Wohnzimmerkonzert in Wuppertal Poesie zwischen Kücheninsel und Sofa

Wuppertal · Musiker Andreas Schleicher startet durch – persönlicher und kompromissloser als früher. Er habe mehr „Lust auf Live“ als jemals zuvor, sagt der Künstler. Zum ersten Mal hat er jetzt zum Konzert in sein Wohnzimmer eingeladen.

 Die Zuhörer waren am Sonntagabend ohnehin besonders nah dran. Und dann kam Andreas Schleicher noch näher.

Die Zuhörer waren am Sonntagabend ohnehin besonders nah dran. Und dann kam Andreas Schleicher noch näher.

Foto: Jürgen Moll

In Ronsdorf ist es Abend geworden. Irgendwann später beginnt der Tatort. Aber in dem Altbau über den Dächern der Stadt mischt sich in das Klirren der Weingläser eine erste Melodie. Andreas Schleicher hat sich seine Gitarre umgeschnallt, Jörg Hamers auf dem Cajón – einer kleinen hölzernen Kistentrommel – Platz genommen. „Willkommen bei uns zu Hause“, ruft Schleicher in sein eigenes Wohnzimmer. Es sei schön, aber auch fremd, was hier heute Abend passiere, sagt er dann.

Andreas Schleicher und Partnerin Jessica Morkramer haben ihr Wohnzimmer für das Publikum geöffnet. Er habe die Musik in privaten Räumen während der Pandemie für sich entdeckt, hat Schleicher zuvor erzählt. Während die großen Konzerte ausfallen mussten, ließ er sich in Wohnungen und Einfamilienhäuser einladen – und spielte. Aber sein eigenes Wohnzimmer? Das ist neu.

 Wohnzimmerparkett statt großer Bühne: Andreas Schleicher (r.) und Jörg Hamers begeisterten in intimer Atmosphäre.

Wohnzimmerparkett statt großer Bühne: Andreas Schleicher (r.) und Jörg Hamers begeisterten in intimer Atmosphäre.

Foto: Jürgen Moll

Rund 30 Zuhörer sind gekommen, viele sind zum ersten Mal die Stufen zu der Wohnung in Ronsdorf hochgestiegen. Und natürlich sei er deswegen ein bisschen aufgeregt, räumt Schleicher ein. Er hat das Sofa verrückt, Freund Harald hat Stühle beigesteuert, auf der Kücheninsel stehen kleine Gläschen und Schälchen gefüllt mit vegetarischen Köstlichkeiten, liebevoll zubereitet von Jessica. Kerzen und Scheinwerfer teilen sich die Lichteffekte. Die Wein- und Sektgläser sind gut gefüllt, die Stimmung bestens. Obwohl sich die meisten Menschen hier gar nicht kennen. Aber sie kennen Andreas Schleicher und seine Musik.

Überall gab es bequeme Sitzgelegenheiten im Wohnzimmer. Getanzt wurde natürlich trotzdem.

Überall gab es bequeme Sitzgelegenheiten im Wohnzimmer. Getanzt wurde natürlich trotzdem.

Foto: Jürgen Moll

„Es wird ein paar Songs dauern, bis der Funke überspringt“, hat der Musiker vor dem Konzert gesagt. Und dann wirkt er fast ein bisschen überrascht, als es kaum einen Song dauert, bis im Wohnzimmer Konzertstimmung herrscht. „Kurz vor acht“, singen Andreas Schleicher und Jörg Hamers zum Auftakt. Rockig – und ohne Kompromisse bei der Akustik. Der ehrliche Applaus löst den letzten Ton ab und Schleicher atmet strahlend durch.

Er genieße das Gespräch mit dem Publikum, hat er zuvor erzählt. Und er lässt seine Zuhörer Mitsummen, Mitsingen, Mittanzen. „Ihr dürft auch schunkeln“, sagt er irgendwann und auch das lassen sich die Zuhörer nicht zweimal sagen. Währenddessen zaubern Andreas Schleicher und Jörg Hamers an den Instrumenten. Ihre Stimmen ergänzen sich bestens.

