„Ich hatte mich aufgegeben“ Mit 34 Jahren ins Seniorenheim

Remscheid · Fatih Aydin wohnt seit fünf Jahren im Altenheim Alloheim am Sana Klinikum. „Ich hatte mich aufgegeben“, sagt er. Doch in Remscheid gibt es ein Programm für junge pflegebedürftige Menschen wie ihn.

 Er hat sich zurück ins Leben gekämpft: Fatih Aydin wurde nach einer Gehirnblutung zum Pflegefall und zog ins Alloheim. Heute kann er wieder lachen.

Er hat sich zurück ins Leben gekämpft: Fatih Aydin wurde nach einer Gehirnblutung zum Pflegefall und zog ins Alloheim. Heute kann er wieder lachen.

Foto: Jürgen Moll

„Hoch auf dem gelben Wagen“ oder „Horch, was kommt von draußen rein“ sind Klassiker, die beim Singabend im Alloheim und ganz sicher auch in allen anderen Alteneinrichtungen nicht fehlen dürfen. Die Bewohner sind mit diesem volkstümlichen Liedgut groß geworden, verbinden Kindheitserinnerungen und Jugend damit. Und doch gibt es Ausnahmen: Eine von ihnen ist Fatih Aydin, 40 Jahre alt. Seit fünf Jahren wohnt der körperlich beeinträchtigte Mann im Alloheim.

2016: Es ist Aydins allererster Tag in Festanstellung als Fräser in einer Remscheider Firma. Die Sonne scheint, die Stimmung ist super. Da bricht Aydin plötzlich zusammen. Gehirnblutung. Ein geplatztes Aneurysma im Kopf. Aydin ist 34 Jahre alt.

Als der junge Mann erwacht, liegt er auf der Intensivstation, unzählige Menschen in weißen Kitteln beugen sich über ihn. Aydin kann nicht sprechen, nicht essen, nicht schlucken, sich nicht mehr bewegen. Er kommt in die Reha, kämpft sich ein Stück weit zurück ins Leben. Aber da ist diese Schwermut: Der Kopf ist klar, aber der Körper ein Pflegefall.

Aydins Vater ist tot, seine alte Mutter selbst schwer krank, Geschwister gibt es nicht. Die Wohnung ist nicht behindertengerecht. Als 2016 die neue Station „Junge Pflege“ im Alloheim eröffnet – mit 26 Plätzen für Menschen zwischen 18 und 60 Jahren – ziehen Mutter und Sohn gleichzeitig ins Heim. Wenige Monate später ist die Mutter tot. Aydin lebt nach wie vor in der Einrichtung.

„Es gibt keine speziellen Einrichtungen für Menschen dieser Altersgruppen“, erklärt Alloheim-Qualitätsbeauftragter Jan Haussels. Rund 90 Prozent der 18 bis 60-jährigen Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut, meistens mit Unterstützung ambulanter Pflegedienste. Wenn dies nicht (mehr) möglich ist, landen sie in Behinderten- oder Altenheimen. Doch dort fehlt es in der Regel an spezifischen Unterbringungsmöglichkeiten, an passenden Freizeitangeboten und Therapien.

Aus diesem Wissen heraus hat der bundesweit tätige Pflegeanbieter Alloheim vor einigen Jahren begonnen, separate Stationen für die „junge Pflege“ an einigen Standorten einzurichten, vor allem in NRW. Remscheid ist auch darunter.

An den hellen Wänden in Aydins Zimmer hängen unzählige Fotos – von Freunden, von deren Kindern, von ihm selbst, seinen Eltern, vom Hund einer Pflegerin, seinen Eltern. Dazwischen: Zahlreiche Banner und Fahnen des Fußballvereins Fenerbahce Istanbul, „Ein Top-Verein, kann man mit Bayern München vergleichen“, schwärmt Aydin, „da spielt auch der Özil.“ Aydin trägt ein Trikot in Schwarz-gelb, die Vereinsfarben der türkischen Mannschaft. „Viele denken, der BVB ist mein Verein“, weiß der Fußballnarr und lacht, „geht auch ok. Die mag ich auch.“

Damals, 2016, als Aydin einzog in das Altenheim, da habe er nur im Bett gelegen. „Ich hatte mich aufgegeben, Schwermut, Depressionen hatte ich“, sagt er heute und blickt erst Jan Haussels, dann Frank Loseries, Leiter vom Sozialen Dienst, fest in die Augen. „Ihr habt mich daraus geholt. Ohne euch wäre ich nicht da, wo ich heute bin.“ Dann lehnt er sich in seinem Rollstuhl zurück, holt tief Luft. „Leute, wisst Ihr was das für ein Gefühl ist? Mit 34 Jahren im Altenheim?“

Insgesamt 23 Personen zwischen 32 und 65 Jahren wohnen auf der hellen, moderne Etage, die Türen zu den meisten Zimmern stehen offen. Zu den Freizeitangeboten gehören regelmäßige Ausflüge, wohin es geht, wird gemeinsam entschieden - Aquazoo, Kino, Billardspielen. Aydin ist fast immer dabei. „Ich komm mit allen gut klar“, sagt er selbstbewusst, „mit den Bewohnern und dem Personal. Das ist hier ein ganz tolles Team. Die haben mich immer motiviert, weiter zu kämpfen.“

Emsig trainiert er seine Beinmuskulatur, kann mit Unterstützung der Physiotherapeutin mittlerweile sogar einige Schritte am Rollator gehen. Und mit dem Elektrorollstuhl geht es nun regelmäßig mit dem ÖPNV in die Stadt zum Shoppen. „Hier: Die Weste hab ich mir jetzt gerade gekauft“; erzählt der 40-Jährige und zeigt auf seine Kleidung und grinst „Das ist schon anders, als wenn einem ein Freund irgend so einen Ramsch mitbringt, der einem dann doch nicht gefällt.“

Im Gegensatz zu den anderen Stationen im Alloheim, auf denen die Menschen ihren letzten Lebensabschnitt verbringen, geht es bei der Jungen Pflege auch darum, die Bewohner soweit es geht so zu mobilisieren, dass sie vielleicht sogar in der Lage sind, mit ambulanter Unterstützung irgendwann alleine zu leben. Auch für Aydin ist aus Sicht aller Beteiligter noch viel Luft nach oben. „Ich hab das Ziel, dass ich wieder laufen kann, dass ich meine Mobilität zurückgewinne.“ Ergotherapeutin Lea Enzmann nickt und lacht. „Er ist unglaublich ehrgeizig, das ist einfach klasse.“

Derzeit erweitert das Alloheim die Station „Junge Pflege“. „Wir wollen, dass die jüngeren Pflegebedürftigen, die jetzt noch in anderen Einrichtungen vereinzelt auf normalen Stationen untergebracht sind, bei uns auch aufgenommen werden können“, begründet Jan Haussels die Maßnahme, wir wollen, dass auch sie sich mit altersentsprechender Betreuung noch weiterentwickeln können.“

Manchmal denkt Aydin zurück. Nicht so sehr an sein altes Leben, sondern an die Zeit unmittelbar nach dem Aneurysma. Als ich aus der Reha kam und zu Hause war, hatte jeder in meinem großen Bekanntenkreis einen Haustürschlüssel. Ich konnte ja nicht öffnen, wenn es geschellt hat. Ich war ja gelähmt und bettlägerig. Und diese Schlüssel habe ich jetzt alle zurück, eine ganze Kisten voll, hier unter meinem Bett. Sie sind so wichtig,denn sie erinnern mich an den schweren Weg, den ich hinter mir habe und sie motivieren mich, immer weiter zu machen.“

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