Rhein-Kreis Neuss „Das sind nicht unsere Sklaven“

Rhein-Kreis Neuss · Die Zeitarbeit hat die Gesetze der Konjunktur außer Kraft gesetzt. Seit Jahren boomt die Branche . Auch im Rhein-Kreis Neuss eröffnen die Personaldienstleister neue Niederlassungen. Doch gehen ihnen die Fachkräfte aus.

 Heizungsbauer Stefan Schumacher im Vorstellungsgespräch.

Heizungsbauer Stefan Schumacher im Vorstellungsgespräch.

Foto: krueger

Rhein-Kreis Neuss Als sich der Schriftsteller Günter Wallraff in den 80er Jahren als Zeitarbeiter auf einer Großbaustelle verdingte und seine Erlebnisse in einem Buch veröffentlichte, war das Image der Branche wie der Titel des Schmökers: "Ganz unten". Von moderner Sklaverei war damals die Rede.

 Enrico Uhlig (28) hat über eine Zeitarbeitsfirma einen Job als Schweißer am Neusser Hafen gefunden. Sein Berufsbild ist begehrt. Fachkräfte werden derzeit von vielen Unternehmen händeringend gesucht.

Enrico Uhlig (28) hat über eine Zeitarbeitsfirma einen Job als Schweißer am Neusser Hafen gefunden. Sein Berufsbild ist begehrt. Fachkräfte werden derzeit von vielen Unternehmen händeringend gesucht.

Foto: woi

Wie ein Sklave sieht Stefan Schumacher (23) allerdings nicht aus - obwohl ihn im Januar die Neusser Zeitarbeitsfirma Unique eingestellt hat. Der gelernte Heizungsbauer aus Delrath - Piercing in der Augenbraue, Muskelshirt, Arme wie ein Holzfäller - erzählt: "Nach Ausbildung und Bundeswehr habe ich keinen Job gefunden, also bin ich bei Unique gelandet."

Er sei zufrieden, könne mit der Firma über Urlaub reden, und wenn ein Unternehmen ihm die Übernahme anbieten würde - er glaubt nicht, dass Unique ihm Steine in den Weg legen würde.

Die Zeitarbeitsfirma als Karrieresprungbrett?

Fakt ist: Viele Unternehmen rekrutieren ihre Mitarbeiter über Zeitarbeitsfirmen. Auf diese Weise können sie das Risiko einer Fehlentscheidung minimieren. "Unternehmen müssen elastisch auf spontane Marktanforderungen reagieren", erklärt Monika Jacoby, Sprecherin des Druckerhersteller Kyocera in Meerbusch. Rund sechs Prozent der Belegschaft, ausschließlich im kaufmännischen Bereich, ist bei Kyocera leihweise beschäftigt - Tendenz steigend.

An den großen Zeitarbeitsfirmen scheint kein Weg mehr vorbei zu führen. Sie wachsen, überziehen das Land mit einem Netz von Niederlassungen. Doch auch kleinere Firmen etablieren sich: "Rose Zeitarbeit" zieht derzeit von der Niederstraße in Neuss in größere Räume an den Büchel; Anfang Juli erst hat "AB Zeitpersonal" ein Büro an der Zollstraße gegründet.

"Wir haben keine Standortanalyse gemacht", sagt AB-Niederlassungsleiter Oliver Weinem, "wir sind einfach dahin gegangen, wo es gute Leute gibt." Inzwischen arbeiten 20 externe Mitarbeiter für die Firma, die mit der Agentur für Arbeit kooperiert. Viele Quellen müssen angezapft werden in einer Zeit, in der Fachkräfte rar sind. "Schlosser, Schweißer, Metallarbeiter, Ingenieure - diese Branchen sind schwer zu bedienen", sagt Jens Brandt, der Neusser Unique-Niederlassungsleiter.

Die Agentur für Arbeit in Mönchengladbach hat den Zeitarbeitsboom in Zahlen gefasst: Seit 2001 ist die Zahl der Neueinstellungen in der Branche der Personaldienstleister im Rhein-Kreis von 1575 auf 2803 (2006) angewachsen. Das entspricht einem Anstieg von fast 78 Prozent.

An ihrem Ruf haben die Firmen in der Vergangenheit zudem fleißig poliert. Zwanzig Jahre Aufklärungsarbeit habe man geleistet, sagt Hans Kaspers vom Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA), Region West. Die Mitarbeiter seien fest beschäftigt, bekämen Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - "das sind nicht unsere Sklaven", sagt Kaspers, der ein wenig aussieht wie Christoph Daum.

Sogar Tarifverträge haben die Verbände BZA und der iGZ (Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen) mit den Gewerkschaften ausgehandelt. Nicht überall stoßen diese jedoch auf Zustimmung. Das linksgerichtete LabourNet.de hat den iGZ-Tarif (Mindestlohn: sieben Euro) unter der Rubrik "(Dumping)Tarifverträge" abgelegt.

Angelika Hecker, Landesfachbereichsleiterin der Gewerkschaft Verdi in Düsseldorf, ist nicht so streng: "Die Branche hat sich gewandelt, der Tarifvertrag hat den ordnungspolitischen Rahmen dazu geschaffen." Es gelte nun, die schwarzen Schafe einzufangen.

Über sein Gehalt möchte Stefan Schumacher lieber nicht genau Auskunft geben. Der 23-Jährige druckst herum: "Naja, bei einer Festanstellung verdient man natürlich mehr Geld."

Jetzt hat er die Aussicht auf einen festen Arbeitsplatz in Erkrath. Der Delrather blickt nun, als sehne er sich nach einem festen Job, danach mit Kollegen Freundschaften aufzubauen.

Zum Schluss sagt er: "Als Zeitarbeiter ist man immer der Letzte der kommt und der Erste, der geht."

(NGZ)
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