Analyse Sturmwarnung - Stadt muss zusammenrücken

Remscheid · Ansichtssache Jahreswechsel 2016/2017: 2016 war ein bewegtes und schwieriges Jahr. Viele Fragen wie die Flüchtlingskrise, die türkische Autokratie, Bedrohung durch Terror und die Finanznot der Kommunen bleiben ungelöst und gehen über ins neue Jahr, das ja ein Wahljahr ist. Die Stadtgesellschaft muss sich weiter auf politisch stürmische Zeiten einstellen.

 Bernd Bussang, Leitender Regionalredakteur.

Bernd Bussang, Leitender Regionalredakteur.

Foto: Moll

DAS JAHR DER SPALTUNG

 Die Fußball-EM einte die Menschen der 110 Nationen-Stadt Remscheid: Beim Public Viewing auf dem Rathausplatz feierten Fans unterschiedlicher Herkunft gemeinsam den Erfolg der deutschen Nationalmannschaft.

Die Fußball-EM einte die Menschen der 110 Nationen-Stadt Remscheid: Beim Public Viewing auf dem Rathausplatz feierten Fans unterschiedlicher Herkunft gemeinsam den Erfolg der deutschen Nationalmannschaft.

Foto: Jürgen Moll

Zum Jahreswechsel trägt Remscheid viele Konflikte mit ins neue Jahr, alte und neue. 2016 war ein Jahr der Spaltung und das gleich in vielfacher Hinsicht. Remscheid hat die Belastungen durch ankommende Flüchtlinge gut geschultert, den ersten Ansturm gemeistert und doch werden die Gräben zwischen Unterstützern und Kritikern der Merkelschen Flüchtlingspolitik tiefer bis hin zur offenen Gewalt gegen Flüchtlingshelfer in unserer Stadt. Terroranschläge verunsichern die Bevölkerung, Sicherheitsfragen stellen sich neu und müssen schnell und effektiv beantwortet werden. Erdogans autokratischer Führungsstil geht immer weiter und strahlt auch ab in unser Land. Auch in dieser Stadt hat er viele Unterstützer. Die Diskussion über ein gemeinsames Demokratieverständnis braucht klare Standpunkte.

Das DOC ist nun beschlossene Sache. Eine breite Ratsmehrheit hat dafür gestimmt, und die Entscheidung ist richtig. Doch Bedenken und Einwände bis hin zu erwarteten Klagen bleiben. Sie müssen weiter beachtet und ernst genommen werden.

Die drei bergischen Städte sind sich weiterhin nicht grün. Daran hat auch der neu gegründete Bergische Rat nichts geändert. Sie müssen weiter aufeinander zugehen. Die Finanzkrise der Stadt ist längst nicht überwunden, es fehlen Gewerbegebiete. Politische Weitsicht und Ideenreichtum sind also gefragt, nicht parteipolitischer Kleinkrieg im nun beginnenden großen Wahljahr 2017.

ALLES POPULISMUS?

Flüchtlingshelfer gegen Merkels Kritiker, Erdogananhänger gegen Kurden, mehr Sicherheit, weniger Freiheit? Die Welt ist unwägbarer geworden, Gräben weiten sich, Staatsvertrauen geht verloren, der Ton wird rauer, auch in unserer Stadt. Wer Flüchtlingen hilft, gilt als ein naiver Gutmensch. Wer schnelle und konsequente Abschiebung ausländischer Straftäter verlangt, als ein Populist. Beides ist falsch. Richtig ist: Wer tatsächlich Bedrängten helfen will, muss diejenigen abweisen, die aus anderen Gründen in unser Land wollen, erst recht jene, die das Gastrecht missbrauchen, indem sie Straftaten begehen oder vorbereiten. Er muss vor allem auch der eigenen Bevölkerung beweisen, dass der Rechtsstaat gilt und funktioniert.

Dazu gehört ganz entscheidend die Gefahrenabwehr durch Polizei und Justiz. Gelingt das nicht umfassend und schnell, werden radikale Kräfte das schonungslos ausnutzen. Im Land, im Bund und in der Stadtgesellschaft.

PARTNER TÜRKEI ?

Es wird immer offenbarer, wie sehr sich die Türkei von Europa entfernt. Der Partner Erdogan, der noch die Flüchtlingsströme dämmt, schmiedet eine islamische Autokratie, in der Oppositionelle und Journalisten gnadenlos verfolgt werden. Doch die Zahl seiner Anhänger auch in unserer Stadt ist groß. Was kann die Remscheider Stadtspitze tun? Fastenbrechen mit türkischen Ultranationalisten wie den Grauen Wölfen, deren Remscheider Internetseite übrigens mehr als 1400 Likes hat, ist vielleicht gut gemeint, aber sicher der falsche Weg. Und was hilft eine Städtepartnerschaft mit Kirsehir, wenn dessen Bürgermeister den ersten Besuch in Remscheid nutzt, um Erdogans Politik zu verteidigen? Da hilft nur Deutlichkeit im Ausdruck: Unsere westliche Demokratie hat klare Regeln und die sind nicht verhandelbar. Wer das nicht akzeptiert, kann keine Unterstützung erwarten. Das gilt auch für die Ditib, die in Remscheid derzeit eine Moschee baut und der enge Verbindungen zu Erdogans Religionsbehörde Diyanet nachgesagt werden.

DAS JAHRHUNDERTPROJEKT

Das DOC ist politisch auf den Weg gebracht, doch ist mit einem Baubeginn 2017 nicht mehr zu rechnen. Es könnte also das Jahr der Klagen werden. Ausgang ungewiss. Vorne weg stiefelt der bergische Partner Wuppertal. Dessen FOC-Projekt läuft derzeit nicht gerade rund. Von der Klage gegen Remscheid wird er sich aber nicht abbringen lassen. Die zaghaften Versuche der drei Städte, in der Kultur zusammenzuarbeiten und gemeinsam etwa die "Orchesterfrage" zu lösen, blieben 2016 eine Fußnote. Der Bergische Rat, der vor allem durch den Vorstoß der IHK zustande kam, ist bisher noch ein zahnloser Tiger, eine Art bergischer Bettvorleger.

ARMES REMSCHEID

Remscheid hat enormes Potenzial, das wird besonders deutlich, wenn es um bürgerschaftliches Engagement, also um die Kultur, die Flüchtlingshilfe oder ums Feiern geht. Aber Remscheid hat kein Geld. Das wird so bleiben. Es drohen Haushalts- und Verteilungskämpfe, dort wo es nichts zu verteilen gibt. Und das auch noch im Wahljahr. Wer nicht weniger ausgeben will, muss mehr einnehmen.

Die Grundsteuerschraube ist fest angedreht, bleibt die Gewerbesteuer. Doch wie soll das gehen ohne neue Gewerbegebiete? Die Diskussion darüber muss also weitergehen.

DIE STADTGESELLSCHAFT Es wird kein leichter Job für den Oberbürgermeister und alle, die politische Verantwortung tragen. Burkhard Mast-Weisz muss vereinen, aber nicht um jeden Preis. Er wird mehr denn je auch unpopuläre Entscheidungen treffen müssen, wenn sie dem Allgemeinwohl dienen. Doch das alles schafft er nicht allein. Er braucht viele Helfer. Die Stadt darf streiten, aber mit Respekt vor dem Gegenüber. Und sie muss zusammenrücken. Denn es gibt Sturmwarnung für 2017 - es wird gewiss kein ruhiges Jahr.

(bu)
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