Schuldnerberatung Vor Überschuldung ist keiner sicher

Remscheid · Brigitte Tost und Bernd Jaspers kennen als Schuldnerberater viele Geschichten, in denen das Geld nicht ausreicht.

 Brigitte Tost und Bernd Jaspers arbeiten als Schuldnerberater beim Diakonischen Werk.

Brigitte Tost und Bernd Jaspers arbeiten als Schuldnerberater beim Diakonischen Werk.

Foto: Jürgen Moll

Brigitte Tost und Bernd Jaspers sind Sozialpädagogen und beim Diakonischen Werk im Kirchenkreis Lennep für die Schuldner- und Insolvenzberatung zuständig. Im Interview sprechen sie darüber, wie man in die Überschuldung geraten kann und welche Wege es aus der Schuldenfalle gibt.

Frau Tost, Herr Jaspers, ab wann gilt man eigentlich als verschuldet?

Brigitte Tost Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen den Begriffen verschuldet und überschuldet. Verschuldet ist man ja auch schon, wenn man einen Kredit aufnimmt, etwa um ein Haus zu finanzieren, aber diesen Kredit ganz normal abbezahlen kann. Überschuldet ist man dann, wenn das Einkommen nicht ausreicht, um die eigenen Verbindlichkeiten noch bedienen, also bezahlen zu können.

Kann das Thema Überschuldung jeden treffen?

Tost Ja, denn es gibt nicht "den Schuldner". Eher entscheidet die Lebenssituation darüber, ob es zu einer Überschuldung kommt oder nicht. Vor Überschuldung ist kein Mensch sicher.

Gibt es auch Menschen, die besonders gefährdet sind?

Bernd Jaspers Ja, die gibt es tatsächlich. Unserer Erfahrung nach sind das vor allem einkommensschwache Haushalte. Aber auch Selbstständige sind besonders gefährdet, weil sie einfach ein anderes wirtschaftliches Risiko haben als ein normaler Haushalt. Bei uns sind sie meistens in Gestalt von ehemaligen Selbstständigen, die dann leider oft auch Hartz IV beziehen.

Was sind die Ursachen dafür, Schulden zu machen?

Jaspers Die Hauptgründe für Überschuldung sind Arbeitslosigkeit oder reduzierte Arbeit, etwa aufgrund von Erwerbsminderung. Dann kommen Scheidung oder Trennung als Faktor dazu, ein nicht sehr kritisches Konsumverhalten kann ebenso dazu führen wie Krankheit oder die erwähnten gescheiterten Selbstständigen.

Kann es schließlich irgendwann zum Selbstläufer werden, sich weiter zu verschulden?

Tost Wenn man einmal anfängt und hat zu wenig Einkommen, versucht man oft an anderer Stelle einzusparen - etwa bei der Miete oder den Energiekosten. Man löscht kleinere Brände, weil von dieser Seite Druck kommt. Dann wird es schnell zum Selbstläufer - der Dispo wird überzogen, der kann nicht mehr ausgeglichen werden und so schaukelt es sich gegenseitig hoch. Gefährlich ist es auch, wenn man den Überblick über die Ausgaben verliert - wenn man gar nicht mehr weiß, wo man überall Schulden hat, dann kommt der Schneeball sehr schnell ins Rollen.

Welche Anzeichen gibt es, auf die das Umfeld reagieren sollte?

Tost Das Umfeld bekommt es häufig erst sehr spät mit. Eine Überschuldung ist häufig mit Scham behaftet, so dass die Betroffenen so weit wie möglich versuchen, das Problem zu überdecken. Ein Hinweis könnte sein, wenn jemand plötzlich anfängt, sich Geld zu leihen oder man von Mietschulden beim Gegenüber hört. Auch ein Signal ist es, wenn sich derjenige aus dem öffentlichen Leben zurückzieht, etwa wenn jemand gar nicht mehr mit ins Kino oder zum Essen geht.

Und gibt es auch Anzeichen für den in Schulden geratenen Menschen, auf die er reagieren kann?

