Paratriathlon Wenn der Rollstuhl Flügel bekommt

Schwimmen, Radfahren, Laufen: Volker Schatz ist mit dem deutschen Meistertitel im Paratriathlon aus Hamburg zurückgekehrt. „Als ich noch gehen konnte, habe ich davon geträumt“, sagt er, „jetzt habe ich mir den Traum erfüllt.“

 Der 61-jährige Volker Schatz ist mit dem deutschen Meistertitel im Paratriathlon aus Hamburg zurückgekehrt.  Foto: Schatz

Der 61-jährige Volker Schatz ist mit dem deutschen Meistertitel im Paratriathlon aus Hamburg zurückgekehrt. Foto: Schatz

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Remscheid Wenn Volker Schatz die Augen schließt, dann sieht er noch die Lichtstrahlen vor sich, die die Sonne auf das Wasser warf. Er erinnert sich an diesen Moment auf einem Boot, das vor der Gefängnisinsel Alcatraz ankerte. An den Startschuss, das eiskalte Wasser, die Strömung und an den Hinweis, dass man keine Angst vor großen Tiere haben dürfe. Und dann schwamm Volker Schatz – einzig aus der Kraft seiner Arme. Von Alcatraz nach San Francisco. Was bis in die 1960er Jahre für den ein oder anderen Gefängnisinsassen den Weg in die Freiheit bedeutet, war auch für Volker Schatz ein Befreiungsschlag.

Nur ein paar Monate zuvor hatten sich seine Beine der Krankheit gebeugt und der Lenneper hatte widerwillig dem Rollstuhl zugestimmt. „Die Krankheit ist mir in die Wiege gelegt“, sagt der heute 61-Jährige. Gewusst hatte er davon lange nichts. Erst als er Mitte der 1990er Jahre zuweilen zu torkeln begann, ging er zum Arzt. Und der machte ihm klar: „Da ist nichts zu machen.“ Die Beine würden schwächer und irgendwann gar nicht mehr laufen können. 17 Jahre lang hatte Schatz trotzdem gekämpft, irgendwann trotzig den Stock akzeptiert und sich dann von Ehefrau Martina auch zum Rollstuhl überzeugen lassen. Das war 2012. „Der Einbruch“, sagt er. Dann sah er im Fernsehen einen Film über die Flucht von Alcatraz. Noch im gleichen Jahr meldete er sich für den Wettkampf an, für den jedes Jahr hunderte Schwimmer in der San Francisco Bay ins Wasser gehen. „Ich hatte damals das Gefühl: Du musst zeigen, dass du immer noch der Starke bist. Trotz des Rollstuhls“, sagt er heute.

Vor allem sich selbst sei er damals dieses Zeichen schuldig gewesen. Und währen manch ein Schwimmer um ihn herum erschöpft aus dem Wasser gezogen wurde, schwamm Volker Schatz. An jenem Tag beschloss er: Er würde nicht der Typ sein, der sich mit seinem Rollstuhl im Wohnzimmer versteckt. Gemeinsam mit Ehefrau Martina baute er ihr Haus in Lennep um, vier Jahre später verkaufte er seine Firma. „Und ich erinnerte mich an meine Träume“, sagt er. Als junger Mann hatte sich Volker Schatz als Rettungsschwimmer für die DLRG am Fühlingersee engagiert und 1989 auch die Teilnehmer der Europameisterschaften im Triathlon begleitet. „Ich war begeistert und fasziniert“, erinnert er sich, „was für eine verwegene Sportart.“ Schwimmen, kein Abtrocknen, dann die Laufstrecken und das Fahrrad. „Ich habe davon geträumt, irgendwann selbst am Triathlon teilzunehmen“, erzählt er, „aber als ich noch gehen konnte, habe ich nie ernsthaft genug trainiert.“

Er hatte viele Laufkilometer hinter sich gelegt und nie die Lust am Schwimmen verloren. Aber erst im Rollstuhl trainierte er 2013 für den Marathon in Köln. Dann entdeckte er die wunderbaren möglichen des Rollstuhl-Bikes, nahm mit der Staffel beim Triathlon in Hückeswagen teil und knüpfte Kontakt zu anderen Sportlern. Die ermutigten ihn schließlich, sich doch für den Triathlon in Hamburg anzumelden – bei dem auch die Deutschen Meisterschaften im Paratriathlon ausgetragen werden. Mit einem neuen Ziel vor Augen begann Schatz zu trainieren: 2015 errang er die Silbermedaille, ein Jahr später die Bronzemedaille. „Danach machte ich eine Pause“, erzählt Schatz.

Dieses Jahr wollte er es noch mal wissen. Gemeinsam mit seiner Trainerin bereitete er sich auf die Deutschen Meisterschaften vor: Fünfmal in der Woche stand Ausdauertraining auf dem Programm. Schwimmen, Bike-Rollstuhl und Rennrollstuhl. „Unsere Trasse eignet sich für das Training hervorragend“, sagt Schatz. Dazu kamen regelmäßige Einheiten in seinem Fitnessraum. „Ich wusste, dass ich gut vorbereitet bin“, sagt der 61-Jährige, „besser als je zuvor.“ Die Schulterschmerzen fühlte er nicht, die kleinen Greifräder bewegte er zur Laufstrecke in Windgeschwindigkeit, bevor er in das Rollstuhl-Bike wechselte und die letzte Etappe hinter sich brachte. Am Ende überbot er seine eigene Bestzeit um zehn Minuten und holte sich in Hamburg die Goldmedaille. „Da verdrückst du schon ein Tränchen“, sagt er. Und als er dann zurückblickte – auf die Hürden und Entwicklungen – da dachte er an einen Spruch seines Vaters: „Wenn du denkst, du bist am Ende deiner Kraft, dann hast du erst die Hälfte verbraucht.“ Immer wieder habe sich das in seinem Leben bewahrheitet.

Im August will Volker Schatz noch mal für die Staffel in Hückeswagen an den Start gehen, dann soll aber Schluss sein mit den Wettkämpfen. „Ich bin auch nicht mehr der Jüngste“, sagt er lachend. Aber schwimmen und radeln, will er weiter. „Menschen, die nicht im Rollstuhl sitzen, können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, aus eigener Kraft in hoher Geschwindigkeit mitten durch die Natur zu fahren“, sagt er. Dann bekomme der Rollstuhl auf der Trasse plötzlich Flügel. Schatz lächelt. „Freiheit“, sagt er dann, „Freiheit.“

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