir die Wahlen der Bürgermeister und Landräte einerseits sowie der Räte und Kreistage andererseits entkoppeln, hätten wir eine zusätzliche Wahl in einem ohnehin bereits sehr wahlreichen Jahr.

Als der Koalitionsvertrag vorbereitet wurde, war nicht absehbar, dass wegen der auf 2005 vorgezogenen Bundestagswahl in NRW 2009 ein "Super-Wahljahr" entstehen würde, das die Bürger überfordern könnte.

In der CDU mehrt sich jedoch der grundsätzliche Widerstand gegen eine längere Amtszeit der Bürgermeister und Landräte, so zum Beispiel im CDU-Kreisverband Neuss. Die FDP im Lande sieht den Koalitionsfrieden bedroht...

Stahl Das Thema Amtszeit ist zunächst eine Angelegenheit der CDU. Es geht um eine Diskussion, die seit Jahren in der CDU geführt wurde und zu der es Beschlüsse gibt. Die Debatte ist im Kern in allen Schattierungen geführt. Jetzt kommt es manchen, die - damals noch in der Opposition - dachten, das Thema nicht ernst nehmen zu müssen, darauf an, die Diskussion neu zu entfachen.

Die Bedenken sind bekannt: In manchen Kommunen gibt es Erfahrungen, die nicht immer erfreulich sind - wenn zum Beispiel Räte und Bürgermeister aus verschiedenen politischen Lagern stammen und dennoch zusammenarbeiten müssen. Auch gibt es den einen oder anderen Hauptgemeindebeamten, der sich vielleicht etwas abgehoben hat von der Basis des Rates und zum Ärger seiner Parteifreunde ein Stück verselbständigt. Ich halte dies jedoch für Einzelfälle.

Ihre Argumente für eine längere Amtszeit von Bürgermeistern und Landräten?

Stahl Wenn ich gute Leute gewinnen möchte, die ihr Handwerk verstehen und in der Lage sind, einen großen Betrieb wie eine Gemeindeverwaltung auch tatsächlich zu führen, dann ist die Bereitschaft, für eine Amtszeit von fünf Jahren aus einem Beruf auszusteigen weniger ausgeprägt ist als bei acht Jahren.

Die Rekrutierung von guten Leuten fällt mit einer längeren Amtszeit leichter. Das ist eine Frage, die in der CDU entschieden werden muss. Was danach mit dem Koalitionspartner zu besprechen ist, entscheidet sich nach und nicht vor unserem Parteitag.

Auch die Stichwahl bei der Bürgermeisterwahl in NRW soll abgeschafft werden...

Stahl Das steht in unserer Koalitionsvereinbarung, ebenso wie die Prüfung von Änderungen in weiteren Wahlverfahren. Ein Stichwort heißt Kumulieren und Panaschieren, also die Möglichkeit, bei der Kommunalwahl mehrere Stimmen auf die Kandidaten einer oder verschiedener Parteien oder Wählervereinigungen verteilen zu können.

Die SPD befürchtet bei diesen Änderungen einen Verlust an Demokratie und noch mehr Politikverdrossenheit. Das Wahlverfahren werde einfach zu unübersichtlich. Erfahrungen aus Hessen hätten gezeigt, dass nach entsprechenden Reformen deutlich weniger Menschen zur Kommunalwahl gegangen seien. Wie wollen Sie dem entgegenwirken?

Stahl Ich sehe das anders. Es gibt kaum noch Bundesländer, in denen Kumulieren und Panaschieren nicht möglich sind. Ob die Änderungen für NRW am Ende eine gute Option sind, darüber wird noch gestritten. Auch darüber werden wir uns zu unterhalten haben. Es wird geklagt, dass den Ortsverbänden der Parteien bei der Aufstellung und Zuordnung der Kandidaten zu einzelnen Wahlkreisen Gestaltungsfreiheit genommen wird.

Das mag sein. Wir geben diese Gestaltungsfreiheit jedoch dem Bürger zurück. Alle beklagen rückläufige Wahlbeteiligungen, besonders bei Kommunalwahlen. Vielleicht sind die geplanten Instrumente eine Chance, dem entgegenzuwirken, weil der Bürger selbst bei der Wahl seiner politischen Vertretung im Stadt- oder Gemeinderat mehr Gestaltungsfreiheit bekommt. Darüber wird noch diskutiert - übrigens nicht nur in der CDU, sondern genauso in der SPD.

Streben Sie an, diese wichtige Frage im Landtag auf eine breite, parteiübergreifende Basis zu stellen?

Stahl Alle sind eingeladen, dabei mitzumachen. Wer sich uns anschließen möchte, ist herzlich eingeladen, dies zu tun.