Jaspers Deutliche Anzeichen sind Mietrückstände oder wenn einem Strom, Heizung oder Telefon gesperrt werden. Auch wenn Kreditraten gestundet, Kreditverträge gekündigt oder Einkommens-, Sach- oder Kontenpfändung und die Abgabe der Vermögensauskunft gemacht werden müssen, wird klar - da ist ein Problem.

Kann man es selbst aus der Schuldenfalle schaffen - oder braucht man zwingend Hilfe?

Jaspers Alleine ist es in der Regel schwer, den Überblick wieder zu gewinnen. Manchmal gibt es Freunde oder Bekannte, die helfen können. Aber meiner Meinung nach muss eine Erstberatung durch Profis immer erfolgen, um die Sachen zu sortieren. Ob man es dann alleine schaffen kann, hängt vom Einzelfall ab.

Wie sieht diese Hilfe denn konkret aus?

Tost Das Allerwichtigste ist, den Überblick über die jeweilige Situation herzustellen: Wie viele Gläubiger gibt es? Wie hoch ist die gesamte Schuldensumme? Dafür braucht man die Mitarbeit der Betroffenen, denn nur die haben ja Zugang zu den Unterlagen, die dafür sortiert werden müssen. Viele Schreiben landen in der Schublade, die Schuldner stecken oft den Kopf in den Sand. Daneben geben wir rechtliche Hinweise zur Existenzsicherung und Hilfestellung bei der Aufstellung einer Haushaltsrechnung, um zu sehen, welche Einnahmen sind da und welche Ausgaben.

Suchen die Betroffenen die Hilfe in der Regel selbst oder müssen hier Dritte aktiv werden?

Tost Da wir hauptsächlich von der Stadt finanziert werden, haben wir viele AlG-2-Empfänger, die vom Jobcenter an uns verwiesen werden. Im Beratungsgespräch mit dem Fallmanager wird dort geklärt, ob eine Schuldensituation vorliegt und eine Beratung bei uns sinnvoll ist. Ansonsten gibt es auch einen freien Zugang über eine telefonische Terminvergabe.

Wie wichtig ist für den Betroffenen die Einsicht in die eigene Situation?

Jaspers Man kann sagen, wenn der Betroffene nicht aus freien Stücken kommt, ist die Beratung immer schwieriger, als wenn derjenige von sich aus zu uns kommt. Die Motivation, etwas am eigenen Leben zu verändern, ist dann natürlich viel höher, als wenn man vom Jobcenter geschickt wird. Ohne Einsicht ist es kaum möglich, die nötigen Veränderungen im Leben herbeizuführen. TOST Und Veränderungen können teilweise zwingend notwendig sein: Wenn ich jahrelang eine zu hohe Miete zahle, dann muss ich irgendwann überlegen, in eine günstigere Wohnung zu ziehen.

Wenn man einmal aus den Schulden heraus ist, wie hoch ist die Rückfallquote?

Jaspers Dazu gibt es keine erhobenen Zahlen. Es ist allerdings nicht die Regel, dass jeder, der einmal überschuldet war, zwingend rückfällig wird. Aber es kommt natürlich vor. Entscheidend ist letztlich der Lösungsweg - wenn der nicht stimmt, dann führt er auch nicht zum Ziel der Schuldenfreiheit. Und dann haben wir Menschen, die zum zweiten oder auch dritten Mal bei uns sind.

Tost Das ist insgesamt betrachtet aber eher die Ausnahme als die Regel.

Wie kann man es denn schaffen, das Stigma von der Notsituation "Überschuldung" zu entfernen?

Tost Ein Weg ist, die Öffentlichkeit darauf zu sensibilisieren, dass es wirklich jeden treffen kann: Ein Lebensplan wird über den Haufen geworfen und schon ist man in der Überschuldung. Es gibt Menschen, die einfach über ihren Verhältnissen leben, aber viel öfter kommt es etwa vor, dass eine Ehe geschieden wird und plötzlich eine doppelte Haushaltsführung vorhanden ist. Oder jemand wird arbeitsunfähig, muss aber zwei Kredite bedienen, was dann nicht mehr möglich ist. Meiner Meinung nach ist es wichtig, die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren.

WOLFGANG WEITZDÖRFER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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