Hamers ist kein Unbekannter – 2020 stieg der Hückeswagener als Schlagzeuger bei der Kultband „Die Räuber“ ein. Mit Schleicher stand er schon bei der Popolski Show auf der Bühne. Jetzt haben sie sich wiedergefunden – der Geschichtenerzähler Schleicher und der wortkargere Hamers, der vor allem dann spricht, wenn er Musik macht. Schleicher überlässt dem befreundeten Musiker auch in seinem eigenen Wohnzimmer gelegentlich die Bühne. Damit Hamers zaubern kann am Bass oder zu „Come Together“ anstimmt. Die Beiden sind ein besonderes Gespann – vor allem in der Atmosphäre des Wohnzimmers.

Vier Tage zuvor sitzt Andreas Schleicher im Zug auf dem Rückweg aus Berlin. Er hat seinen Freund Bülent Ceylan im Studio unterstützt. Jetzt ist er auf dem Heimweg nach Wuppertal. „Es ist so viel in Bewegung“, sagt er mit Blick auf sein Leben. Die Pandemie sei hart gewesen. Natürlich. Als alles stillstand, habe er seine Platte „Herz, Hirn, Hose“ herausgebracht. Im Nachhinein sei es gut, dass er damit nicht zwei Jahre gewartet habe. Aber bevor er seine Musik auf der Bühne zeigen konnte, brauchte er viel Geduld – seine Tour sagte er ab. Währenddessen machte zumindest das Fernsehen weiter: Und weil Andreas Schleicher sich längst einen Namen als Vocal-Coach in TV-Formaten gemacht hatte, konnte er weiter als Künstler arbeiten.

Inzwischen ist er längst auf die Bühne zurückgekehrt. Aber Andreas Schleicher ist nicht mehr derselbe. „Die Haare sind länger, ich esse kein Fleisch mehr und habe in den vergangenen Monaten so viele Songs geschrieben wie nie zuvor. Meine Flamme brennt noch“, sagt er. Die Corona-Pandemie habe viele Einsichten auf den Kopf gestellt. Und dann sei er auch an einem Punkt in seinem Leben angekommen, an dem sich die Frage gestellt habe: Ausruhen oder Weitermachen? Alles in ihm habe nach „Weitermachen“ gerufen. Aber anders. Seine Lieder sind jetzt persönlicher. „Autobiografischer“, sagt Schleicher.

Am 7. April erscheint sein erstes neues Stück: Reich und berühmt. Es ist einer von vielen neuen Songs. Und er nimmt den Zuhörer mit in die Geschichte: „Ich wollte Musiker werden und konnte noch nicht mal Gitarre spielen“, erzählt er und lacht. Genesis, Peter Gabriel, Sting: „Ich wollte wie sie auf die große Bühne. Emotionen, Licht und Publikum.“ Stattdessen stand er als Straßenmusiker auf der Kö und wurde von den Prachtläden davon gejagt. „Es gab keinen Plan B“, sagt Schleicher und lässt seinen musikalischen Weg Revue passieren. „Das ist echter Reichtum, von meiner Musik leben zu können“, sagt Schleicher.

Zu dem Song wird es ein Video geben, für das der Wuppertaler Musiker, der lange in Remscheid-Lüttringhausen gelebt hat, eine junge Band aufgetan hat – samt Sänger mit Lockenkopf. „Als ich bei den Jungs im Probenraum saß, kam alles zurück“, sagt Schleicher. Er strahlt und streicht sich mit einer Hand durch seine Haare.

„Heute nehme ich mich selbst nicht mehr so ernst“, erzählt er dann, „und ich nehme die Dinge an.“ Natürlich sei das eine Herausforderung. Jeden Tag. „Aber ich versuche einfach, mehr Ich zu sein“, erklärt er. Und das spüren auch die Besucher beim Wohnzimmerkonzert. Irgendwann setzt er neu an, einmal vergisst er den Text beim neuen Stück: Andreas Schleicher geht damit so sympathisch und humorvoll um, dass es Extra-Applaus gibt. Das Publikum fühlt sich mit ihm verbunden.

Am Ende stehen die Besucher rund um Sofa und Kücheninsel und tanzen. Die Aufregung ist verschwunden. Und als der letzte Ton verklingt, gibt es stehende Ovationen und dann endlich das erste Glas Wein des Abends für Andreas Schleicher. „Ich habe mehr Lust auf Live denn je“, sagt er. Kein Wunder.

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