Sie haben vorgeschlagen, finanzschwache Städte auch in NRW wie die Kommunen in den neuen Bundesländern aus dem Solidarpakt zu unterstützen. Wie begründen Sie Ihren Vorstoß?

Stahl Die alten Länder müssen weiter mit den neuen solidarisch sein. Diese Hilfe wird vielerorts noch immer gebraucht. Aber: Ich glaube nicht, dass wir es durchhalten, Städte, die sich in Nothaushalten befinden und teilweise Kassenkredite aufnehmen müssen, um Personalausgaben zu finanzieren, bis 2019 weiter in die Solidarpflicht nehmen zu lassen. Und dies noch vor dem Hintergrund, dass es in den neuen Ländern durchaus Städte gibt, die sich gut entwickelt haben, die erfolgreich wirtschaften.

Es kann nicht nach geographischer Lage entschieden werden, ob eine Kommune gefördert wird oder nicht, wenn sich die Basisdaten - etwa die Arbeitslosenquoten - nicht unterscheiden. Das werden die Menschen, zum Beispiel im Ruhrgebiet, wo es Kommunen mit großen finanziellen Problemen gibt, nicht akzeptieren.

Ihre konkrete Forderung?

Stahl Wir müssen über die Zukunft des Solidarpaktes früher sprechen als geplant. Für 2010 sind Revisionsgespräche mit den Ländern und dem Bund vorgesehen. Ich halte es angesichts der dramatischen Finanzsituation der Kommunen für sinnvoll, diese Gespräche vorzuziehen, zum Beispiel auf 2008.

Noch einmal: Es geht nicht um einen Akt der Nicht-Solidarität, sondern um eine gezielte Solidarität mit denen, die nach sauber definierten Kriterien diese Solidarität am dringendsten benötigen.

Der Landesregierung wird vorgeworfen, den eigenen Haushalt auf Kosten der Kommunen zu sanieren. Halten Sie Ihre Wahlversprechen noch ein?

Stahl Land wie Kommunen sind zwei nackte Menschen, die einander stets in die Tasche zu greifen versuchen. Die Dramatik der Haushaltslage ist beim Land im Durchschnitt sicher ausgeprägter als bei den Kommunen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass auch die Kommunen ihren Beitrag zur Konsolidierung des Landeshaushaltes leisten müssen.

Es sieht danach aus, dass die Kommunen im kommenden Jahr aufgrund einer besser laufenden Konjunktur und höherer Unternehmensgewinne etwa 800 Millionen Euro zusätzlich einnehmen können. Das ist gut. Das heißt, es wird den Kommunen 2007 finanzwirtschaftlich erheblich besser gehen als in diesem Jahr.

Und mit den Überschüssen der Bundesagentur für Arbeit könnten die Kommunen eine zusätzliche Finanzspritze bekommen. Das ist Ihr Vorschlag. Doch die schwarz-rote Bundesregierung hält davon offenbar wenig...

Stahl Ich glaube, dass es noch eine Chance gibt. Bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) können erfreulicherweise - unter anderem wegen Hartz IV - wieder Überschüsse erwirtschaftet werden. Jetzt streiten sich die Beitragszahler und der Bundeshaushalt darüber, wer sich wie entlasten kann. Was ich nicht verstehe: Warum lenkt man den Blick nicht auch auf die Kommunen?

Die Kommunen in Deutschland bekommen gegenwärtig 2,5 Milliarden Euro als Beitrag zu den Unterbringungskosten für die Hartz IV-Empfänger. Finanzminister Peer Steinbrück beabsichtigt, diese Summe 2007 auf zwei Milliarden Euro herunterzufahren. Die Verbände der Städte und Gemeinden rechnen allerdings hoch, dass sie für die Unterbringungskosten fünf bis 5,5 Milliarden Euro aufbringen müssen.

Es kann doch nicht sein, dass diejenigen, die eine reale Last zu tragen haben, die Kommunen, im Verteilungskonflikt nicht berücksichtigt werden. Wenn kritisiert wird, dass sich das Land an den Kommunen schadlos hält, geht es dabei im Vergleich um geringe Summen.

Sie haben das Thema Hartz IV angesprochen: Wie lange wird das bestehende Modell noch existieren?

Stahl Eine generelle Prüfung, wie sie Ministerpräsident Jürgen Rüttgers früh gefordert hat und wofür er heftig kritisiert wurde, ist in Aussicht gestellt. Wir sind mit dem Thema noch nicht am Ende. Das gilt für die Kostenverteilung, aber auch für die Organisationsentscheidung.

