Rhein-Kreis Neuss Gröhe - ein Neusser Netzwerker auf dem Berliner Parkett

Neuss · Als Vierzehnjähriger trat er in die JU ein. Heute ist er CDU-Generalsekretär. Hermann Gröhe will sein Bundestag-Direktmandat verteidigen.

 Hermann Gröhe in Grimlinghausen. Im Saal des "Reuterhof" untermauerte der Jungpolitiker 1990 mit einer knappen Niederlage gegen Bürgermeister Reinartz seinen Führungsanspruch. Heute genießt er die "schöne Aussicht".

Hermann Gröhe in Grimlinghausen. Im Saal des "Reuterhof" untermauerte der Jungpolitiker 1990 mit einer knappen Niederlage gegen Bürgermeister Reinartz seinen Führungsanspruch. Heute genießt er die "schöne Aussicht".

Foto: Woi

Schöne Aussicht! Mit einem Glas Sprudel in der Hand steht Hermann Gröhe (52) auf der "Reuterhof"-Terrasse und blickt auf den Rhein. Er ist nach Grimlinghausen zurückgekehrt, wo sich im März 1990 für das CDU-Talent eine bundespolitische Perspektive eröffnete. Diese — im übertragenen Sinn "schöne Aussicht" — begann mit einer Niederlage. Eine Niederlage, die Mut macht? Das klingt paradox. Ist es aber nicht. Der freche Gröhe machte damals dem etablierten, hoch angesehenen Neusser Bürgermeister Bertold Reinartz die fest eingeplante CDU-Bundestagskandidatur im Wahlkreis Neuss streitig. Das kam für manchen Granden unter den Neusser Christdemokraten einer Majestätsbeleidigung nahe.

Gröhe verlor zwar, aber nur hauchdünn — Reinartz musste bis zuletzt zittern. Damit hatte Gröhe, gerade einmal 29 Jahre alt, seinen Anspruch auf Führung manifestiert. Als sich Reinartz nur acht Jahre später aus der Bundespolitik wieder zurückzog, lief die Kandidatur wie selbstverständlich auf Gröhe zu. Gröhe besitzt den Instinkt für den richtigen politischen Moment; hat er eine "schöne Aussicht", dann wird aus dem verbindlichen Hermann der (Macht-)Politiker Gröhe — in Neuss, Berlin und anderswo.

Dieses feine Gespür für eine Attacke oder Riposte zur richtigen Zeit am richtigen Ort hat ihn — in Verbindung mit seinem dichten Netzwerk über alle Ebenen und Parteigrenzen hinweg — zu einer der einflussreichsten und mächtigsten Persönlichkeiten in der deutschen Politik aufsteigen lassen. Der Jurist Gröhe war der erste Bundesvorsitzende im wiedervereinten Deutschland, er gehört seit 1994 dem Bundestag an, er war Justiziar der CDU/CSU-Fraktion, er war Staatsminister bei der Bundeskanzlerin und er ist seit 2009 Generalsekretär der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands.

Anders als sein Vorgänger im Amt, der heutige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, gilt Gröhe nicht als der "Mann mit der Lizenz zum Koffertragen" für die Parteichefin. Ihm gelingt die Balance aus Loyalität und Selbstständigkeit. Hermann Gröhe wird als eigene Marke wahrgenommen — das kann noch einmal in der "Nach-Merkel-Zeit" von großer Bedeutung sein.

Hermann Gröhe mag über diese Art der Zukunft heute nicht gern reden. Für den Generalsekretär zählt die Gegenwart. All sein Einsatz — Schlaf nur während nächtlicher Autofahrten inklusive — ist einzig und allein auf den 22. September ausgerichtet: "Wir kämpfen für die Fortsetzung der erfolgreichen unionsgeführten Regierung unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel." Die Chancen seien gut, aber bis zur letzten Minute müsse um jede Stimme gekämpft werden: "Es wird ganz eng!" Auch in seinem Wahlkreis hat er nichts zu verschenken: "Ich werbe für die Erst- und Zweitstimme — zweimal CDU." Gröhe ist der große Favorit für das Direktmandat. Doch er weiß, dass ein Sieg kein Selbstläufer ist. 2002 verlor er gegen den damaligen Verkehrsminister Kurt Bodewig. Die Niederlage schmerzt bis heute. Im Mai 2012 wurden beide Landtags-Wahlkreise, die zusammen seinen Bundestags-Wahlkreis bilden, von SPD-Kandidaten gewonnen.

So ist Hermann Gröhe derzeit rastlos unterwegs. Als Generalsekretär ist er bundesweit gefragt und gefordert, doch in seinem Wahlkreis — in dem er mit seiner Familie lebt — will er den Menschen nahe sein. Das scheint zu gelingen, denn Lob kommt ausgerechnet vom Grünen-Mitbewerber Lars Schellhas: "An Hermann Gröhe schätze ich, dass er im Wahlkreis so präsent ist." Und auch eine Grünen-Frontfrau schätzt "den Hermann", dem sie "schöne Grüße" ausrichten lässt — Claudia Roth: "Ich mag Hermann wirklich." Vor Jahren arbeiteten sie in Menschenrechtsfragen zusammen.

Der Christ und Kirchgänger Hermann Gröhe, der einst beim Bibeln-Schmuggeln nach Prag erwischt wurde, ist keiner, der menschliche Schwächen anderer ausnutzt. Er geht respektvoll mit Menschen um — gleich, welches Parteibuch sie haben. Das hindert ihn nicht, seine Stärken für seine Interessen konsequent einzusetzen. Diese Gabe hat ihn weit gebracht. Wohin wird ihn sein politischer Weg führen: Kanzleramtsminister? Stellvertretender CDU-Vorsitzender? Hermann Gröhe blickt noch mal auf den Rhein. "Schöne Aussicht", sagt er.

(NGZ)
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