Feuilleton Gefangene ihrer Gefühle

Neuss Malachi Bogdanov kommt gleich zur Sache. Der Hof von König Edward II. in London ist auf das Innere einer schummrigen Bar zusammengeschrumpft.

Der König selbst eine Größe der Unterwelt im schwarzen Anzug und mit einem goldenen Schlüssel als Insignie der Macht um den Hals.

Während Tiger-Lilly respektive Königin Isabella hinter Gittern ihren Table-Dance abzieht, treffen sie schon mal alle aufeinander - jene Menschen, die sich in den folgenden Stunden wie Tiere im Käfig umkreisenund sich ganz den eigenen Besessenheiten ausliefern.

Die Gestalten aus Christopher Marlowe's Drama "Edward II." (1592 geschrieben) sind nur noch Gefangene ihrer Gefühle, werden unter der Hand vom Direktor und Regisseur der Wales Theatre Company zu personifizierten Triebfedern allen menschlichen Tuns.

Liebe, Hass, Machthunger. Bogdanov prescht dabei mit seiner Inszenierung, die gezielt mit Blick auf das Shakespeare-Festival im Globe entstanden ist, im Schweinsgalopp durch das Schauspiel.

Nach nicht einmal zwei Stunden hat auch Mortimer schon sein Ende gefunden - das Stück im Original kann auch gut und gerne drei Stunden dauern.

Doch ist die Komprimierung der Tragödie durchaus bekommen, weil sie sich auf Handlungen fokussiert, die heute genauso nachvollziehbar sind wie vor über 400 Jahren.

Zudem werden die Szenen mit wohlüberlegten Musikeinspielungen immer wieder ironisch gebrochen. Was macht die Liebe mit den Menschen?

Egal, ob gleichgeschlechtlich wie bei Edward und seinem Geliebten Gaveston oder zwischen Mann und Frau: Sie macht blind für die Mängel des anderen und die Nöte der Umwelt.

Was entsteht aus abgewiesener Liebe? Abgrundtiefer Hass, der in Rachlust umschlägt wie bei Edward's Frau Isabella. Wohin führt ein allzu großer Machthunger?

Zu Größenwahn und Realitätsverlust wie bei Mortimer, der nicht merkt, dass er mit der grausamen Ermordung König Edwards den Bogen überspannt und damit den Sohn des Königs gegen sich aufbringt.

In der Darstellung der zahlreichen Bluttaten des Stücks zeigt sich Bogdanov nicht zimperlich.

Gaveston wird auf dem Balkon von dem im Fußballer-Trikot mit leicht ausgefranstem Union Jack auftrumpfenden Mortimer-Vasallen Lancaster erschlagen; Edward II. wird für den Tod am glühenden Spieß wie ein Spanferkel garniert.

Dass in dieser Szene auch noch Johnny Cash's "Ring of Fire" ertönt, setzt der perfiden Ironie des Regisseurs die Krone auf.

Zum kussreichen Wiedersehen von Edward und Gaveston hatte er zuvor Coldplay's "Pefect Day" aufgelegt; zu Gavestons Ermordung Clash's "London Calling" ...

(NGZ)
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