Hilfsangebote in Remscheid So verarbeiten Ukrainer ihr Trauma

Remscheid · Im Ukraine-Zentrum hat man erkannt, dass die Geflüchteten aus der Ukraine oft mit Traumata nach Deutschland ­gekommen sind. Deren Verarbeitung kann hier vor Ort beginnen.

 Lieber machen statt warten: Mitarbeiterin Nataliia Ustich, Diplom-Psychologin Nina Schäfer (M.)und Andreas Bunge, Leiter des Ukraine-Zentrums.

Lieber machen statt warten: Mitarbeiterin Nataliia Ustich, Diplom-Psychologin Nina Schäfer (M.)und Andreas Bunge, Leiter des Ukraine-Zentrums.

Foto: Wolfgang Weitzdörfer

Es mag wie eine Binsenweisheit klingen. Allerdings eine, die man durchaus ernst nehmen muss. Krieg, Terror und Flucht können zu traumatischen Erfahrungen führen. Diese wiederum können ausgewachsene Traumata bei den Betroffenen zur Folge haben. Aktuell sind auch in Remscheid viele Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine. Sie haben in der Stadt eine, vielleicht vorübergehende, vielleicht dauerhafte, neue Heimat gefunden, nachdem ihre eigentliche vom russischen Präsidenten Wladimir Putin am 24. Februar überfallen worden ist und seitdem in einem verbrecherischen Krieg gefangen ist. Dessen Ende ist nicht absehbar, somit auch nicht die Möglichkeit für die Geflüchteten, zurück nach Hause zu kehren. In Remscheid gibt es seit dem 1. April im ehemaligen evangelischen Gemeindezentrum am Hackenberg das Ukraine-Zentrum, das von der Diakonie geleitet wird. Und dort weiß man, dass man Traumata unter anderem mit Resilienz begegnen kann.

Andreas Bunge, Leiter des Ukraine-Zentrums, und sein Team haben sich dem Thema schon früh angenommen. „Wir erleben die Menschen aus der Ukraine hier und fragen uns: Was können wir für sie tun? Das Zentrum ist seinerzeit ins Leben gerufen worden, um hinzusehen, wie wir zuerst das Ankommen und dann den Aufenthalt für die Geflüchteten organisieren können“, sagt er. Die Frauen und Männer aus der Ukraine hätten zum einen teilweise furchtbare Dinge erleben müssen, würden aber auch auf der anderen Seite hier – in objektiver Sicherheit – weiterhin unter einem enormen Druck stehen. „Sie bekommen über Smartphones und soziale Medien die Situation an der Front und in ihrer Heimat nach wie vor mit. Das ist eine riesige Belastung“, sagt Bunge. Er selbst habe die Bilder aus dem vollkommen zerstörten Mariupol gesehen – und könne sie nicht mehr aus dem Kopf bekommen. „Wie muss das für jemanden sein, der dort gewesen ist?“, stellt Bunge die rhetorische Frage.

Aus diesem Grund habe man sich im Ukraine-Zentrum die Frage gestellt, was man den geflüchteten Menschen anbieten könne, um eine gewisse Resilienz für das Erlebte aufbauen zu können. „Die Forschung nach dem 9/11-Attentat hat ergeben, dass jemand, der möglichst bald nach einem erlebten Trauma in eine Form der Therapie geht, weit besser damit zurechtkommt als jene Menschen, die das erst viel später können“, sagt Bunge. Daher gibt es im Ukraine-Zentrum sowohl kognitive Therapie-Verarbeitung als auch praktische.

Nina Schäfer ist Diplom-Psychologin – und Russin. „Ich leite eine Trauma-Resilienzgruppe hier im Zentrum. Die Gruppe läuft seit zwei Monaten. Es geht darum, sich selbst wieder wahrzunehmen und zu lernen mit den eigenen Emotionen umzugehen“, sagt Nina Schäfer. Als der Krieg ausgebrochen sei, habe sie sich so furchtbar und schuldig gefühlt. „Ich bin auf den Friedensdemos hier in Remscheid gewesen, mit einem Schild, auf dem stand: Ich bin Russin und ich schäme mich“, sagt sie ernst. Sie sei sehr dankbar, helfen zu können.

Im Ukraine-Zentrum wolle man pragmatisch sein, sagt Bunge. „Wir probieren auch aus, um schnellstmöglich helfen zu können. Wir machen lieber etwas und warten nicht auf einen Therapieplatz, den es nicht gibt“, sagt er. Ebenfalls eine kognitive Therapieform werde in einer Gruppe der Frauenberatungsstelle Indigo angeboten. „Die lief für acht Frauen in den vergangenen zwei Monaten. Sie soll auch im Januar fortgeführt werden. Das Ganze ist ein hochtherapeutisches Setting“, sagt Nataliia Ustich. Die junge Mutter ist selbst aus der Ukraine nach Deutschland geflohen und arbeitet zusammen mit der ebenfalls geflohenen Marina Tkachuk im Ukraine-Zentrum. Weil die kognitive Therapie aber auch einen praktischen Teil braucht, bietet Ustich eine Yoga-Gruppe an, die sehr gut angenommen wird. „Es gibt Übungen, bei denen die teilnehmenden Frauen vor allem abschalten lernen können und es ihnen möglich wird, die unsäglichen Dinge zu vergessen, die sie gesehen oder erlebt haben“, sagt die junge Ukrainerin.

In eine ähnliche Richtung gehe das zweite praktische Angebot – eine Tanz-Gruppe. „Auch hier gilt: Die Teilnehmenden sollen in Kontakt mit sich selbst kommen. Die beiden Angebote finden zweimal in der Woche statt“, sagt Bunge. Man könne dabei beobachten, wie gut es den Frauen tue, in eine andere Welt einzutauchen, abzuschalten und auftanken zu können. „Sie haben das Gefühl, einmal nichts leisten zu müssen“, sagt Bunge. Nataliia Ustich ergänzt: „Das ist entscheidend, denn Traumata können auch durch Aktivitäten verarbeitet werden. Die Frauen, die bei mir in der Yoga-Gruppe sind, sind glücklich und entspannt.“ Dabei kämen auch Reaktionen vor, die im ersten Augenblick schwer einzuschätzen seien. „Manchmal lachen die Frauen, manchmal weinen sie. Sie können ihr Verhalten nicht immer kontrollieren“, sagt die Ukrainerin. Sie habe herausgefunden, dass die Frauen schlimme Dinge erlebt hätten. Im Ukraine-Zentrum könne die Heilung ihren Anfang nehmen.

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