Artistin nach Sturz auf dem Weg der Besserung „Ich habe nicht geglaubt, dass sie das überlebt“

Remscheid / Solingen · Die Artistin Natascha Frank ist nach dem schweren Unfall beim Weihnachtscircus in Remscheid auf dem Weg der Genesung. Doch der Schock sitzt bei allen Beteiligten noch tief.

Die verunglückte Natascha Frank mit ihrem Lebensgefährte Hardy Scholl, Sohn Eddy und Prof. Dr. Sascha Flohé, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie in Solingen.

Die verunglückte Natascha Frank mit ihrem Lebensgefährte Hardy Scholl, Sohn Eddy und Prof. Dr. Sascha Flohé, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie in Solingen.

Foto: Fred Lothar Melchior

Aus der Zirkuskuppel in die Tiefe: So war es Teil der Show, die „dem Publikum den Atem stocken“ lässt, wie es im Programmheft heißt. Aber einen Tag vor Heiligabend konnte sich Natascha Frank nicht knapp über dem Boden abfangen. Sie fiel ungebremst aus acht Metern Höhe, weil ihre seidenen Tücher bei dieser Vorstellung an einem seidenen Faden hingen: Das Seil, an dem die Artistin unter die Kuppel gezogen wurde, war gerissen.

„Ich habe den Motor bedient, mit dem sie hochgezogen wird“, sagt Zirkusdirektor Hardy Scholl, der immer noch fassungslos ist. „Es war ein Unfall. Das Seil hätte nicht reißen dürfen.“ Scholl, der direkt neben der Bühne stand, wurde ohnmächtig: Natascha Frank ist seine Lebensgefährtin, Sohn Eddy gerade sieben Monate alt. Auch die Artistin verlor das Bewusstsein, war nicht ansprechbar. Sie brach sich vier Rippen, verletzte sich außerdem am Kopf und der Wirbelsäule.

„Ich habe nicht geglaubt, dass sie das überlebt“, berichtet Hardy Scholl: „Ich kann nicht beschreiben, wie ich das empfunden habe. Der Knall war furchtbar laut.“ An den Weihnachtstagen konnte der Zirkusdirektor nicht richtig sprechen: „Ich habe nach dem Unfall so geschrien.“ Erst viel später kam es zu einem ersten „vernünftigen“ Gespräch am Krankenbett. Scholl: „Natascha kann sich an den Unfall und den Tag vorher nicht erinnern. Sie glaubte, dass sie einen Fehler gemacht hat.“ Es sollte das erste Weihnachtsfest mit Eddy werden, nachdem die 32-Jährige viele Jahre versucht hatte, ein Kind zu bekommen. „Nach der Vorstellung wollte sie den Weihnachtsbaum aufstellen.“

Dass Eddy nicht ohne oder mit einer querschnittsgelähmten Mutter aufwächst, liegt für Prof. Dr. Sascha Flohé auch an dem Holzboden, auf den die Artistin gefallen ist. „Der  hat ihr das Leben oder die Gesundheit gerettet“, erläutert der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie am Städtischen Klinikum in Solingen. Dort wird Natascha Frank behandelt. „Die Kopfverletzung hat uns am Anfang am meisten Sorgen gemacht“, berichtet Flohé. „Das wird aber ohne schlimme Defizite verheilen. Die Rippen heilen von selber, und die Wirbelsäulenverletzung ist stabilisiert.“

Natascha Frank ist Seilartistin beim Remscheider Weihnachtscircus. Sie stürzte bei der Nummer „Fliegende Tücher“ ab und verletzte sich schwer.

Natascha Frank ist Seilartistin beim Remscheider Weihnachtscircus. Sie stürzte bei der Nummer „Fliegende Tücher“ ab und verletzte sich schwer.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Deshalb kann Natascha Frank auch aufstehen und erste Schritte machen. Gestern wurde aber noch einmal die gequetschte Lunge behandelt, damit sie sich wieder entfaltet. „Die Patientin hat eine relativ gute Konstitution“, bescheinigt der Chefarzt. „Bis zur Genesung reden wir aber eher über Wochen als über Tage. Da ist noch einiges an medizinischen Untersuchungen nötig. Außerdem wäre eine Reha-Behandlung nach einer derart schweren Verletzung sinnvoll.“

„Schon am Mittwoch hat Natascha gefragt, wann sie wieder proben darf“, erzählt Hardy Scholl. Natascha Frank hat ein festes Ziel: „Ich möchte beim nächsten Weihnachtszirkus wieder dabei sein.“ Chefarzt Sascha Flohé macht ihr Mut: „Das ist auch realistisch. Sie muss jetzt aber das Laufen und das Atmen wieder lernen.“

Glück im Unglück. Aber warum arbeiten die meisten Artisten in dem Familienzirkus ohne Sicherheitsleine? „Wir glauben, dass es für das Publikum so interessanter ist“, sagt Hardy Scholl. „Es gibt schon ein Berufsrisiko. Aber Artisten zieht es immer wieder zurück“, betont der 54-Jährige, der vor 25 Jahren selbst vom „Todesrad“ abstürzte und sich schwer verletzte. „Zirkus ist ein hartes Leben, aber schön. Leider stirbt die Zirkuskultur ein wenig aus.“

In Remscheid gastiert der Weihnachtscircus noch bis zum 6. Dezember (Freitag uund Samstag 15.30 Uhr, Sonntag 11 und 15 Uhr). Hardy Scholl hofft bei den letzten Vorstellungen noch einmal auf großes Interesse. Viele Besucher der abgebrochenen Vorstellung seien später wiedergekommen: „In jeder Vorstellung waren mindestens 40 Personen, die sich nach Natascha erkundigt und gute Besserung gewünscht haben. Einige haben mir auch 20 Euro für Blumen in die Hand gedrückt.“

Als nächstes gastiert der Zirkus Busch, so der übliche Name, knapp einen Monat in Düsseldorf. Gegründet wurde er als Zirkus Schollini. „Bei einem Auftritt in Schweden vor drei Jahren hat uns aber Michael Busch gefragt, ob wir nicht die alte Tradition des Zirkus Busch wiederbeleben wollten“, blickt Hardy Scholl zurück. Die Frage war ein Kompliment. Scholl: „Wenn man es nicht mit Herz macht, kommt die Show nicht rüber.“ Und er ist mit seinen fünf älteren Kindern, Lebensgefährtin Natascha Frank sowie allen anderen mit ganzem Herzen dabei.

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