Lehrerin Anna Drosner Ich möchte den Weg zu den Herzen finden

Der inzwischen in Neuss ansässige jüdische Künstler Juri Dobrovinski hat gerade vier Plakate gemalt. Sie zeigen die Menora, den siebenarmigen Leuchter, "Magen David", den Davidstern, das Licht des Channuka-Festes sowie Thora, Kerzen, Brot und Wein, die Symbole für den Sabbat. Die Werke hängen im Caritashaus "International" an der Salzstraße, wo Anna Drosner Unterricht der besonderen Art hält. "Die Männer und Frauen erzählen ihre Lebensgeschichten, und jüdische Lebensgeschichten sind goldene Schätze": Anna Drosner unterrichtet die Neuzuwanderer im Caritashaus an der Salzstraße. NGZ-Foto: A. Woitschützke

Der inzwischen in Neuss ansässige jüdische Künstler Juri Dobrovinski hat gerade vier Plakate gemalt. Sie zeigen die Menora, den siebenarmigen Leuchter, "Magen David", den Davidstern, das Licht des Channuka-Festes sowie Thora, Kerzen, Brot und Wein, die Symbole für den Sabbat. Die Werke hängen im Caritashaus "International" an der Salzstraße, wo Anna Drosner Unterricht der besonderen Art hält. "Die Männer und Frauen erzählen ihre Lebensgeschichten, und jüdische Lebensgeschichten sind goldene Schätze": Anna Drosner unterrichtet die Neuzuwanderer im Caritashaus an der Salzstraße. NGZ-Foto: A. Woitschützke

Sie vermittelt den Neusser Juden das Wissen über den Glauben, die Geschichte und die hebräische Sprache und ist voller Tatendrang. Anna Drosner arbeitet als Lehrerin in der Religionsschule der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf und wirkt seit September auch als "Koordinatorin" in Neuss, das heißt sie stellt die Weichen für die Neugründung der Gemeinde, die im ehemaligen Landestheater an der Drususallee Synagoge und Begegnungsstätte errichten wird.

Zur Vorbereitung der Gläubigen aufs selbständige Gemeindeleben gehört erst einmal die Wissensvermittlung. Die meisten Juden an Rhein und Erft sind Neuzuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, wo die Religion als "Opium des Volkes" gebrandmarkt und die Weiterbildung in diesem Bereich praktisch zum Erliegen gekommen war. Anna Drosner stammt selbst aus der Ukraine. In Charkow ("meine Stadt") war sie Chemie-Ingenieurin, konzentrierte sich dann aber auf den jüdischen Glauben, studierte erneut und arbeitete fortan als Lehrerin.

Seit fünf Jahren lebt die Osteuropäerin nun in Düsseldorf, die deutsche Staatsbürgerschaft hat sie beantragt. Sie hofft, bald ihren Ausweis zu bekommen. Die Pädagogin spricht also aus Erfahrung, wenn sie sagt: "Viele jüdische Neuzuwanderer sind einsam hier. Oft haben sie noch keine ausreichenden Deutsch- Kenntnisse, und die Integration fällt vielen daher schwer." Umso wichtiger ist die Begegnung im Caritashaus, wo die jüdische Gemeinde vor vier Wochen einen Raum bekommen hat. "Die Caritas- Leute sind sehr freundlich zu uns, und wir haben schon viel geschafft", zieht Anna Drosner eine zufrieden stellende Zwischenbilanz.

Der Donnerstag ist jede Woche "ihr" Tag in Neuss. Der Terminplan ist prall gefüllt: 9.30 Uhr Gesprächskreis, 11 Uhr erster Vortrag "Jüdische Traditionen", 15 Uhr Malgruppe für Kinder und Erwachsene, 16 Uhr zweiter Vortrag "Jüdische Traditionen", 17 Uhr Videoprogramm, 18.30 Uhr Gesprächskreis, Ende 21.30 Uhr. "Ich möchte den Weg zu den Herzen der Menschen finden", betont Anna Drosner, und ihre Gesprächspartner merken schnell, dass sie es ernst damit meint.

"Die Neusser Juden, das sind einige Alteingessene und viele Neuzuwanderer, und meine Aufgabe ist es, daraus eine Gemeinde zu formen", steckt die Koordinatorin den Rahmen ihres Engagements ab. "Bei der Integration tun sich die jungen Leute leichter. Meine Nichten und Neffen sprechen schon perfekt Deutsch, während die Alten zuhause noch Russisch reden", weiß Anna Drosner. Kurz: "Die Jugendlichen sind unsere Zukunft. Für sie biete ich Kurse in jüdischen Liedern und Tänzen an — ich bin Lehrerin, und das ist meine liebste Arbeit."

Doch auch für die Vertreter der älteren Generation hat die Repräsentantin der Gemeinde stets ein offenes Ohr: "Die Männer und Frauen erzählen ihre Lebensgeschichten, und jüdische Lebensgeschichten sind goldene Schätze. Die Menschen haben die Lager von Hitler oder Stalin ertragen. In der Sowjetunion war das alles ein Geheimnis, aber jetzt wird darüber geredet. Es ist unglaublich interessant, was man hört, aber auch unglaublich schrecklich."

Erinnerungen an die Kindheit wurden bei vielen auch wach, als Anna Drosner und ihre Mitstreiter zuletzt Rosch Haschana und Chanukka, Neujahrs- und Lichterfest, organisierten. Der rege Besuch gab den Veranstaltern den Mut zu weiteren Angeboten dieser Art: Im Januar sind die Neusser Juden und ihre Freunde zum Fest Tu-Bischwat ("Jahr des Baumes") eingeladen, wo das Beisammensein bei Trockenobst, Musik und Gedichten Jung und Alt zusammenführt. Im März steigt das Purim-Fest in Erinnerung an die Errettung der Juden in Persien, wie sie im Buch Esther beschrieben wird. Bei dieser Art Karneval sorgen Theater und Kostüme für gute Laune.

Bis dahin stehen aber noch einige Vortragsnachmittage auf dem Programm, das Anna Drosner erarbeitet hat. Lev Kogan, Maria Pliss, Juri Dobrovinski und andere fachkundige Referenten beleuchten im Januar, jeweils donnerstags ab 17 Uhr, Leben und Werk von Dichter Alexandr Galitsch, Rabbiner Leo Baeck oder Maler Marc Chagall. Wie das Kulturelle ohnehin einen Schwerpunkt bildet in Anna Drosners Arbeit.

Gleich zu Beginn eines Besuchs bringt sie den Kassettenrekorder in Gang. "Hevejnu schalom alejchem", wir haben Euch den Frieden mitgebracht, tönt es aus dem Lautsprecher des Geräts. Der Titel des Liedes könnte Leitspruch und roter Faden Anna Drosners sein. Ihr Devise ist klar und deutlich: "Wir brauchen den Frieden, in Deutschland und in Israel. Wir hoffen auf friedliche Zeiten, und wir möchten daran mitwirken — auch hier in Neuss." Thilo Zimmermann

(NGZ)
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