Bundestagswahl 2021 in Remscheid und Solingen Shoan Vaisi könnte Geschichte schreiben

Remscheid/Solingen/Wuppertal · Der gebürtige Iraner floh 2011 vor den Taliban. Er kandidiert für Die Linke im Wahlkreis 103 – und könnte der erste Geflüchtete im Bundestag sein.

 Shoan Vaisi vor dem Partei-Büro von Die Linke in Remscheid.

Shoan Vaisi vor dem Partei-Büro von Die Linke in Remscheid.

Foto: Jürgen Moll

Die Linke im Bergischen Städtedreieck darf sich rühmen, im bergischen Wahlkreis 103 den Kandidaten zu stellen, der zumindest überregional die größte mediale Aufmerksamkeit bekommt. Der 1990 in Sanandaj im Iran geborene Shoan Vaisi, der 2011 auf der Flucht vor den Taliban über die Türkei und Griechenland nach Deutschland kam, könnte nach der Wahl am 26. September der erste ehemalige Flüchtling sein, der es in den Bundestag geschafft hat. Kaum eine große überregionale Tageszeitung, die ihn noch nicht um ein Interview gebeten hat.

Dabei war seine Kandidatur eigentlich gar nicht geplant, berichtet Vaisi beim Treffen im Parteibüro der Remscheider Linken an der Schützenstraße. Als er aber Ende März erfährt, dass der aus Syrien stammende Grünen-Politiker Tareq Alaows nach rassistischen Anfeindungen seine Kandidatur zurückgezogen hat, entschließt sich der in Essen lebende Vaisi zehn Tage vor der Wahlversammlung seiner Partei, seine Kandidatur bekanntzugeben. Im Nachrichtendienst Twitter schreibt er am 31. März: „Die Drohungen gegen Tareq Alaows haben gezeigt, wie erschreckend die Vorstellung, dass ein Geflüchteter im deutschen Bundestag sitzt, für die Rassisten in Deutschland ist. Ich möchte ihren Alptraum wahr werden lassen ...“

Er wird auf Listenplatz 12 gewählt. Schneidet die Linke in zwei Wochen ähnlich gut ab wie bei der Bundestagswahl 2017, könnte das reichen. „Dass ein Mensch, der so lange in diesem Land lebt, angefeindet wird, ist ein Unding, das kann nicht sein“, sagt Vaisi. Auch er bekommt seit der Bekanntgabe seiner Kandidatur viele persönliche Hassbotschaften. „In den Köpfen dieser Menschen gehöre ich nicht zu dieser Gesellschaft.“ Aber die unterstützenden Stimmen überwiegen. Viele beginnen mit dem Satz, „ich wähle eigentlich nicht die Linke, aber …“ berichtet Vaisi mit einem Schmunzeln. Dass sich der Kurde 2014 in Deutschland der Linken anschloss, lag nahe. Auch in seiner Heimat sei er Mitglied einer linken Gruppierung gewesen, setzte sich für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ein, berichtet er. Er setzte sich mit dem Parteiprogramm auseinander und kam zu dem Ergebnis: „Die Linke ist die Partei, die mir am nächsten steht.“ In seiner neuen Heimatstadt Essen sitzt Vaisi seit 2020 für die Linke im Jugendhilfeausschuss.

Im Bund will er für eine humane Flüchtlingspolitik kämpfen. „Ich will mich dafür einsetzen, dass Menschen, die auf der Flucht sind, gerettet werden.“ Auch müssten die Menschen aus den Flüchtlingslagern etwa in Griechenland geholt werden, wo sie oft schon Jahre verbringen. „Da wächst eine Generation von Kindern heran, die keine Perspektive hat.“ Doch auch in Deutschland müsse mehr für Kinder getan werden, sagt Vaisi und nennt gleich einen Punkt, der das Bergische und das Ruhrgebiet verbindet: Zu viele Kinder lebten hier in Armut.

Brigitte Neff-Wetzel, Fraktionsvorsitzende im Remscheider Rat, nickt zustimmend. „Wir sind sehr glücklich mit Shoan“, sagt sie. Weil sich die Linke in Remscheid nach der Kommunalwahl 2020 personell neu aufgestellt hat, liege der Fokus aktuell auf der Arbeit vor Ort. Ähnlich sei die Situation in Solingen. So entschied man sich gemeinsam, über die Parteidrähte einen Kandidaten zu finden, der nicht aus der Region kommt. Beide Ortsverbände machten Shoan Vaisi fit für die speziell bergischen Themen des Wahlkreises. Der wiederum empfindet es als starkes Signal, wenn ein aus dem Iran stammender Flüchtling in der Stadt Solingen kandidiert, die durch den Brandanschlag im Jahr 1993 als Mahnmal dafür steht, wohin Fremdenhass führen kann.

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