Serie Die Wupper Wo die Schleifer einst zu Hause waren
Remscheid/Solingen · Zu Hochzeiten der Klingenherstellung in Solingen im 16. Jahrhundert stand entlang der Wupper alle 150 Meter ein Schleiferkotten. In den beiden verbliebenen Kotten üben Schleifer bis heute das traditionelle Handwerk aus.
Mehr als 100 Schleifkotten waren seit dem 16. Jahrhundert an den zahlreichen Bächen und Flüssen in Solingen angesiedelt und verliehen der Stadt ihren heutigen Beinamen Klingenstadt. 26 der Schleifkotten wurden vom größten Fluss der Stadt angetrieben — der Wupper. Am Fuße des Pfaffenbergs liegt noch heute der Balkhauser Kotten. Gemeinsam mit dem Wipperkotten zählt er zu den letzten erhaltenen Schleifkotten Solingens und ist Wahrzeichen der Stadt.
Eine bewegte Geschichte liegt hinter dem Fachbergbau. Errichtet noch vor 1600, musste der Kotten nach zwei großen Bränden Mitte des 19. Jahrhunderts und dann im Jahr 1969 wieder aufgebaut werden. Doch um 1920 verrichteten im Kotten noch 56 Schleifer ihre Arbeit und fertigten neben Schwertern, Dolchen und langen Messern auch Tafelmesser, Fahrtenmesser und Scheren. 1957 wurde schließlich das Wupperwehr, das das Wasserrad antrieb, von einem Hochwasser so stark beschädigt, dass es abgetragen wurde. Mit Strom mussten die verbliebenen Schleifer ihre Maschinen von nun an betreiben, bis auch die letzten Schleifer den Balkhauser Kotten Mitte der 80er Jahre verließen.
Im Kotten, der seit 1962 ein Museum ist, betrieb ein kleiner Stromkasten die Maschinen, wenn die Museumsbesucher 50 Pfennig einwarfen. Daran erinnert sich auch noch Nicole Molinari, Vorsitzende des Kuratoriums Balkhauser Kotten: "Ein Irrsinn, dass eine Maschine, die eigentlich Energie erzeugt, mit Energie betrieben werden musste." Heute läuft das große Rad wieder mit Wasserantrieb, dank einer Großaktion der Solinger Landjugend. In 72 Stunden legten die jungen Helfer den zugeschütteten Obergraben 1999 wieder frei.
Auch das Schleifhandwerk kehrte in den Balkhauser Kotten zurück. Seit 2009 verrichtet Manfred Wietscher dort seine Arbeit im Auftragsdienst. "Er ist fast jedem Tag im Kotten, die Besucher können ihm dort bei der Arbeit über die Schulter schauen", berichtet Molinari.
Folgt man der Wupper flussabwärts, dauert es eine ganze Weile, bis nach mehreren Kilometern, an der Stadtgrenze zu Leichlingen, der Wipperkotten auf der rechten Uferseite auftaucht. "Früher stand hier alle 100 bis 150 Meter ein Kotten", sagt Lutz Peters vom Förderverein Schleiferei Wipperkotten. "Enger ging es nicht mehr, sonst hätten sie sich gegenseitig das Wasser abgegraben."
Nachdem der Balkhauser Kotten 1969 abbrannte und neu aufgebaut werden musste, ist der Wipperkotten heute der einzig original erhaltene Wasserkotten in Solingen. So alt wie der Kotten — er entstand im Jahr 1605 — ist auch das Wehr, von dem das Wasserrad bis heute angetrieben wird und das aus dem Landschaftsbild um den Kotten herum nicht mehr wegzudenken ist. Damit das Wasserrad keinen Schaden nimmt, muss es in Gebrauch bleiben. Bis heute hat der Wipperkotten das Glück, dass alle Arbeitsräume vermietet sind.
Neben Herbert Loos, der seit über 40 Jahren als Schleifer im Wipperkotten arbeitet, ist Ralf Jahn seit fünf Jahren dort tätig. Er gibt Schärfeseminare und bietet einen Schärfservice für private und gewerbliche Kunden an. Seit vergangenem Jahr stellt außerdem Andreas Neumann seine Stahlwaren im Wipperkotten her. "So lange die da sind, ist der Betrieb des Wipperkottens gesichert", sagt Peters. Neben den Schleiferwerkstätten beheimatet auch der Wipperkotten einen kleinen Museumsbetrieb, den Solinger und Bewohner der Nachbarstädte gerne nutzen. Bis zu 8000 Besucher hat der Kotten laut Peters jährlich.