Gastro-Szene in Remscheid Nachfolger für Kult-Lokal gesucht

Ehringhausen · Die Wirtschaft Richard Becker ist ein Unikat unter den Lokalen in Remscheid. Besitzer Wolfgang Paffrath sucht nach fast 39 Jahren einen Nachfolger. Verkaufspreis: 499.000 Euro.

Wer das Ortsausgangsschild hinter sich gelassen und Remscheid „au revoir“ gesagt hat, auf den wartet 600 Meter bergab in Ehringhausen ein starkes Stück hiesiger Gastro-Szene. Die Wirtschaft Richard Becker ist Dauerbrenner und Unikat unter Remscheids Lokalen. Besitzer Wolfgang Paffrath will die Perle nach fast 39 Jahren aufgeben. Im Internet steht das Fachwerkhaus mit Hausbrauerei bei Immobilienscout24 zum Verkauf.

Der Abschied auf Raten begann vor drei Jahren, als Paffrath, den Freunde und Stammgäste „Bü“ rufen, an Prostatakrebs erkrankte. Mittlerweile ist er genesen, aber vieles geht dem Wirt nicht mehr so leicht von der Hand wie früher. Als sein Koch im Sommer erst ausfiel, dann in Ruhestand ging, entschied sich der 71-Jährige mit seiner Ehefrau Sylvia Dönneweg-Paffrath (63) zur Zäsur. „Wir haben Bilanz gezogen und uns nicht zuletzt angesichts meines Alters entschieden, aufzuhören.“

Dabei verlor das Betreiber-Paar die über 150 Jahre alte Historie des Treffpunkts nicht aus dem Blick. „Wir suchen in Ruhe einen würdigen Nachfolger“, versprechen beide. Bis ein Käufer gefunden ist, bleibt die Wirtschaft einmal wöchentlich geöffnet. Ohne Speisekarte, aber mit Mettbrötchen und Frikadellen. Donnerstags, wenn der MGV Ehringhausen 1850 seine Chorproben hinten im Saal abhält, nehmen treue Gäste ab 17 Uhr vorne ihr Bierchen. „Deutschlands Wirtschaft mit der kürzesten Öffnungszeit“, witzelt Alfred Klingelhöfer. „Eigentlich müsste am Eingang ein Schild stehen: von freitags bis mittwochs Ruhetag“, setzt Carl Kind noch einen drauf.

Galgenhumor, denn die kleiner werdende Schar der Stammkunden ist sich einig: „Die Tradition muss fortgesetzt werden.“ Wie alt die Wirtschaft Richard Becker ist, ist unklar. Das Haus stammt aus dem Jahr 1800. Ein uraltes Dokument, das in der guten Stube an der Wand hängt, verweist auf eine „Säuferliste“ von 1853, in der die Polizei namentlich benannten Trunkenbolden den Zutritt verwehrte.

„In jedem Fall“, sagt Wolfgang Paffrath, „wurde das Lokal schon vom Vater und Großvater von Richard Becker betrieben.“ Richard Becker war sein Großonkel, der Kneipier mit der Fliege, der Mitte der 20er-Jahre in die Gaststätte einstieg und diese fast 60 Jahre prägte. 1980 erkrankte er und bat den Neffen, am Zapfhahn auszuhelfen. „Bü“, dessen Spitzname auf seine ersten Laute als Baby zurückgeht, sagte zu. „Es half mir, mein Studium in Siegen zu finanzieren.“ Als Richard Becker am 19.Mai 1982 mit 86 Jahren starb, stand Wolfgang Paffrath am Scheideweg. Nach Maschinenbau- und Lehramtsstudium gab es für den Lüttringhauser keine Berufsperspektive. „Referendariatsplätze an einer Berufsschule waren in Zeiten der Lehrerschwemme nicht zu bekommen.“

Sein Glück: Seine Mutter Hilde erbte die Wirtschaft. Nachdem sie das Wirtshaus an den Sohn überschrieben hatte, eröffnete Paffrath nach einem Komplettumbau im Januar 1984 neu. Aus der Kneipe wurde ein Restaurant, das unter Koch Michael Achenbach gedieh. „Die Küche war ab 17 Uhr geöffnet, sonntags schon ab mittags. Die Bude war rappelvoll. Unsere Speisekarte lief fantastisch“, erinnert sich Paffrath. Der hintere Saal wurde 1989/90 renoviert. Es gehört zu den Eigenheiten des halb unter Denkmalschutz stehenden Hauses Ehringhausen 65, dass sein Besitzer dort einst ein Flugzeug baute. Der Ultraleichtflug ist seine Leidenschaft.

Auch die Braukunst lernte er lieben. Zu Zunft Kölsch und Bitburger gesellten sich ab 2006 zwei Hausmarken. Wolfgang Paffrath fand Gefallen am Selbstgebrauten, opferte die alte Damen-Toilette, installierte im mittleren Speisezimmer einen Kupferkessel. Im oberen Stockwerk wurde im alten Wohnzimmer ein Teil abgetrennt und die Mühle für das Korn integriert. Im Keller stehen vier 1000-Liter-Tanks. Eine Füllung liefert 250 Liter. Das helle und herbere Ehringhauser Gold und das dunkle, malzigere Ehringhauser Kupfer entpuppten sich als Renner. „Mehr als 50 Prozent des Bierumsatzes stammt von meinem Selbstgebrauten.“ Auch in Zwei-Liter-Flaschen wird es verkauft für
22 Euro inklusive zwölf Euro Flaschenpfand. Der Braukessel rechne sich, top-gepflegt sei er obendrein.

Paffrath und seine Frau bezeichnen die Wirtschaft, die in drei Segmente unterteilt werden kann, als „Liebhaberstück“. Neben dem Tresen steht die Akustik-Gitarre von „Bü“, die er ab und zu für die Gäste auspackt. Die Jazz-Reihe „Swinging Ehringhausen“, organisiert von Peter Bornemann, ist untrennbar mit der Wirtschaft Richard Becker verbunden.

250 Quadratmeter hat das Gewerbeobjekt, weitere 150 Quadratmeter bietet die Eigentümerwohnung und 55 Quadratmeter eine Einliegerwohnung. Jetzt muss sich nur jemand finden, der das Haus mit seinem Verkaufspreis von 499.000 Euro ebenso wertschätzt wie seine Vorgänger. Bis dahin will das Ehepaar Paffrath nichts überstürzen: „Wir wären bereit, in einer Übergangszeit den potenziellen Nachfolger einzuführen.“

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