Mädchen aus Remscheid Ajla und die Zwei-Millionen-Euro-Spritze

Remscheid · Weil ein zweijähriges Mädchen aus Remscheid an spinaler Muskelatrophie leidet, wurde sie mit dem teuersten Medikament der Welt behandelt. Bis die Therapie genehmigt wurde, musste die Familie einen langen Kampf durchstehen.

 Suada Cerimovic mit ihrer Tochter Ajla, die an spinaler Muskelatrophie leidet.

Suada Cerimovic mit ihrer Tochter Ajla, die an spinaler Muskelatrophie leidet.

Foto: privat

Statt Mama sagt die kleine Ajla zwar noch „Nana“, aber ihre Mutter Suada Cerimovic ist trotzdem begeistert. Denn bis vor Kurzem sprach die Zweijährige aus Remscheid kaum ein Wort, konnte weder stehen noch laufen oder selbständig atmen. Im Alter von sieben Monaten wurde bei ihr spinale Muskelatrophie (SMA) diagnostiziert, eine sehr seltene Krankheit, die unbehandelt meist innerhalb weniger Jahre zum Tode führt. Heute aber brabbele Ajla fröhlich vor sich hin und schaffe es sogar, eine halbe Stunde im Kinderstuhl zu sitzen, erzählt Suada Cerimovic. Für sie eine Folge der Therapie, die sich die Familie erkämpft hat. Ende Mai erhielt Ajla in der Bonner Uniklinik eine Infusion mit Zolgensma, dem teuersten Medikament der Welt. Kostenpunkt: zwei Millionen Euro.

 Bis dahin war es für die Familie aber ein langer Weg. Als Suada Cerimovic und ihr Mann Rasim die Diagnose ihrer Tochter erfuhren, brach für sie erstmal eine Welt zusammen. Rund zwei Jahre beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung bei SMA, hieß es damals. Und die Chance auf Heilung sei minimal. Immerhin bekam Ajla alle vier Monate das Mittel Spinraza ins Rückenmark injiziert, die zweite hierzulande zugelassene Therapie, die aber lebenslang erfolgen muss. Währenddessen hörte Suada Cerimovic von der Möglichkeit, mit der einmaligen Gabe von Zolgensma die Krankheit vielleicht für immer zu besiegen. „Die Ärzte haben uns aber zunächst davon abgeraten“, sagt die 37-Jährige. Doch Berichte über das erste Kind, dass in Deutschland von dem Medikament profitierte, bestärkten die Familie, nicht aufzugeben.

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 Bis 2017 gab es überhaupt kein wirksames Mittel gegen die spinale Muskelatrophie. Dann kam das Mittel Spinraza der US-Firma Biogen auf den Markt, das alle vier Monate in die Rückenmarksflüssigkeit injiziert werden muss. Auch dabei entstehen hohe Kosten, bis zu 500.000 Euro pro Jahr. Zwei Jahre später wurde Zolgensma in den USA zugelassen, ein Jahr darauf auch in Europa. Es handelt sich um eine Gentherapie; eine funktionsfähige Variante des Gens SMN1 wird dabei in die Körperzellen eingeschleust. Sinn des Unterfangen ist es, den durch die SMA verursachten, erblich bedingten Gendefekt quasi zu reparieren. Bei der Krankheit können Impulse aus dem Gehirn nicht mehr an Muskeln im Körper weitergeleitet werden, unbehandelte Kinder sterben meist innerhalb von zwei Jahren an Atemschwäche.

Zolgensma kann nur einmalig verabreicht werden, je früher, desto besser sind die Erfolgschancen. Studien zeigen, dass behandelte Kinder länger überleben und bessere motorische Fähigkeiten entwickeln. Den hohen Preis begründet der Hersteller Novartis mit dem extrem langwierigen und aufwändigen Herstellungsprozess sowie der nur einmaligen Anwendung. Insgesamt gibt es etwa 1500 an SMA erkrankte Kinder in Deutschland, pro Jahr kommen etwa 40 bis 50 Fälle hinzu. Für sie gibt es seit diesem Jahr auch noch ein drittes Medikament auf dem Markt, das den Wirkstoff Risdiplam enthält und oral eingenommen werden muss, das aber täglich und lebenslang. Die Kosten liegen bei bis zu 300.000 Euro pro Jahr.

 Viele Krankenkassen reagieren denn auch erst einmal ablehnend, wenn es darum geht, die Kosten zu übernehmen. Anwalt Johannes Kaiser aus Olpe hat sich darauf spezialisiert, solche Fälle zu übernehmen. Es gebe keine Begründung, die er von den Kassen noch nicht gehört habe, sagt er, zumeist werde aber auf fehlende Langzeitstudien verwiesen. „Da es das Medikament aber erst seit 2019 gibt, können dahingehend natürlich noch keine Ergebnisse vorliegen“, sagt Kaiser. Auch die Eltern von Ajla hatten Kaiser hinzugezogen, weil ihre Krankenkasse sich quer stellte. Auf der Suche nach Hilfe war sie im Internet auf den Anwalt gestoßen, erzählt Suada Cerimovic. Länger als ein Jahr dauerte der Kampf um die Kostenübernahme, bis Kaiser eine Einigung mit der Kasse erzielen konnte. Es sei ein besonders steiniger Weg gewesen, den die Familie hätte gehen müssen, sagt der Anwalt. Denn für die Kinder ist es wichtig, das Mittel möglichst vor dem zweiten Geburtstag zu erhalten, Ajla lag knapp darüber.

 Umso glücklicher ist Suada Cerimovic, dass bei ihrer Tochter schon nach kurzer Zeit gesundheitliche Fortschritte zu sehen sind. „Ich hoffe, dass ihr Beispiel anderen betroffenen Eltern Mut macht“, sagt die 37-Jährige. Ajla wird in einem Remscheider Pflegeheim versorgt, die Mutter ist täglich bei ihr. In der Wohnung fehlt der Platz, um das Kind angemessen zu betreuen, die Familie hat noch drei Söhne im Alter von 15, 13 und acht Jahren. Die kommen gerade etwas kurz, denn Vater Rasim kümmert sich als Alleinverdiener um den Lebensunterhalt. Kollegen, Freunde und Verwandte haben die Familie finanziell unterstützt. Suada Cerimovics ist sehr dankbar dafür und hofft darauf, dass sie und ihr Mann sich irgendwann eine größere Wohnung leisten können, in der auch Ajla mit ihnen leben kann. Denn dass ihre Tochter mit und bei der Familie leben wird, davon geht ihre Mutter aus. „Ajla hat schon so vieles geschafft“, sagt sie. „Ich glaube an die Kleine.“

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