Direktkandidaten für Remscheid und Solingen Vaeckenstedt will für die Grünen in den Bundestag

Remscheid/Solingen · Die Solingerin Silvia Vaeckenstedt will für Bündnis 90/Die Grünen als Direktkandidatin in den Bundestag einziehen. Sie rechnet sich „echte Außenseiterchancen“ aus.

 Silvia Vaeckenstedt auf ihrem Balkon in Solingen, umringt von viel Grün – so wie sie es in doppelter Hinsicht mag.

Silvia Vaeckenstedt auf ihrem Balkon in Solingen, umringt von viel Grün – so wie sie es in doppelter Hinsicht mag.

Foto: Daniele Funke

Eine ziemlich dicke, graue Katze zwängt sich scheu durch einen Türspalt. „Ja, ich weiß, er ist fett“, erklärt Silvia Vaecken­stedt und lacht, „wir hatten mal einen noch dickeren Kater, da habe ich einfach allen gesagt, dass das eine spezielle seltene Rasse und die Fülle dafür typisch sei.“

Dann begrüßt die Grünen-Politikerin aber erst einmal ihren Sohn Joshua. Der 17-Jährige hat derzeit einen langen Schultag. Nachdem seine Schule in Leichlingen vom Hochwasser zerstört wurde, muss er nun täglich mit dem Schulbus nach Köln. Und die 51-Jährige arbeitet Vollzeit in Bergisch Gladbach, ist dort bei der Agentur für Arbeit Teamleiterin im Bereich „Menschen mit Behinderung“. „Die Inklusion ist mein Steckenpferd“, betont sie — und dass das so ist, kommt nicht von irgendwo her. „Joshua ist mit einer schweren körperlichen Behinderung zur Welt gekommen. Dadurch, dass er fast eineinhalb Jahre in Krankenhäusern verbracht hat, ist er entwicklungsverzögert und besucht eine Förderschule. Vorher war er auf einer Regelschule, da hat vieles einfach nicht gestimmt. Da muss noch viel passieren, damit Inklusion auch tatsächlich funktioniert.“

Silvia Vaeckenstedt führt hinaus auf den begrünten Balkon mit Stahlgeländer und Holzboden. Die früheren Verwaltungsgebäude der Solinger Firma Flora Frey wurden vor einigen Jahren zu hochwertigen Eigentumswohnungen im urbanen Industriedesign umgebaut, der Blick der Bundestagskandidatin schweift ins Grüne. „Besonders mag ich hier die vielen gigantischen Bäume“, schwärmt die gebürtige Düsseldorferin.

Überhaupt: die Natur. Sonntagsmorgens um sieben Uhr ist bei den Vaeckenstedts nie jemand zu erreichen. Denn dann ist die Familie immer auf Wanderschaft. Ein festes Ritual. „Es gibt wahnsinnig schöne Routen im Bergischen Land, die Elfringhauser Schweiz etwa ist traumhaft, die Wege entlang der Wupper, ich genieße das immer sehr.“

Aufgewachsen ist die Mutter zweier Söhne in Düsseldorf. Mit 18 Jahren zog sie gemeinsam mit ihrem späteren Mann Arne nach Aachen. Sie machte dort eine Ausbildung zur Bankkauffrau, er studierte Ingenieurwesen. „Schon damals war ich politisch interessiert, Atomkraft, Nato-Doppelbeschluss – das waren ja so die Themen unserer Generation.“ Der Vater sei Straßenbahnfahrer gewesen: „SPD und Gewerkschaft, so bin ich geprägt.“

Später ging es für das junge Paar berufsbedingt nach Lindau an den Bodensee, aber Bayern, nein, das sei für eine Rheinländerin nicht wirklich der Ort „zum Glücklichwerden“. Als es sie zurückzog, war eigentlich nur eins für beide klar. „Wir wollten nach NRW, ob Rheinland oder Ruhrgebiet war uns egal. Ich trage mein Herz auf der Zunge, daher komme ich in Duisburg und in Düsseldorf klar. Ich bin sehr sozial, tolerant und offen und komme mit den Menschen grundsätzlich gut zurecht.“

Stärken, die sie auch im Wahlkampf gut einsetzen kann — nicht nur in Solingen, sondern eben auch in Remscheid und Wuppertal. In den Städten steht sie bis zum Wahlwochenende immer samstags den Bürgern für Gespräche und Diskussionen zur Verfügung. „Ich erlebe da natürlich auch Anfeindungen oder provokante Äußerungen, damit kann ich aber gut umgehen, und ich versuche immer, ins Gespräch zu kommen. Ich verurteile nicht, sondern ich möchte verstehen, warum jemand eine bestimmte politische Gesinnung entwickelt hat.“

Seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima im März 2011 ist Silvia Vaeckenstedt Mitglied der Grünen in Solingen, „Da war mir klar, dass man nicht nur reden kann, sondern anpacken muss.“ Eine Haltung die auch Annalena Baerbock unlängst im ersten TV-Triell zwischen den Kanzlerkandidaten vermittelt habe. „Ich fand sie wesentlich selbstbewusster als sonst. Sie hat deutlich gemacht, dass man nur mit massiven Veränderungen etwas erreichen kann. Gewohntes verlassen, Neues probieren.“

Mit 94,8 Prozent der Grünen-Stimmen ihres Wahlkreises war Silvia Vaeckenstedt im Juni zur Direktkandidatin ihrer Partei gewählt worden. Sollte die Co-Sprecherin der Solinger Grünen tatsächlich in den Bundestag einziehen, würde ihre Arbeit bei der Arge ruhen – Mann und Söhne könnte sie nur an den Wochenenden sehen. „Wir haben in der Familie eine gemeinsame Entscheidung getroffen. Mein Mann war auch oft beruflich unterwegs, warum sollte ich das nicht können? Außerdem wäre ich ja an den Wochenenden immer zu Hause.“

Stark machen möchte sich Silvia Vaeckenstedt in Berlin vor allem für auskömmliche Finanzen der bergischen Kommunen, für gleiche Bildungschancen für alle Kinder, für Inklusion, für Klimaschutz, für eine tolerante und offene Gesellschaft. Und wie schätzt sie ihre Möglichkeiten ein, sich gegen die sieben anderen Direktkandidaten durchzusetzen? „Ganz einfach“, erklärt sie lachend: „Ich habe eine echte Außenseiterchance.“

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