Kindeswohl Kinderschutz fängt im Kreißsaal an

Remscheid · Die junge Mutter hat alles so gemacht, wie sie es von den Kinderkrankenschwestern gelernt hat. Sie weiß, wie sie ihrem Baby das Fläschchen gibt, wie es gewickelt wird, wie es angezogen wird.

 Burkhard Mast-Weisz (v.l.), Birgit Köppe-Gaisendrees und Dr. Thomas Schliermann.

Burkhard Mast-Weisz (v.l.), Birgit Köppe-Gaisendrees und Dr. Thomas Schliermann.

Foto: Christian Peiseler

Aber das Kind schreit und schreit und schreit. „Das Kind kann nichts haben“, sagt die Mutter. Sie habe doch den Plan erfüllt. Es kommt ihr nicht in den Sinn, ihr Baby aufzunehmen, es durch den Raum zu tragen und mit sanfter Stimme zu beruhigen. Auch nicht, wenn sie dazu sanft aufgefordert wird. In den Sinn kommt ihr nur ein Satz: „Mich hat auch keiner aufgehoben.“ Das sind Situationen, mit denen Birgit Köppe-Gaisendrees und ihr Team der ärztlichen Kinderschutzambulanz Bergisch Land häufig konfrontiert sind.

Situationen, in denen sich das Schicksal eines Kindes entscheiden kann. Wächst es mit einer Mutter auf, die fürsorglich und vertrauensvoll mit ihrem Nachwuchs umgehen kann, oder muss es in der Kältezone ohne Zuwendung verharren? „Die Arbeit fängt im Kreißsaal an“, sagt Dr. Thomas Schliermann, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin am Sana-Klinikum und Vorstand der Kinderschutzambulanz. Ohne ein stabiles Netzwerk sei es kaum möglich, die Gefahren für das Kindeswohl rechtzeitig zu erkennen und den Kindern und Familien zu helfen. Der Rat der Stadt hat dem Antrag der CDU geschlossen zugestimmt, die Förderung der Kinderschutzambulanz um 40.000 Euro zu erhöhen. Insgesamt steigt der Zuschuss auf 104.000 Euro. „Wir brauchen das Geld, um Mitarbeiter zu bezahlen“, sagt Schliermann. So erwachse eine größere Unabhängigkeit von den weiterhin benötigten Spenden. Das dritte finanzielle Standbein bilden die Fallpauschalen über die Jugendhilfe.

Im November referierten Köppe-Gaisendrees und Schliermann auf Einladung des Bundesfamilienministeriums während einer Fachkonferenz in Berlin über ihre Praxiserfahrung. Die Remscheider Ambulanz, die bald seit 30 Jahren besteht, gehört zu den Einrichtungen, die inzwischen Modellcharakter besitzen. Die Besonderheit liegt in der Zusammenarbeit zwischen Ambulanz, den Kinderabteilungen des Sana-Klinikums und der Jugendhilfe und anderen Einrichtungen. Individuelle Unterstützung und passgenaue Lösungen lassen sich nach fundierter Diagnostik finden.

Gut jeden Tag wird statistisch gesehen ein Kind in Remscheid missbraucht. Dazu zählen nicht nur Schläge und sexuelle Gewalt, sondern auch emotionale Verwahrlosung, die genauso schlimm sei wie körperliche Gewalt, sagt Köppe-Gaisendrees. Unter solchen Erfahrungen leiden Kinder ihr Leben lang. Mit fachlicher Hilfe können sie es schaffen, ihr Leid erträglicher zu gestalten. So wie das Mädchen, das Köppe-Gaisendrees zu ihrem Abitur eingeladen hat. „Da habe ich mehr geheult als beim Abitur meines Sohnes“, sagt sie. Zu ihren Eltern hatte das Mädchen keinen Kontakt mehr.

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