Ob die Arbeitsgemeinschaften (Arge) zwischen Kommunen und Arbeitsagentur das Richtige sind, bezweifele ich. Die Erfahrung der vergangenen 20 Jahre ist: Je weiter sich die Hilfen und Fördermöglichkeiten von den Menschen vor Ort entfernen, um so weniger treffsicher sind sie.

Die Konsequenz aus Ihrer Sicht?

Stahl Wir müssen die Kompetenz vor Ort stärker mit der Aufgabe koppeln, Langzeitarbeitslosigkeit nachhaltig zu verringern. In den so genannten Optionskommunen, die Hartz IV selbständig ohne eine Arge mit der Arbeitsagentur abwickeln, läuft das nach meinem Eindruck wesentlich besser. Spätestens Anfang kommenden Jahres sollen Begleitstudien ausgewertet sein. Ich bin mir sehr sicher, dass die Optionskommunen im Vergleich besser abschneiden werden.

Apropos Jürgen Rüttgers: Der Ministerpräsident muss nach seinem engagierten Plädoyer für eine sozialere CDU noch immer Prügel aus den eigenen Reihen einstecken. Wie steht die CDU-Landtagsfraktion zu ihrem Ministerpräsidenten?

Stahl Die Fraktion steht klar und deutlich auch in dieser Frage hinter Jürgen Rüttgers.

Nützt oder schadet der CDU die Debatte an der Basis?

Stahl Sie nützt. Am Ende wird sich Jürgen Rüttgers mit seiner Position durchsetzen. Wir sind als Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der Ansprache der Menschen zu kalt geworden. Sicher brauchen wir wirtschaftliche Vernunft.

Kein Mensch bezweifelt etwa, dass es richtig ist, die Arbeitsmärkte flexibler zu gestalten, niemand hinterfragt noch kritisch, ob es sinnvoll ist, die Kosten für Sozialversicherung und Arbeit zu entkoppeln. Das macht Sinn, weil es die Möglichkeit eröffnet, neues Wachstum und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Es gibt also keinen Mangel an wirtschaftlicher Vernunft. Wir haben aber einen Mangel daran, dass die Menschen uns nicht auch als sozial gestaltende Partei erkennen.

In NRW hat es die CDU in der Hand, diesen Mangel zu beheben. Was tun Sie?

Stahl Wir muten zum Beispiel den Studenten in NRW Studiengebühren zu, weil sich ohne diese Gebühren die Studiensituation an den Hochschulen nicht verbessern lässt. Wir sagen aber auch, dass niemand von einem Studium abgehalten werden darf, denn das Land braucht hoch qualifizierte Menschen. Also müssen wir Möglichkeiten schaffen, die Studiengebühren zu finanzieren.

Wir tun dies, indem wir Kredite geben, die später im Berufsleben in kleinen Raten zurückgezahlt werden können. Wir verbinden die Vernunft mit den Möglichkeiten der sozialen Gestaltung. Diese Handlungsweise gehört zu unseren politischen Wurzeln gerade in NRW. Wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit zu verknüpfen - das war schon das Programm von Karl Arnold, CDU-Ministerpräsident in NRW von 1947 bis 1956. Die Diskussion in der CDU wird sich wieder in diese Richtung bewegen.

Im Moment schüttelt die CDU in Bund und Ländern doch eher den Kopf angesichts der Äußerungen von Jürgen Rüttgers...

Stahl Da geht es um das Abstecken der Claims. Wir werden uns durchsetzen.

Stichwort große Koalition in Berlin. Die Umfragewerte für die Union sind schlecht. Wie steht es um die Stimmung an der Basis in NRW?

Stahl Als Landespolitiker könnte ich mich auf eine komfortable Position zurückziehen: Wenn die in Berlin ihre Sache so gut machen würden wie wir in Düsseldorf, ginge es uns allen besser. Es wird viel zu wenig berücksichtigt, dass in Berlin eine Koalition eingegangen werden musste, die keiner wollte.

Jetzt koalieren zwei Volksparteien, die unterschiedliche Politikansätze verfolgen. Es wurde erwartet, dass es Lösungen mit breitem Konsens gibt, auch wenn man die gegensätzlichsten Parteien zusammenbringt. Das geht schief, wie die Beispiele der Steuer- oder der Gesundheitsreform zeigen. Dazu liegen die Konzepte von SPD und CDU zu weit auseinander.

Da bleibt nichts, als sich zusammenzuraufen und auch Auseinandersetzungen zu führen. Das allerdings ist den Deutschen, die eher konfliktscheu sind, ein Dorn im Auge. Die Umfragewerte im Bund spiegeln dies wider. In NRW sieht es übrigens besser aus: Dort können wir ruhiger arbeiten und bekommen deshalb mehr Zustimmung.

(NGZ)
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