Stadtentwicklung in Remscheid Konflikte belegen gelungene Integration

Remscheid · Wissenschaftler der Universität Dortmund untersuchen das Lebensgefühl in vier Remscheider Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil. Sie stellen lobend fest, dass die Menschen Streit unaufgeregt, gelassen und pragmatisch lösen.

 Der Rosenhügel gehört zu den Stadtteilen, die die Wissenschaftler intensiv untersuchen.

Der Rosenhügel gehört zu den Stadtteilen, die die Wissenschaftler intensiv untersuchen.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Wissenschaftler der Universität Dortmund mussten ihr Bild von Remscheid korrigieren: Das Leben in dieser Stadt ist gar nicht so harmonisch und friedlich, wie es immer wieder erzählt wird. Zwar habe die Polizei mit Kriminalität vergleichsweise wenig zu tun, aber im Alltag gibt es in den Quartieren jede Menge Konflikte. Professorin Susanne Frank, die sich um ein tieferes Verständnis für das Zusammenleben unterschiedlicher Menschen und Gruppen bemüht, sieht aber darin keinen Grund zur Beunruhigung. Und zwar ganz im Gegenteil: „Die Konflikte sind ein Zeichen dafür, dass Integration in Remscheid gelingt“, sagte sie bei der Vorstellung der Zwischenergebnisse der Mosaik-Studie.

Die Quartierserforschung begann vor zwei Jahren. Mitarbeiter der Universität Dortmund zogen in das Büro am Markt, sammelten unendlich viele Daten und führten Gespräche mit den Bürgern. Auf vier Stadtteile legten sie ihren Schwerpunkt: Hohenhagen, Rosenhügel, Hasenberg und Honsberg. Dabei gehen sie der Frage nach, was macht die Besonderheit der verschiedenen Stadtteile aus?

Die vier Stadtteile verbindet die Tatsache, dass dort viele Menschen mit Migrationshintergrund leben. Die Wissenschaftler deuten das gewachsene Konfliktpotenzial nicht als Verlust an Harmonie, sondern als Konsequenz gelungener Integrationsarbeit. Wer gut im Leben der Stadt integriert sei, der wird zum Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, der strebt nach Anerkennung und entwickelt Selbstbewusstsein. Teilhabe und Mitsprache in vielen Bereichen des täglichen Lebens löst die kulturelle Dominanz der deutschen Stammbevölkerung auf. Das führt zu Unbehagen, zum Gefühl der Überforderung. Manche denken, sie verlieren ihre Heimat (das ist nicht mehr mein Remscheid).

Die Forscher haben untersucht, wie die Remscheider mit den Folgen der Diversität umgehen. Sie gingen von Tür zu Tür, besuchten Stadtteilkonferenzen, Vereine und Treffen aller Art. Unter anderem auch Feste in Kleingartenanlagen. Die zählen zu den Biotopen, in denen die kulturellen Unterschiede deutlich aufeinandertreffen. Welches Fleisch kommt auf den Grill? Wie sieht es mit der Ordnung aus? Kann man nicht auch ohne Alkohol feiern? Und warum kommt der türkische Kleingärtner nicht zum Jahresfest? Fragen mit Konfliktpotenzial.

An diesem Punkt stoßen die Forscher auf eine Mentalität der Remscheider, die sie sehr angenehm überrascht habe. „Es gibt ein Werben um Verständnis und eine direkte Ansprache“, sagte Frank. Das klingt beim Jahresfest der Kleingärtner ungefähr so: „Ihr müsst ja nicht den ganzen Abend bleiben, aber eine Stunde könnt ihr euch doch mal blicken lassen.“ Sie stellen eine Bereitschaft dafür fest, dass jeder mal über seinen Schatten springen kann.

Dabei spielen Mittelsmänner und vertrauensvolle Personen eine wichtige Rolle für das Zusammenleben im Quartier. Es sei beeindruckend, wie viele Menschen sich in den Stadtteilen engagieren. So entstehe über die Jahre von allen Seiten Wertschätzung.

Sogenannte Grußbeziehungen leisten auch einen wichtigen symbolischen Beitrag. Dort, wo man stumm am Nachbarn vorbeischaut, zerfällt das Gemeinschaftsgefühl. Dort, wo man sich grüßt, wächst es. Und wer zuerst grüßen soll, das regeln die Remscheider unter sich. Pragmatisch, unaufgeregt und gelassen, wie es Susanne Frank zusammenfasst. So werde kulturelle Vielfalt zur Normalität.

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